Ungewöhnliche Saisonplanung beim TSV 1860 München

Löwen-Sportdirektor als Kollektivleistung

Kaderplaner und Trainer: Maurizio Jacobacci. Foto: Anne Wild

Kaderplaner und Trainer: Maurizio Jacobacci. Foto: Anne Wild

München/Giesing · Nach dem Ende der vergangenen Spielzeit verließ bekanntlich nicht nur Sport-Geschäftsführer Günther Gorenzel den TSV 1860 München, sondern auch 15 Spieler kehrten Giesing den Rücken. Zwölf Neuzugänge wurden seither an der Grünwalder Straße unter Vertrag genommen. Geplant und bewerkstelligt wurde der Komplettumbruch des Kaders auf ungewöhnliche Weise. Denn die Löwen haben nicht etwa die fachliche Expertise eines neuen Sportdirektors bemüht, ein solcher wurde gar nicht erst eingestellt, sondern eine Gruppe Beschäftigter aus dem Unternehmen übernahm diese Aufgabe mit Hilfe externer Berater im Kollektiv.

»Was wir geleistet haben, ist enorm«, berichtete Trainer Maurizio Jacobacci auf einer Pressekonferenz vergangene Woche den versammelten Sportjournalisten. Beim TSV 1860 München ruhen nun die sportlichen Hoffnungen auf einer Personalplanung, die der erfahrene Wahl-Schweizer gemeinsam mit Finanz-Geschäftsführer Marc-Nikolai Pfeifer ersonnen hat. Obgleich er selbst lediglich ein befristetes Arbeitspapier für eine Saison besitzt, sei bei der Zusammenstellung der neuen Mannschaft stets perspektivisch im Sinne des Klubs gehandelt worden, betonte Jacobacci.

In den vergangenen zwei Monaten habe er häufig nur sechs Stunden geschlafen und sei ansonsten rund um die Uhr für den TSV 1860 München tätig gewesen. Es galt potentielle Kandidaten für verschiedene Positionen am Computer zu sichten und viele Telefonate zu führen. Der 60-Jährige bedankte sich für die fachliche Unterstützung in dieser für ihn herausfordernden Tätigkeit beim im Klub angestellten Fußball-Scout Jürgen Jung. Unter den gegebenen Umständen habe man »sehr gute Arbeit geleistet«. Die Athleten, die verpflichtet wurden, seien auch »nicht irgendwie gekommen«, dahinter stecke schon »eine Struktur«, erklärte Jacobacci.

Ebenfalls Teil der regen Handlungsgemeinschaft ist Anthony Power, den meisten Anhängern des Klubs als hemdsärmeliger Interessenvertreter von Klubgesellschafter Hasan Ismaik und Leiter des Fanshops bekannt. Zwar versuchte Jacobacci den in den Medien entstandenen Eindruck, der US-Amerikaner bestimme die Personalpolitik mit, zu entkräften, räumte aber zugleich ein, Power habe bei Personalgesprächen am Tisch gesessen. Er, als Trainer, sei davon selbst etwas überrascht gewesen, wolle aber Powers Anwesenheit als Unterstützungsleistung interpretiert sehen.

»Jemand der mich kennt, weiß, wenn ich eine Marionette werde, dann bin ich nicht mehr da«, stellte Jacobacci klar. Die Mannschaft sei nach seinen Wünschen zusammengestellt und der Kader ein Resultat gemeinsamer Anstrengungen. »Mein Ziel ist es, ein Team zu präsentieren, das meinen Ansprüchen genügt und Charakter hat, sich nicht unterkriegen lässt im Spiel«, formulierte der Ex-Profi. Deshalb habe man ausschließlich Spieler verpflichtet, »die sich beweisen wollen« und »die sehr gerne zu diesem Klub gewechselt sind«.

Seine Akteure stünden »am Anfang von etwas Größerem«, ist Jacobacci überzeugt. Viele von ihnen wären zu weit mehr fähig als sie in ihren sportlichen Karrieren bislang gezeigt hätten. Beraten wurde das den Kader gestaltende Trio vom Investorenvertreter und Aufsichtsratsvorsitzenden der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA, Athanasios »Saki« Stimoniaris, der in einem eigens anberaumten Pressegespräch während des Trainingslagers im österreichischen Windischgarsten den besonderen Geist der Zusammenarbeit lobte und eine Budgeterhöhung versprach.

Ob das Experiment »Sportdirektor in Form eines Kollektivs« die von den Verantwortlichen erhofften Früchte trägt, wird sich zeigen. Unmittelbar vor Saisonbeginn sind die Möglichkeiten für alle Klubs noch groß. Mancher träumt vom Aufstieg in die Zweite Liga und künftige Absteiger ahnen noch nichts von ihrem Künstlerpech. Zumindest eine Randnotiz für die vermutlich ungewöhnlichste Saisonplanung im deutschen Profifußball dürfte der TSV 1860 München schon mal sicher haben.

(as)

Artikel vom 29.07.2023
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