Kinder quälen Seniorin: Wie die Politik darauf reagiert

München · Eltern nicht allein lassen

Bei der Pressekonferenz gab Kriminaldirektor Frank Hellwig Details zum Fall der von 13-Jährigen gequälten Seniorin an die Öffentlichkeit. Foto: cr

Bei der Pressekonferenz gab Kriminaldirektor Frank Hellwig Details zum Fall der von 13-Jährigen gequälten Seniorin an die Öffentlichkeit. Foto: cr

München · Gemessen am Verhalten der meisten Menschen unserer Gesellschaft gibt es für die Tat, die sich am Montag in einer Wohnung in Milbertshofen abgespielt hat, nur einen Ausdruck: abscheulich. Eine 83-jährige Frau, die seit einigen Jahren an Demenz leidet, wurde in ihrer eigenen Wohnung von zwei Tätern mutmaßlich stundenlang gequält. Das Unfassbare: Die beiden Täter sind erst 13 Jahre alt.

Einer ersten, nicht gegenüber der Polizei gemachten Aussage haben sie die Frau mit Rasierschaum und Parfüm besprüht, Suppenwürze in die Augen gespritzt und ihr schätzungsweise einen halben Liter Kräuterlikör eingeflößt. Darüber hinaus soll mindestens einer der beiden auf die Frau uriniert haben, außerdem sei sie getreten worden, erklärte Kriminaldirektor Frank Hellwig. Die Verletzungen seien nicht allzu schwerwiegend, allerdings könnte die Frau Folgeschäden davontragen. Bei ihr seien an den Augen eine Hornhauterosion und eine Bindehautreizung diagnostiziert worden.

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Die beiden Jungs, in den Augen des Gesetzes noch Kinder, sind der Polizei nicht unbekannt. Bislang waren sie jedoch nur als Ausreißer aufgefallen. Jetzt können die Beamten nicht mehr machen, als im aktuellen Fall den Tathergang zu ermitteln. Die 13-Jährigen sind nicht strafmündig, müssen keine juristischen Konsequenzen fürchten. Dennoch stellen sich die Ermittlungen mehr als langwierig heraus. Weder Täter noch Opfer wollen zu dem Geschehen aussagen. Mit den Vorwürfen konfrontiert, weisen beide Buben die Taten von sich und belasten den jeweils anderen.

Während einer der beiden schon wieder zuhause ist, musste der zweite Junge in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht werden. Das Münchner Jugendamt hatte das verfügt. Er hatte Selbstmordabsichten geäußert, gerade für den Fall, dass er dauerhaft untergebracht werden sollte. Dennoch war diese Lösung als die sicherste angesehen worden.

Die Anzahl der jugendlichen Straftäter geht in Bayern laut polizeilicher Kriminalstatistik zurück, auch bei den schweren Delikten. Grundsätzlich aber ist jeder Fall einer zu viel, vor allem, wenn er sich durch eine solche Gefühllosigkeit auszeichnet wie die Tat von Milbertshofen. Dennoch sind es in der jüngeren Vergangenheit scheinbar immer häufiger Jugendliche und Heranwachsende, die durch brutale Gewalttaten auffallen.

Monika Niedermayer, Pressesprecherin des Sozialreferats und damit auch des städtischen Jugendamtes, spricht hier von einer „Aufmerksamkeitshäufung“. Ebenso äußert sich Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD), Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Jugend und Sport im Bayerischen Landtag. Er sieht mehrere Ursachen für den Milbertshofener und andere, weniger schwere Fälle. Ihre Gemeinsamkeit: „Kinder werden nicht als Sadisten geboren. Da muss schon einiges in der Entwicklung passieren.“ Sein Ansatz stützt sich auf drei Säulen. Die Erziehungskompetenz der Eltern müsse gestärkt werden. Es gebe immer wieder Situationen, in denen Eltern sich überfordert fühlen. Hier sei es wichtig, diesen Eltern Hilfe anbieten zu können. Umgekehrt müssen Eltern mit dieser Erkenntnis ihre Scham überwinden und Hilfe suchen. „Das ist ein schwerer Schritt“, weiß Pfaffmann, aber er betont: „Sich helfen zu lassen, ist nichts Schlimmes. Schlimm ist, sich nicht helfen zu lassen.“ Das Hilfsangebot müsse jedoch ausgebaut werden: ein dichteres Beratungsnetz, hochqualifiziertes Personal, keine Wartezeiten.

Auch die Schulsozialarbeit müsse erweitert werden, erklärt Pfaffmann. An jeder Schule müsse ein pädagogisches Team mit einem Schulsozialarbeiter und einem Schulpsychologen eingesetzt werden. Die Lehrer müssten sensibilisiert werden, um Problemfälle zu erkennen und weiterzuvermitteln. Als Drittes nennt der Landtagsabgeordnete den außer Kontrolle geratenden Umgang mit den Medien. „Ich bin gegen Zensur im Internet oder Verboten von bestimmten Computerspielen“, erklärt Pfaffmann. „Das löst das Problem nicht.“ Aber mit den Kindern müsse über diese Inhalte gesprochen werden. Auch Alternativen zu Spielkonsole und Internet könnten sich positiv auswirken. Ganztagsangebote der Schule und außerschulische Angebote am Nachmittag müssten gestärkt werden.

Seine Fraktion denke derzeit über eine Initiative im Landtag nach, um diese Ziele zu erreichen. Am Geld will Pfaffmann es nicht scheitern lassen. „Hilfe für Familien müssen in der Haushaltsgestaltung höher bewertet werden“, erklärt er und bezieht das sowohl auf den Freistaat als auch auf die Kommunen. Wo die klammen Gemeindekassen nicht genügend hergeben, müsse der Staat einspringen, „nicht nur mit schönen Worten. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“

Es geht darum, solche Extremfälle wie jetzt in Milbertshofen, möglichst zu verhindern. Auch das bayerische Innenministerium befasst sich nach Aussage des Pressesprechers Holger Plank mit diesem Thema. „Wir sind seit vielen Jahren an der Problematik dran, präventiv und repressiv.“ Die Präventivarbeit erfolge in Kooperation mit Jugendamt und Sozialdienst und werde „am problematischen Umfeld angesetzt“. Tatsächlich hat das Umfeld Einfluss auf solche Taten, wie Geschehnisse in der Vergangenheit zeigen. Auch im Fall der Milbertshofener Buben gebe es ein „problematisches Umfeld“.

Daraus lässt sich aber nicht folgern, dass früher oder später etwas passieren muss. Bei Auffälligkeiten könnten gezielte Maßnahmen „wie Familientherapie oder das Beschaffen eines Ausbildungsplatzes“ helfen. Aber auch die Kontaktbeamten der Polizei erfüllten wichtige Aufgaben im Umgang mit auffälligen Jugendlichen: „Ein Jugendbeamter ist generell für ein und denselben Jugendlichen zuständig, ob der erst in Schwabing was anstellt, ein paar Tage später im Westend und später in Nürnberg. Der Beamte kennt all die Facetten des jugendlichen Täters“, so Plank. Diese Form der Betreuung beziehe sich auf die kleinste Gruppe jugendlicher Täter, nämlich die Intensiv- und Gewohnheitstäter. Diese aber würden die meisten Taten verüben.

Der politische Wille ist vorhanden. Doch bis weitere Maßnahmen umgesetzt werden und effektiv greifen, werden noch Jahre ins Land gehen.

Von Carsten Clever-Rott

Artikel vom 11.03.2010
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