Albrecht Ackerland über den Tag der Hausmusik

München · Da schau her! Geheime Macht vorgegebenen Gedenktage

München · Wenn am Montag, 22. November, wieder der Tag der Hausmusik ist, dann werde ich abermals entsetzt sein. Es ist jedes Jahr das gleiche: Ich reiße Kalenderblatt um Kalenderblatt ab, mal ist es der Tag des fettarmen Wammerls, mal der Tag des unverbauten Alpenblicks, mal des schweren Tropfens, mal der leichten Muße.

Und ein jedes Mal weiß ich diesen von einer geheimen Macht vorgegebenen Gedenktag würdevoll zu begehen. Dieser Weltbehörde, die all die Tage in Gedenktage gießt, ihr kann man nicht genug danken! Was würde ein Mann wie ich, einsam und leutselig zugleich sonst mit sich anzufangen wissen? Der Mensch braucht einen Grund. Für alles. Dafür haben wir zum Glück jene berühmten Tage des „...“

Beispiel Welttoilettentag am 19. November, den gibt es tatsächlich. Jedes Jahr versuche ich aufs Neue, meine Spezeln dazu zu bewegen, diesen denkwürdigen Termin einmal mit aller Entsprechung zu begehen. Was ernte ich also am gestrigen Freitag? Geh' sch....! Sowas darf ich mir anhören. Zur Ehrenrettung sei gesagt, dass der Aussprechende dieser Unflätigkeit meiner Wiener Verwandtschaft entstammt, was erklärt, dass es sich bei vorgenannter Derbheit in Wirklichkeit um eine verbale Liebkosung handelt. I mog di, quasi, denk an Euren Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl anno 1984 und seinen Worten „Entscheidend ist, was hinten rauskommt“. Ich habe verstanden und hiermit gar schriftlich aufgegeben, künftig nicht mehr daran zu erinnern, dass sich große Teile der Menschheit wünschen würden, ein sauberer Geschäftsmann zu sein, weil es in weiten Teilen der Welt zu vielen unnötigen Toden kommt, weil ein einfaches Abwassersystem fehlt. Aber erzählen sie das mal einem Wiener mit Waschzwang.

Wo wir schon bei Zwängen sind: Ich wünschte, Zwänge würden bei Menschen nicht derart schlimme Zwänge erzeugen. Sonst forderte ich längst: einen Hausmusikzwang. Wir erleben in diesen Jahren ein sensationelles Comeback der ehrlichen Volksmusik, frisch und unfromm gespielt von sehr jungen Menschen. Niederbayerischer Musikantenstammtisch. Zwirbeldirn. Landlergschwister.

Nur leider ist in meinem Haus noch nichts davon angekommen, jetzt naht der Advent, die Zeit, wo derartige Kultur passt wie nie – und es geht nix weiter. Da heißt es nur nach vorne schauen. Denn in diesem Jahr organisiere ich einen Hoagarten bei mir im Wohnzimmer, der wird sich gewaschen haben. Die Punkband aus dem Nachbarhaus, die dort ihren Proberaum hat, spielt Besinnliches. Und die Frau Ohmschlager aus dem Zweiten? Genau, die sitzt dabei und hat ihre Platzerln mitgebracht. Drücken Sie mir die Daumen, dass sie ihre Zither mitbringt. Die konnte sie zwar noch nie spielen, aber das schenkt ihr wiederum Achtung bei den Punks. Und schon ist der Zweck eines Hausmusikabends erfüllt: Beieinandersein. Ich bin entsetzt, dass so etwas nicht jeden Tag in jedem Haus stattfindet. Dann hätten wir den ganzen Schmarrn von wegen Generationenkonflikt längst nicht mehr.

Artikel vom 18.11.2010
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