Oder auch: Warum in München die Mäuse die Weihnachtsgeschenke verteilen

Bescherung in München

München · Es war einmal, vor gar nicht allzu langer Zeit, eine kleine Mäusefamilie im Englischen Garten. Die lebte friedlich und zufrieden.

Nur wenn der Winter Einzug hielt – und das tat er in regelmäßigen Abständen – war es mit der Beschaulichkeit vorbei: Papa Maus sammelte noch hektisch die letzten Samen und Nüsse aus den schneebedeckten Büschen zusammen, Piccolino und Gorgonzola, die beiden kleinen Mäuseracker dichteten alle Ritzen und Fugen gegen die hereinziehende Kälte ab und Mama Maus weckte Vorräte ein.

Und immer wenn sich das Jahr dem Ende zu neigte und vom Chinesischen Turm Glühweinduft herüberwehte, buck sie Plätzchen und putzte die kuschelige Höhle feiertags-fein. War das endlich geschafft, versammelten sie sich mit glänzenden Augen in ihrer Höhle am Fuße der alten Eiche. Sie verschlossen den Eingang mit einem dicken lila Wollknäuel und machten schließlich am 23. Dezember das große leckere Winterbegrüßungs-Käsefondue.

Anschließend kuschelten sich dann alle gemeinsam auf der Kaschmirdecke zusammen und glitten sanft hinüber in den Winterschlaf. Schnee und Eis war ihnen zutiefst zuwider. Doch in diesem Jahr sollte alles anders werden. Kaum hatten sich Papa und Mama Maus mit Piccolino und Gorgonzola um den großen köchelnden Topf versammelt und das traditionelle Lied angestimmt, hörten sie einen lauten Knall und ihre ganze Höhle erbebte.

Der flüssige Käse ergoss sich über den frischgewachsten Fußboden und sie hörten ein lautes und tiefes "Ooooh! Ho! Ho! Ho!" "Was war das?" rief Mama Maus ganz verschreckt. "Ein Bär," brummte Papa Maus. "Ein betrunkener Christkindlmarktbesucher" meinte Gorgonzola. "Laßt uns nachsehen," jubelte Piccolino, der jede Gelegenheit wahrnahm, um der winterlichen Höhle noch einmal zu entkommen.

Gesagt getan. Vorsichtig steckten die Mäuse ihre Nasen in die Kälte und siehe da, vor ihnen lag ein großer alter Mann, mit weißem Bart und rotem Mantel. Ein paar Meter weiter standen verschreckte Rentiere und direkt neben Ihnen lag ein kaputter Schlitten und hunderttausend Päckchen im Schnee verstreut. "Ho! Ho! Ho!" murmelte der Mann ganz benommen vor sich her. "Oh, oh, oh, was soll ich nur machen? Kein Schlitten heißt keine Geschenke und das bedeutet viele weinende Kinderaugen." – "Warum" unterbrach Piccolino vorlaut die Gedanken des alten Mannes.

"Warum weinen die Kinder und warum bekommen sie Geschenke, oder auch keine Geschenke?"- "Weißt Du, das Leben der Menschen ist nicht ganz so einfach. Sie haben Stress in der Schule, in der Arbeit oder auch in der Familie und so vergessen sie oft den anderen Menschen zu zeigen, dass sie sie mögen und brauchen. Aber einmal im Jahr, an Weihnachten wird ein Zeichen gesetzt. Alle Menschen bekommen kleine Geschenke. Dann wissen sie, dass es Menschen gibt, die sie gern haben und an sie gedacht haben. Und ich habe die große Ehre die Geschenke zu verteilen. Aber jetzt liegen die ganzen großen und kleinen Pakete im Schnee und mein Schlitten ist kaputt. Wie soll ich die Geschenke nur verteilen?" Mit würdevollem Gesicht krabbelte Papa Maus auf den Arm des alten Mannes und blickte ihm tief in ein Auge: "Wir helfen Dir! Wir sind zwar klein und unscheinbar, aber dafür sind wir viele. Und gemeinsam schaffen wir alles! "

Gesagt, getan. Innerhalb kürzester Zeit hatten Piccolino und Gorgonzola alle Mäusefamilien im Park aus Ihren Höhlen geklopft. Sie zogen und zerrten an den Päckchen. Sie hieften und stießen an den Geschenken. Quer durch die Stadt ging ihre Reise, über Straßen und Kreuzungen, über Brücken und durch Unterführungen bis nach Moosach, Eching, Unterföhring und Berg am Laim.

Voller Elan packten sie alle an und legten vor jeder Tür unter jedem Weihnachtsbaum und unter jeder Parkbank das eine oder andere Geschenk ab. "Passt auf, dass Ihr niemanden vergesst", erinnerte Piccolino die anderen Mäuse immer wieder. "Jeder muss etwas bekommen, egal was, denn jeder Mensch muss wissen, dass es irgend jemanden gibt, der ihn lieb hat." Und so verteilten sie die Geschenke in den Alten- und Service Zentren, in der Maikäfer-Siedlung, in der Studentenstadt, im Bogenhausener Nobelviertel und an allen anderen möglichen und unmöglichen Orten in der ganzen Stadt.

Wie in jeder vorweihnachtlichen Nacht konnten auch in diesen frühen Morgenstunden viele der kleine Münchner Menschenkinder vor Aufregung nicht schlafen. Immer wieder schauten sie aus dem Fenster um einen Blick auf den Weihnachtsmann in seiner Kutsche zu erhaschen. Interessanter Weise behaupteten sie alle am nächsten Morgen steif und fest, dass die Helfer des Weihnachtsmannes gar keine Engelchen wären, sondern kleine Mäuse mit dicken, bunten Mützen und Schals.

Nur von den Erwachsenen glaubte es natürlich niemand..., auch nicht als die alte, einsame Frau im Altenheim den Gameboy vor ihrer Zimmertür fand, der Vater unter der Gartenbank die neue Kochtopfgarnitur und der Obdachlose unter der Isarbrücke die feine Seidenbluse.

Artikel vom 19.12.2001
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