Tag des offenen Denkmals: Schwabinger Pathologie zu sehen

Schwabing · Tote lehren Lebende

Schon das Büro Riepertingers ist einen Besuch wert, mit der Einrichtung von 1910, einer funktionsfähigen Laufbodenkamera und weiteren Raritäten. 	F.: ko

Schon das Büro Riepertingers ist einen Besuch wert, mit der Einrichtung von 1910, einer funktionsfähigen Laufbodenkamera und weiteren Raritäten. F.: ko

Schwabing · Die lateinische Inschrift »Mortui vivos docent«, »Die Toten lehren die Lebenden«, prangt über den vier Tischen aus Edelstahl im Sektionssaal der Pathologie im Schwabinger Krankenhaus. Blitzsauber blinkt deren Oberfläche, an einem Ende liegen jeweils aufgereiht Arbeitsgeräte, Scheren zum Beispiel, oder Skalpelle.

Acht Paar knallrote Gummihandschuhe an der Wand aufgehängt, ein Farbklecks inmitten des sterilen Weiß. In einer Ecke stehen große Glaskaraffen, laut Inschrift mit Formalin und Ethanol gefüllt. Über allem liegt der süßliche Hauch eines Reinigungsmittels. TV-Krimifans dürfte dies Bild nicht völlig unbekannt sein, auch wenn sie den Raum noch nie betreten haben. Denn der Sektionssaal war oft Schauplatz für Dreharbeiten, Szenen für »Tatort«, »Siska«, »Der Alte« oder »Polizeiruf 110« etwa wurden hier gefilmt. Und im Umbettraum der Pathologie, in dem die Verstorbenen aus dem Krankenhaus in Empfang genommen werden, wurde die Schlussszene des Films »Sophie Scholl – die letzten Tage« aus dem Jahr 2005 gedreht.

Nicht nur für Hobby-Kriminologen, auch für medizinisch Interessierte ist die Schwabinger Pathologie einen Besuch wert: Denn besichtigen kann man beim bundesweiten »Tag des offenen Denkmals« (heuer unter dem Motto »Kultur in Bewegung – Reisen, Handel und Verkehr«) am kommenden Sonntag, 12. September, dort auch die »Siegfried Oberndorfer-Lehrsammlung« mit zirka 1000 ausgestellten Präparaten. Die Sammlung Professor Oberndorfers, ab 1910 erster Leiter der Schwabinger Pathologie, zeigt unter anderem Knochen, konservierte Organe und Medizintechnik wie Herzschrittmacher, Pessare und Stents. Die ältesten Originale stammen aus dem Jahr 1884. Das insgesamt älteste Ausstellungsstück ist eine rund 3500 Jahre alte Mumienhand. Zu sehen sind außerdem alte Wachsmoulagen, also Nachbildungen von Teilen des menschlichen Körpers, Holz- und Kartondrucke sowie ein Originalbuch Oberndorfers.

Das Institut für Pathologie wird heuer 100 Jahre alt. 1910 ist es mit einem angegliederten Tierstall in Betrieb gegangen. Auch die frühere Unterkunft der Tiere können die Besucher am Sonntag besichtigen. Bis 2005 wurden im Stall unter anderem Schafe, deren Blut fast identisch mit Menschenblut ist, Meerschweinchen und Laborratten zu Forschungszwecken gehalten. Heute steht der Stall leer. Alfred Riepertinger, Oberpräparator der Schwabinger Pathologie und Kustos der Oberndorfer-Sammlung, hegt den sehnlichen Wunsch, aus dem ehemaligen Tierstall ein Museum zu machen. In den Räumen der Pathologie ist zu wenig Platz für die medizinischen Exponate, daher soll in der vormaligen Vierbeinerherberge das »Siegfried Oberndorfer Museum für historische Pathologie« entstehen.

Die Klinikleitung sei von der Idee begeistert, sagt Riepertinger. Trotzdem ist in Sachen Museum noch nichts entschieden. Der Kustos schätzt, dass sein Vorhaben zirka vier bis fünf Millionen Euro kosten dürfte. Aber er ist überzeugt, dass das fertige Museum zur »Gelddruckmaschine« werde. Denn vergleichbare Ausstellungen gebe es sonst nur im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité und im Pathologisch-anatomischen Bundesmuseum im Narrenturm in Wien. Sowohl mit dem Museum als auch mit den Führungen am Sonntag will Alfred Riepertinger den Besuchern die Scheu und Vorurteile gegenüber der Pathologie nehmen. »Es ist hier weder so gruselig, wie sich manch einer das vorstellt, noch riecht es dauernd penetrant – und unsere Arbeit driftet schon gar nicht in Richtung Frankenstein oder gar Horrorshow«, sagt der Oberpräparator. Stattdessen herrsche eine freundliche Atmosphäre in der nützliche Arbeit verrichtet werde, die auch richtig spannend sei. Die Toten sind in Riepertingers Augen »Gäste« in der Pathologie: »Kommen sie zu uns, ist die Fürsorge zwar anders als für die Lebenden, aber sie wird nicht weniger.« Im Alltag werden im Institut die Verstorbenen des Schwabinger Krankenhauses untersucht. Das diene vornehmlich der »Qualitätskontrolle«, erklärt Riepertinger. Um die Diagnose der Ärzte zu bestätigen. Und um manche Fälle zu überprüfen, bei denen sich die Mediziner keinen Reim auf die Todesursache machen könnten.

Am »Tag des offenen Denkmals« führt Alfred Riepertinger um 10, um 13 und um 16 Uhr Interessierte durch die Pathologieräume, die Führung dauert zirka zwei Stunden. Anmeldung ist erbeten unter Tel. 30 68 23 18 oder per E-Mail unter alfred.riepertinger@klinikum-muenchen.de.

Kirsten Ossoinig

Artikel vom 07.09.2010
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