Volkshochschulen wollen Kürzungen des Freistaats nicht länger hinnehmen

München · »Kontinuität der Streicher«

Geht’s abwärts? Die beiden Leiter der großen Volkshochschulen, Dr. Susanne May (MVhs) und Herbert Becke (Vhs Landkreis München Nord), wissen noch nicht um die Tragweite der Konsequenzen der geplanten Kürzungen.	 Foto: gf

Geht’s abwärts? Die beiden Leiter der großen Volkshochschulen, Dr. Susanne May (MVhs) und Herbert Becke (Vhs Landkreis München Nord), wissen noch nicht um die Tragweite der Konsequenzen der geplanten Kürzungen. Foto: gf

München · Das Thema Bildungspolitik war schon im vergangenen Jahr ein ganz heißes Eisen. G8, Lehrermangel, Büchergeld... und dann war da noch eine 15-prozentige Subventionskürzung »am Rande«, die sämtliche Erwachsenenbildungseinrichtungen im Freistaat traf, als diese gerade ihre Semesterprogramme präsentierten. Doch damit nicht genug: Mit einer schlechten Nachricht zum Jahreswechsel – auch wieder am Rande – spitzt sich die Lage noch einmal zu.

Doch diesmal wollen sich die Organisationen nicht kampflos geschlagen geben.

Nach Angaben des Kultusministeriums stehe der Vorschlag im Raum, die Finanzmittel für die Erwachsenenbildung im laufenden Jahr um bis zu 50 Prozent zu kürzen. Von bisher 16 Millionen Euro auf bis zu 8 Millionen Euro könnte sich der Freistaat – ganz im Sinne der Haushaltskonsolidierung – aus der Verantwortung in Sachen Erwachsenenbildung nehmen.

»Das ist der falsche Weg«, schüttelten Dr. Susanne May, Geschäftsführerin der MVhs, und Herbert Becke, Leiter der Vhs im Landkreis Münchner Norden, im Gespräch mit dem Münchner Wochenanzeiger gemeinschaftlich den Kopf. Die staatlichen Zuschüsse betragen derzeit noch rund 800.000 Euro für die MVhs und 100.000 Euro auf dem Land. Für May steht bereits jetzt fest: »Es ist immer schwieriger, die Vielfalt im Programm aufrecht zu erhalten.« Becke vermutet hinter den neuerlich geplanten Einsparungen sogar eine »Kontinuität der Streichkonzerte« mit dem Ziel des Freistaates, sich aus der Erwachsenenbildung schrittweise zurückzuziehen.

Dr. Ludwig Unger, Sprecher des Kultusministeriums, beruft sich indes auf die strikten Vorgaben der Landesregierung: »Im Rahmen der Verhandlungen zur Haushaltskonsolidierung hat das Kultusministerium die Kürzungen bei der Erwachsenenbildung vorgeschlagen.« Nicht viel Spielraum sei geblieben, so Unger weiter. Zur Debatte hätten auch andere freiwillige Leistungen gestanden, wie etwa die Sportförderung. Im Sinne der »Kabinettsdisziplin« habe sich das Kultusministerium schließlich entschieden einen Vorschlag zu Lasten der Erwachsenenbildung zu machen. »Es ist jetzt an der Zeit, in der Bildungspolitik Schwerpunkte zu setzen«, appelliert Becke an die Entscheider im Landtag. Daran habe das Kultusministerium bei seinen Überlegungen jedoch nicht gedacht: »Wir müssen uns nicht überlegen, wie sich Kürzungen bei den Subventionen auswirken. Das ist Sache der Träger und Verbände«, argumentiert Unger.

Ganz so einfach könne es sich die Politik in diesem Fall nicht machen, kontert Becke: »Die Förderung der Erwachsenenbildung ist gesetzlich verankert.« Laut Artikel 2 des Bayerischen Gesetzes zur Förderung der Erwachsenenbildung hat der Freistaat den Auftrag, die Einrichtungen so zu unterstützen, »dass im ganzen Land leistungsfähige Einrichtungen mit einem breitgefächerten Bildungsangebot zur Verfügung stehen«. Eine Zielsetzung die mit den aktuellen Plänen nicht vereinbar sei, so die beiden Vhs-Leiter. Selbst Unger räumt ein: »Gerade auf dem Land sind solche Fördergelder wichtig.«

Innerhalb Münchens stünden im Falle weiterer Kürzungen nicht nur der Ausbau der Vhs-Strukturen vor dem Aus, sondern auch wichtige Kursprogramme der sozialen und politischen Bildung auf der Kippe. May: »Mit jeder weiteren Kürzung müssen wir die Eigenfinanzierung durch die Teilnehmer steigern.« Das habe zur Folge, dass sich auf Dauer nur noch populäre Angebote rechneten.

Nischenangebote wie Alphabetisierungsinitiativen oder Integrationsarbeit blieben auf der Strecke. Die Versorgungslücken etwa in Berg am Laim, Schwabing oder Riem würden weiter klaffen. Auch die Zusammenarbeit mit der Pfennigparade, wo die MVhs 80 Kurse für Behinderte »zu Preisen, die eher symbolischen Wert haben« anbietet, würden einer weiteren Budgetkürzung nicht Stand halten. Der Vhs-Standort in Neuperlach musste bereits im vergangenen Jahr geschlossen werden. Ähnlich vielfältig sind die Krisenszenarien im Landkreis. »Das drückt vor allem auf die soziale Bildung«, ahnt auch Becke. Projekte wie die Schule für Mütter in Garching, die Kooperation mit dem Sehbehindertenzentrum Unterschleißheim, die Migrationsarbeit in Hochbrück – »wenn diese Angebote nicht mehr finanziert werden können, geht das zu Lasten der Gemeinschaft.«

Und zu Lasten der Kasse des Freistaats, rechnet May vor. »Alle reden vom demografischen Wandel und von den Auswirkungen der PISA-Studie; das zeigt doch gerade, wo Erwachsenenbildung gebraucht wird, wenn die Teilnehmer in der Wissensgesellschaft immer älter werden, die nächste Generation bereits naht und Wissen immer schnelllebiger vermittelt werden muss.« Tendenzen, Erwachsenenbildung zu einer Privatangelegenheit zu machen, würden schnell zur Konjunkturbremse und damit zu einer Mehrbelastung im Haushalt werden, so May.

Von einem ähnlichen Beispiel weiß auch Becke zu berichten: »In der Ismaninger Realschule bietet die Vhs die Nachmittagsbetreuung der Schüler an. Wir haben das Engagement und die Infrastruktur. Das sind Leistungen, die den Freistaat, müsste er zahlen, pro Jahr mehr kosten würde, als die gesamte Förderung der Volkshochschule im Landkreis.« Welche Kursangebote, Projekte oder Seminare konkret dem Rotstift geopfert werden müssten, sei allerdings noch nicht absehbar. »Wir müssen jetzt erst mal abwarten, wie’s weitergeht«, so die beiden Vhs-Leiter mit Blick auf die bevorstehende Tagung der CSU-Landtagsfraktion in Wildbad Kreuth am kommenden Montag, 9. Januar. Inzwischen habe die Diskussion um die Einsparungen für Wirbel gesorgt, freut sich auch Becke: »Es sind ja nicht nur alle betroffenen Organisationen auf die Barrikaden gegangen, sondern auch einige der CSU-Vertreter selbst machen gegen die Kürzungspläne mobil.«

Unger wähnt das Kultusministerium noch »in einem schwierigen Spagat«, da nehmen zuständige Landtagsabgeordnete schon mit den Vhs-Verantwortlichen Kontakt auf, um sich nach der genauen Situation zu erkundigen.

Vom offensichtlichen Wählerdruck gestärkt fordert Becke deshalb klare Signale aus Kreuth: »Das Thema Einsparungen in der Erwachsenenbildung muss endlich vom Tisch!« Auf faule Kompromisse wolle er sich diesmal nicht einlassen. »Man könnte sich ja auch überlegen, ein Volksbegehren zur Grundsicherung der Erwachsenenbildung anzustreben« – um aus der wackligen freiwilligen Leistung eine Pflicht machen. Hoffnungen auf den Schwerpunkt Bildungspolitik bei der CSU-Tagung hegt auch May: »Investitionen in die Bildung sind keine Kosten, sie sind entscheidende Maßnahmen für die Zukunft.« Gerald Feind

Artikel vom 03.01.2006
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...