Reisende Handwerker treffen sich in München

München · Mit Stenz und Charlie

Ins Reisebuch der „Freien Vogtländer” kommen Stempel von Städten und Einrichtungen, die die Handwerker während ihrer Wanderschaft besuchen. Foto: ko

Ins Reisebuch der „Freien Vogtländer” kommen Stempel von Städten und Einrichtungen, die die Handwerker während ihrer Wanderschaft besuchen. Foto: ko

München · Schon als Kind hat Bernhard Scheibenpflug davon geträumt, auf die Walz zu gehen. Mit 28 war es dann soweit: Als „Freier Vogtländer“ hat der Zimmermann die Welt bereist, kam in die entlegensten Ecken Deutschlands, bis nach Südafrika und Südostasien.

Ge­startet ist der heute 33-jährige Münchner damals von seinem Heimatort Weßling aus, traditionell mit „Charlottenburger“ oder „Charlie“, einem zusammengeknoteten Tuch mit den Habseligkeiten darin, seinem „Stenz“, dem Wanderstock, und fünf Euro in der Tasche. Scheibenpflug trug dabei „Kluft“, schwarze Schlaghose, weißes Hemd, schwarze Weste und breitkrempiger schwarzer Hut, dazu ein Ohrring im linken Ohr und mit der „Ehrbarkeit“, einer goldenen Anstecknadel mit den Buchstaben FVD sichtbar im eingeschlagenen Hemdkragen auf der Brust.

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Die Walz dauert mindestens zwei Jahre und einen Tag und in dieser Zeit muss der Handwerker den „Bannkreis“, einen Abstand von 50 Kilometern zum Heimatort, einhalten. Für sechs bis acht Wochen arbeitet ein „Freier Vogtländer“ irgendwo bei einem „Ehrbaren Meister“, dann zieht er weiter.

Übernachtet wird etwa in Gasthäusern, Jugendherbergen, je nach Witterung auch mal unter freiem Himmel oder beim schönsten Mädchen im Dorf. Bernhard erinnert sich noch genau daran, als er damals losgezogen ist. Kurz nach Neujahr, am 2. Januar, bei Schneetreiben und mit höllischen Schmerzen im Fuß. Zum Abschied ist er nämlich über das Weßlinger Ortsschild geklettert und hat sich dabei den Fuß verstaucht. Wegen der Verletzung hatte er nicht groß Zeit, sich Sorgen über ein etwaiges Scheitern seiner Walz zu machen. Und außerdem habe man genau aus diesem Grund einen erfahrenen Mitreisenden an seiner Seite, erzählt Bernhard. Denn der Kamerad wisse, wo man unterwegs Arbeit findet oder eine günstige Übernachtungsmöglichkeit. Für ein kostenloses Nachtlager stünden jedem Wanderer weltweit bei den Kameraden die Türen offen. Die Verbundenheit unter den Handwerkern entstehe, weil „jeder dasselbe mitgemacht hat“, erklärt der Münchner Zimmerer.

Bernhard ist erst relativ spät nach seinem Abitur, seinem Studium der Holztechnik/Holzwirtschaft und der Ausbildung zum Zimmermann auf die Walz gegangen. In der Regel sollten die Handwerker, unter ihnen etwa Dachdecker, Schreiner, Fliesenleger, Steinmetze oder Maurer, losziehen, bevor sie 26 Jahre alt werden. Außerdem müssen sie einen Gesellenbrief haben, deutschsprachig, schuldenfrei, ledig und nicht mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sein. Die „Freien Vogtländer Deutschlands“ sind eine Gesellenvereinigung einheimischer und reisender Bauhandwerker. Ungefähr ab 1910 schlossen sich Handwerksgesellen unter dem Namen „Freie Vogtländer“ zusammen – zunächst heimlich, da andere traditionelle Gesellenvereinigungen einen neuen offiziellen Verbund nicht geduldet hätten. Seit 1980 sind die „Freien Vogtländer“ Mitglied der „Confederation Compagnonnages Européens“ (C.C.E.G.), der europäischen Dachorganisation der Gesellenvereinigungen. Am Sonntag, 5. September, findet in München der 37. Kongress der „Gesellschaft Freier Vogtländer Deutschland“ in ihrer „Bude“, der Zunftherberge „Sakrisch guat“ an der Freisinger Landstraße, statt. Beim Kongress, der zirka alle zwei Jahre mit ortsansässigen Handwerksgesellen und Delegierten anderer „Buden“ abgehalten wird, werden Belange der reisenden Handwerker besprochen. Außerdem wollen sich die „Freien Vogtländer“ bei ihrem Treffen bei allen „fix bedanken“, die Reisende mit Arbeit, Lohn und Unterkunft unterstützt haben. Für solche Treffen holt auch Bernhard Scheibenpflug wieder seine Kluft aus dem Schrank, ansonsten trägt er Jeans und T-Shirt. Denn Scheibenpflug ist seit vergangenem Jahr sesshaft: Er wohnt in München und arbeitet heute wieder in seinem Ausbildungsbetrieb in Gauting.

Von Kirsten Ossoinig

Artikel vom 01.09.2010
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