Alle Gesellschaftskreise von diesem Phänomen betroffen

Grünwald/München · Häusliche Gewalt nimmt zu

Bei der Diskussionsveranstaltung zum Thema »Häusliche Gewalt« sprach auch Jutta Speidel.  Foto: mst

Bei der Diskussionsveranstaltung zum Thema »Häusliche Gewalt« sprach auch Jutta Speidel. Foto: mst

Grünwald/München · Die bekannte Schauspielerin Jutta Speidel, der FDP-Landtagsabgeordnete Tobias Thalhammer, eine Polizistin, Pädagogen und eine Sozialwissenschaftlerin: diese illustre Runde traf sich im Hotel »Alter Wirt« auf Einladung der FDP-München-Land. Das Thema, über das die Gruppe eifrig diskutierte, ist jedoch alles andere als erfreulich: Häusliche Gewalt an Kindern und Frauen nimmt stetig zu.

Das Phänomen ist längst kein Randproblem mehr, sondern voll in der Gesellschaft angekommen. Immer häufiger wird die Polizei wegen solcher Delikte gerufen, die Familiengerichte sind überlastet. Besonders erschreckend: Häusliche Gewalt ist nicht, wie häufig angenommen, auf sozial schwache Bevölkerungsschichten beschränkt, sondern betrifft auch gebildete und wohlhabende Kreise. Ob der arbeitslos gewordene Leiharbeiter oder Ärzte und Rechtsanwälte, ob Hartz-IV-Empfänger oder Porsche-Fahrer, ob in den Wohnblöcken am Hasenbergl oder unter dem Dach von Villen in noblen Münchner Stadtteilen oder Vororten: Zugeschlagen wird, so das Ergebnis einer vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegebenen Studie, überall, keine Personengruppe ist ausgenommen. »Häusliche Gewalt zieht sich quer durch alle Schichten«, diagnostizierte Monika Schröttle, Sozialwissenschaftlerin an der Universität Bielefeld.

Um in Not geratenen und von Gewalt bedrohten Frauen und ihren Kindern zu helfen, hat Speidel vor 13 Jahren ein einzigartiges Projekt ins Leben gerufen: Sie gründete den Verein »Horizonte« und schuf in München ein Wohnheim, in dem die Betroffenen eineinhalb Jahre lang leben und zur Ruhe kommen können. Schröttle verdeutlichte die Situation anhand von Zahlen und Statistiken. Danach hat jede vierte Frau im Laufe ihres Ehe- oder Beziehungslebens schon einmal Gewalt erfahren. 38 Prozent von ihnen haben Abitur, 70 Prozent verfügen sogar über ein eigenes Einkommen. Umgekehrt haben nur drei Prozent der Täter keinen Ausbildungsabschluss. Die Ordnungshüter sind dauerbeschäftigt: So sind alleine im vergangenen Jahr in München und Umgebung 3.500 Anzeigen bei der Polizei eingegangen, wie Barbara Hanke von der »Frauenhilfe München« informierte. Rechnet man die Dunkelziffer hinzu, dürfte die tatsächliche Zahl von Fällen häuslicher Gewalt allerdings noch weit höher liegen. »Die Scham und die Hemmschwelle der Opfer sind unglaublich hoch. Für viele Frauen ist es nicht leicht, die 110 zu wählen«, schilderte die Hauptkommissarin Andrea Kleim, die den Fachbereich »Opferschutz« im Münchner Polizeikommissariat leitet.

Speidel betonte die Wichtigkeit von Schutzräumen für diese Frauen und Kinder. Das von ihr für vier Millionen Euro errichtete »Horizonte«-Haus nimmt Mütter mit mindestens einem Kind auf. Die Zuweisung erfolgt in der Regel über das Wohnungsamt. Es besteht aus 24 Appartements und zwei Notunterkünften, hinzu kommen Schulungs- und Kreativräume sowie ein Garten und ein Spielplatz. »Unsere Frauen und Kinder können sich ganz sicher fühlen, denn ein hoher Sicherheitsstandard schützt sie vor Gewalt oder sonstigen Bedrohungen«, hob die Schauspielerin hervor und schilderte haarsträubende Fälle von Kindern, die in Pensionen untergebracht worden seien, wo auch drogenabhängige Männer lebten.

Einigen Diskussionsteilnehmern erschien die Darstellung, wonach nur Frauen Opfer von häuslicher Gewalt seien, allerdings als zu oberflächlich. Nicht selten würden auch Männer in den eigenen vier Wänden gemobbt oder offen von Gewalt bedroht. Schröttle hingegen sprach davon, dass sich diese Behauptungen wissenschaftlich nicht belegen ließen. Gleichzeitig betonte sie, dass es nicht darum gehe, die Geschlechter gegeneinander auszuspielen. Man müsse vielmehr das starre »Denken in Täter- und Opferrollen« überwinden.

Betroffenen in München steht ein Netz an Hilfsangeboten zur Verfügung, unter anderem die »Frauenhilfe München«, die rund um die Uhr erreichbar ist. Telefonnummer: 35 48 30.

mst

Artikel vom 07.07.2010
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