"Das 'S' in SPD verstehe ich als Auftrag"

SPD-Chef Florian von Brunn über Errungenschaften und Herausforderungen

Florian von Brunn: "Ohne uns gäbe es keine Mietpreisbremse, keinen Mindestlohn und keine politische Unterstützung für gute Arbeit und Tarifverträge."   Foto: Privat

Florian von Brunn: "Ohne uns gäbe es keine Mietpreisbremse, keinen Mindestlohn und keine politische Unterstützung für gute Arbeit und Tarifverträge." Foto: Privat

München · SPD-Landtagsfraktion hat Florian von Brunn im Mai zu ihrem neuen Vorsitzenden gewählt. Der Münchner vereint damit die Führung der Bayern-SPD und der Fraktion: Ende April hatten die Genossen ihn und Ronja Endres zu ihren neuen Vorsitzenden gewählt.

Florian von Brunn beantwortete die Fragen von Johannes Beetz.

"Wir werden in Mithaftung genommen"

"Ich will die bayerische SPD wieder stark machen“, haben Sie nach Ihrer Wahl zum Fraktionsvorsitzenden gesagt. Aber warum ist die SPD denn überhaupt so schwach?

Florian von Brunn: Die SPD hat in der GroKo wichtige Fortschritte für die Menschen erzielt. Sie hat den Mindestlohn und die Grundrente eingeführt, Familien von Pflegekosten entlastet und viel Geld für gute Kitas durchgesetzt, den sozialen Wohnungsbau wiederbelebt, Frauen in Aufsichtsräte gebracht und die brutale Ausbeutung in der Fleischindustrie beendet. Leider haben wir es nicht geschafft, diese Erfolge „rüberzubringen“. Wir werden für die Blockadepolitik von CDU und CSU in Mithaftung genommen. Deswegen müssen wir jetzt unser Profil umso deutlicher zeigen. Dazu gehört auch sozial gerechte Klimaschutzpolitik! Im Wahlprogramm von Olaf Scholz und der SPD verbinden wir soziale Gerechtigkeit mit Klimaschutz und wirtschaftlichen Innovationen.

"Ich gehe auf alle zu"

Sie sind in Ihrer Fraktion mit knapper Mehrheit zum Vorsitzenden gewählt worden. Ist das ein Zeichen der Gespaltenheit einer Partei (man denke an das kürzliche Bundestagsnominierungs-Gerangel zwischen Roloff und Post) oder ein Zeichen innerparteilicher Transparenz? Wahlen mit nur einem einzigen Kandidaten und 99-Prozent-Mehrheiten sind ja auch nicht das Gelbe vom Ei.

Florian von Brunn: Ich bin in einer demokratischen Wahl gewählt worden. Es war klarer als beim letzten Mal, wo die Entscheidung erst im dritten Wahlgang gefallen ist. Aber darauf kommt es nicht an. Wichtig ist, dass wir in der Fraktion gut zusammenarbeiten. Dafür setze ich mich ein und deswegen gehe ich auf alle zu. Schließlich geht es darum, dass wir gemeinsam den Menschen in Bayern eine gute, soziale Alternative zu der Amigo-Politik der CSU anbieten.

"Wir haben Großartiges durchgesetzt"

Sie wollen sich – und das ist ureigenste „DNA“ der SPD - besonders einsetzen „für die Menschen, die nicht mit einem Silberlöffel im Mund geboren worden sind“. Gleichwohl leben wir in einem Land, in dem sehr vieles hervorragend funktioniert. Tut sich die SPD mit ihren Programmen auch deshalb so schwer, weil es den meisten von uns ganz gut geht?

Florian von Brunn: Die SPD und die Gewerkschaften haben großartige soziale Errungenschaften in Deutschland durchgesetzt. Gerade durch den Sozialstaat haben breitere Schichten von Wohlstand und wirtschaftlichem Erfolg profitiert. Möglicherweise führt das auch dazu, das manche glauben, soziale Politik sei nicht mehr so wichtig. Aber die Steigerungen bei den Mieten, der starke Rückgang von tariflich bezahlter Arbeit gerade in Bayern und die Zunahme von schlecht bezahlten Jobs zeigen: SPD und Gewerkschaften sind wichtiger denn je. Ohne uns gäbe es keine Mietpreisbremse, keinen Mindestlohn und keine politische Unterstützung für gute Arbeit und Tarifverträge.

"Es muss mehr Grund in öffentliche Hand"

**Wer eine Familie gründen will, braucht einen sicheren Arbeitsplatz, eine sichere Wohnung, tragfähige Perspektiven. Ein Berufsanfänger kann sich im Raum München aber kaum eine Wohnung leisten. Wir brauchen zeitnahe Lösungen zumindest für unsere Kinder – gibt es die beim Wohnungsbau überhaupt?

Florian von Brunn: Wir kämpfen für einen bundesweiten Mietenstopp für fünf Jahre, um den Mieterinnen und Mietern eine Atempause zu verschaffen. In diesem Zeitraum darf die Miete nur mit den ‚normalen‘ Preisen steigen, als Inflationsausgleich. Außerdem brauchen wir viel mehr Wohnungen von Genossenschaften und städtischen Wohnungsbaugesellschaften. Dafür wollen wir diese wieder gemeinnützig machen. Städte und Gemeinden müssen Grund und Boden zu vernünftigen Preisen kaufen können – und nicht zu hochspekulierten Mondpreisen. Das ist ein sehr guter Vorschlag von Oberbürgermeister Reiter. Wenn wir bezahlbare Wohnungen wollen, können wir nicht auf den Markt vertrauen. Stattdessen muss viel mehr Grund und Boden in öffentliche Hand.

"Das ist viel zu wenig"

**Wir alle wollen gute Schulen und für alle Kinder faire Bildungs- und Zukunftschancen. Die SPD setzt dabei unter anderem auf den Ganztag. Der erschöpft sich bisher zu oft nur in Betreuung, damit die Eltern arbeiten gehen können. Wie wollen Sie einen Ganztag hinbekommen, der wirklich hält, was er an Bildung verspricht? Und lassen Sie dabei nicht die – vielen – Familien außer Acht, die alleine bestens zurechtkommen? Bevormunden Sie da am Ende nicht zu sehr?

Florian von Brunn: Wir sind in Bayern weit davon entfernt, allen Familien mit Bedarf Ganztagsplätze in der Schule anbieten zu können. Der Bayerische Lehrerinnen- und Lehrerverband (BLLV) sagt, dass der Ganztag nur für ein knappes Viertel der Schülerinnen und Schüler zur Verfügung steht. Das ist viel zu wenig. Deswegen wollen wir deutlich mehr in Bildung investieren. Wir brauchen mehr Lehrkräfte und mehr Geld für die Kommunen. Dann können sie in moderne Schulgebäude und Digitalisierung investieren. Bildung kostet, ja. Aber das muss uns gute Schule und Bildungsgerechtigkeit wert sein. Es geht schließlich genau darum, dass Kinder nicht nur verwahrt werden. Sie sollen gefördert und unterstützt werden. Wir hinken übrigens bei einem Viertel Ganztagsplätze im Freistaat nicht nur hinter den anderen Bundesländern her, sondern sind dadurch auch weit von einer vermeintlichen Bevormundung entfernt. Ganztagsbetreuung ermöglicht außerdem beiden Eltern die Berufstätigkeit nach eigener Wahl.

"Wir brauchen Regeln"

Die Digitalisierung wird unsere Arbeitswelt grundlegend verändern. Sie als IT-Experte wissen das besser als die meisten von uns. Dieser Wandel hat Schattenseiten: Man kann heute online Arbeitskräfte buchen, deren Situation sich rechtlichen und sozialen Mindeststandards leicht entzieht. Wie können wir die künftige Arbeitswelt so regeln, dass die Menschen in ihr nicht unter die Räder kommen?

Florian von Brunn: Die Digitalisierung bringt erhebliche Erleichterungen, aber auch Nachteile. In vieler Hinsicht macht sie das Leben leichter – vom Internet bis zum Smartphone. Aber wir brauchen Regeln, insbesondere wenn es um Arbeit geht. Deswegen sind starke Gewerkschaften, Tarifverträge und gute Arbeitsschutzregeln so notwendig. Wenn es nach CSU, Freien Wählern und FDP ginge, würden sie alle Schutzregeln für Arbeitnehmer aufweichen. Bayern ist ohnehin schon das Bundesland mit dem niedrigsten Anteil an tarifvertraglich bezahlter Arbeit. Das ist eine Schande. Die Lehre muss sein: Wir brauchen klare Regeln und strenge Kontrollen, insbesondere für Beschäftigte von Lieferdiensten, die nicht erst seit Corona immer mehr werden. Deswegen hat die SPD mit Arbeitsminister Hubertus Heil die Gründung von Betriebsräten erleichtert. Außerdem treten wir für ein Recht auf Erholung und Nichterreichbarkeit ein: Niemand darf gezwungen werden, am Feierabend noch Nachrichten zu beantworten.

"Wir profitieren vom Umwelt- und Klimaschutz"

Corona hat wichtige Themen wie Klimawandel und Nachhaltigkeit zur Seite geschoben. Wer ernsthaft um seine wirtschaftliche Existenz bangt oder nicht weiß, wovon er im nächsten Monat die Miete zahlen kann, dem ist ein Klimaziel für „20-irgendwann“ zunächst mal egal. Welchen Stellenwert hat Klimapolitik in der gegenwärtigen Lage für Sie? Und welchen echten Beitrag kann ein überschaubares Land wie Bayern leisten, um eine globale Bedrohung wie den Klimawandel abzufedern?

Florian von Brunn: Die Klimaerhitzung ist die größte politische Herausforderung im 21. Jahrhundert. Wir erleben sie auch in Deutschland schon selbst: Hitzesommer und Hochwasser, Milliardenverluste in der Landwirtschaft und gigantische Schäden durch Extremwetter. Wir haben die Pflicht, unseren Kindern eine sichere und gute Welt zu übergeben. Außerdem kosten die Klimaschäden viel mehr als eine gute Klimaschutzpolitik, die Schäden vermeidet. Bayern ist das reichste Bundesland mit hochqualifizierten Arbeitnehmern und innovativen Unternehmen. Wir können der Welt zeigen, dass man Klimaschutz mit wirtschaftlichem Wohlstand und sozialer Gerechtigkeit vereinen kann. Und wir können Lösungen entwickeln, die anderen Ländern helfen, Klimaschutz zu betreiben. Wir profitieren übrigens auch von Umwelt- und Klimaschutz: durch neue Arbeitsplätze und Exporte.

"Gift und Hetze bringen niemanden weiter"

Wir Bürger sind komplizierte Wesen: Wir wollen überall schnelles Internet, aber keinen Funkmast in der eigenen Nachbarschaft. Wir wollen „sauberen“ Strom, aber bitte weder Windräder oder Stromtrassen in Sichtweite. Sie können es uns also nie recht machen. Warum machen Sie trotzdem Politik? Und wie können Sie den Bürgern das Gefühl geben, sie ernstzunehmen, ohne jedes Anliegen erfüllen zu können?

Florian von Brunn: Das „S“ in SPD steht für sozial. Ich verstehe das als Auftrag, für die Menschen da zu sein, die sich an mich wenden. Es ist auch ganz normal, wenn Menschen zuerst ihre Interessen vertreten. Das ist gelebte Demokratie. Das Gift und die Hetze von rechtsradikalen Parteien bringt niemanden weiter. Deshalb ist mir wichtig, dass Politik und Bürger im Dialog bleiben und sich vernünftig austauschen. Deswegen beantworte ich viele E-Mails von Bürgern selbst. Meine Mitarbeiterinnen kümmern sich immer zuerst um die Menschen, die Probleme haben und Hilfe brauchen. Das haben wir so besprochen. Dafür müssen manche andere etwas warten, die mir nur ihre „Meinung geigen“ wollen. Hilfe hat bei uns Vorrang. Deswegen biete ich in meinem Bürgerbüro auch Mieterberatung an. Wir arbeiten aber auch mit verschiedenen Gewerkschaften zusammen, wenn es um die Rechte von Beschäftigten geht.

"Die Grünen können leicht alles versprechen"

Die Grünen haben in den letzten Jahren bei vielen Wahlen zugelegt, während die „Volksparteien“ CSU und SPD kaum noch vom Fleck kommen. Was haben die Grünen, was SPD und CSU nicht haben? Verstehen „die Jungen“ einfach nichts mehr von Sozialdemokratie?

Florian von Brunn: Die Grünen haben den großen Vorteil, dass sie im Bund lange nicht regiert haben. Sie haben eine vermeintlich weiße Weste und können so leicht alles versprechen. Wenn man aber in die Bundesländer schaut, wo sie regieren, sieht es leider anders aus. Da sieht man: Sie kochen nur mit Wasser oder machen sogar rückschrittliche Politik. Das geht in der öffentlichen Debatte leider oft unter. Ein Beispiel ist Hessen: Dort wurde unter grüner Regierungsbeteiligung eine vierte Startbahn am Frankfurter Flughafen gebaut und es werden neue Autobahnen genehmigt. Die Zahl der Sozialwohnungen ist dort drastisch zurückgegangen. Herr Habeck selbst hat in Schleswig-Holstein als Minister sogar der Aussetzung der Mietpreisbremse zugestimmt. Allerdings glaube ich, dass der grüne Höhenflug sich jetzt schon dem Ende zuneigt. Natürlich spielen dabei auch die Fehler mit dem Lebenslauf ihrer Kandidatin eine Rolle. Das hat bei vielen Menschen Zweifel geweckt.

"Social Media hat uns nicht nur gutgetan"

Bei alle Unterschieden zwischen den Parteien und auch zwischen den „Lauten“ auf der Straße und den „Leisen“: Im Umgang mit der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, dass die übergroße Mehrheit der Bürger und Politiker zusammenhält und bedacht agiert, um die Krise durchzustehen. Stehen wir also gar nicht so zerrissen da, wie es sich mitunter anfühlt?

Florian von Brunn: Es gibt in unserer Gesellschaft sehr viele vernünftige und soziale Menschen, die sich für das Gemeinwohl und Zusammenhalt einsetzen. Das sieht man besonders gut im ehrenamtlichen Bereich, egal ob es um die Nachbarschaftshilfe oder den Sportverein geht. Das Verhalten vieler Menschen während der Corona-Pandemie war vorbildlich. Das ist ein gutes Zeichen. Leider hat Social Media unserer Gesellschaft nicht nur gutgetan. Dort herrscht teilweise ein abstoßender Ton. Es wird gestritten, beleidigt und gedroht. Dagegen sind die vielzitierten Stammtische harmlos. Das zeigt: Nicht jeder vermeintliche Fortschritt ist ein Gewinn.

"Wir brauchen die Windkraft"

Sie halten eine sozial-ökologische Erneuerung des Freistaats für nötig. Wenn Sie Ministerpräsident wären, welche drei Dinge stünden ganz oben auf Ihrer To-Do-Liste, um diese Erneuerung zu starten?

Florian von Brunn: Ich würde erstens sofort den Windkraftstopp in Bayern aufheben. Wir brauchen die Windkraft für die Energiewende, gerade in den Zeiten, in denen die Sonne nicht scheint und die Photovoltaik keine Energie liefert. Ohne Windkraft keine Energiewende und ohne Energiewende kein Klimaschutz.
Außerdem würde ich mich für einen massiven Ausbau des öffentlichen Verkehrs einsetzen. „Mein“ öffentlicher Verkehr würde auch überall auf dem Land fahren, es gäbe einen einheitlichen Tarif für ganz Bayern und niedrige Fahrpreise. Außerdem wären alle Bahnhöfe barrierefrei.
Schließlich würde ich dafür sorgen, dass es in Bayern öffentliche Aufträge nur noch für Firmen gibt, die ihre Mitarbeiter ordentlich tariflich bezahlen, weltweit soziale Standards einhalten und keinen Raubbau an der Umwelt betreiben. Ich würde also ein Tariftreue- und Vergabegesetz einführen.

"Ich mag Inszenierung nicht"

Sie haben Markus Söder eine „Ego-Show“ vorgeworfen. Sie wiederum werden von der SZ nicht unähnlich als ein „im Zweifel schmerzfreier Kämpfer“ beschrieben. Wie viel „Ego“ darf – nein, muss – ein Politiker haben, damit er konkrete Dinge für uns Bürger umsetzen kann?

Florian von Brunn: Markus Söder inszeniert sich und seine Politik. Er hat sich selbst als der größte Corona-Manager aller Zeiten dargestellt, obwohl in Bayern die Infektionszahlen häufig höher waren als in den meisten anderen Bundesländern. Außerdem wurden viele Fehler gemacht: vom Testchaos bis zu den fragwürdigen Maskendeals zu Mondpreisen. Das gefällt mir nicht. Ich mag Inszenierung nicht. Aber ich lebe für die Politik und ich setze mich auch hart mit politischen Gegnern auseinander. Da geht es mir um das Prinzip: Ich mag keinen Lobbyismus und schon gar keine Amigowirtschaft, wie sie die CSU praktiziert und die Freien Wähler leider kopiert haben. Deswegen werde ich immer dafür kämpfen, dass Politik ausschließlich die Interessen der Menschen vertritt. Wenn nötig auch mit harten Bandagen.

Artikel vom 25.06.2021
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