Zu wenige Kreißsäle

Geburtenrekord wird für München zum massiven Problem

In München kommen immer mehr Kinder zur Welt. Doch Lücken in der Versorgung stellen Hebammen und werdende Mütter vor Probleme. 	Symbolfoto: Claire51700, CC0

In München kommen immer mehr Kinder zur Welt. Doch Lücken in der Versorgung stellen Hebammen und werdende Mütter vor Probleme. Symbolfoto: Claire51700, CC0

München · Die Hebammen in München schlagen Alarm. In München kommen jedes Jahr mehr Kinder zur Welt, während die Strukturen in der Stadt immer schlechter zu werden scheinen.

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Das läuft jetzt schon seit Jahren so, weshalb Die Grünen/ Rosa Liste im Münchner Stadtrat mit einer Anfrage und zwei Anträgen auf die besorgniserregende Entwicklung hinweisen, die darüber hinaus von einem »Hebammennotstand« begleitet werde. Auch die Bayernpartei im Stadtrat fordert die Stadtverwaltung auf, »eine ausreichende Versorgung für Mütter und Kinder zu schaffen«.

Was genau heißt das? »Wir brauchen neue Kreißsäle in München«, fordert Claudia Lowitz. Die freiberufliche Hebamme kann auf jahrelange Berufserfahrung zurückblicken. Sie weiß: So prekär wie jetzt war die Situation noch nie und die Perspektiven seien alles andere als rosig. Aber die Hebammen hätten keine Lobby, klagt Lowitz, und so sind die Forderungen der Geburtshelferinnen und Geburtshelfer in den letzten Jahren ungehört verhallt. Das scheint sich jetzt zu ändern. Mit den Stadtratsanträgen könnte das Thema in der politischen Agenda nach oben rücken.

Bewirkt hat das auch der Münchner Geburtenrekord des vergangenen Jahres. 18.107 Kinder kamen 2016 hier zur Welt, etwa 900 mehr als 2015. Und für 2017 deutet sich noch mal eine Steigerung an. Das alles kommt für Claudia Lowitz nicht unerwartet. Um mit dieser Entwicklung Schritt zu halten, müsste in München alle zwei Jahre ein zusätzlicher Kreißsaal eingerichtet werden.

Anfang 2015 habe es in München 44 Kreißsäle in staatlichen und privaten Einrichtungen gegeben, teilt das Gesundheitsreferat auf Anfrage mit. Aktuellere Zahlen gebe es derzeit nicht, im Referat geht man jedoch davon aus, dass die Zahl derzeit bei 48 oder 49 liegt. Nach Angaben der Grünen seien im Jahr 2014 über 800 werdende Mütter kurz vor der Geburt von Krankenhäusern in München abgewiesen worden. Bei der Gesundheitskonferenz im vergangenen Herbst erklärte Münchens Gesundheitsre- ferentin Stephanie Jacobs, dieses Vorgehen gebe es inzwischen nicht mehr. Dem widerspricht Lowitz energisch: »Dass die Zahl der an der Kreißsaaltür abgewiesenen Frauen unter der Geburt rückläufig ist, kann ich nicht bestätigen. Im Gegenteil: Immer öfter berichten mir Frauen von ihren abenteuerlichen Verlegungen von einem Kreißsaal in den nächsten.«

Hans Theiss, gesundheitspolitischer Sprecher der CSU-Fraktion im Stadtrat, relativiert die Vorgänge: »Es sind Fälle bekannt, dass Frauen heimgeschickt wurden«, bekennt er. Weil Schwangerschaft und Geburt nicht zuverlässig planbar seien, könne es vorkommen, dass eine Klinik im entscheidenden Moment keine Kapazitäten habe. »Das ist dann auch emotional schwierig für die Frauen«, berichtet Theiss. Emotional schwierig ist es für die Hebammen, wenn sie aufgrund von Arbeitsüberlastung Anfragen ablehnen müssen. Wenn sie gleichzeitig drei oder vier Mütter während der Geburten versorgen müssen. Wenn sie unter der finanziellen Belastung der Haftpflichtversicherung zusammenbrechen und im Gegenzug sehr bescheiden nach der Gebührenordnung bezahlt werden. Und wenn in der Folge all dieser Umstände die Zahl der Hebammen zurückgeht und die verbliebenen noch mehr stemmen müssen, einschließlich der an sich erfreulichen Geburtenrekorde in München.

»Wie sich die Situation in der Vergangenheit entwickelt hat, ist zu bedauern«, meint Theiss. Aber für die Haftpflichtproblematik gibt es nach wie vor keine Lösung. Die Bezahlung der Hebammen? Wurde nicht neu verhandelt. Beides liegt nicht im Einflussbereich des Stadtrats. Wohl aber die Ausstattung mit Versorgungseinrichtungen in München. »Die Zahl der Kreißsäle an den städtischen Kliniken wird zunehmen«, erklärt Theiss. Eine kuriose Aussage in den Ohren von Claudia Lowitz, ist das Schicksal der Geburtshilfe-Abteilung in Neuperlach doch besiegelt: Die Schließung bis spätestens 2022 und die Zusammenlegung mit Harlaching sind bereits beschlossene Sache. In Neuperlach erblickten 2016 »nur« 1.364 Kinder das Licht der Welt. Damit ist die Geburtenstation dort die kleinste unter denen der Städtisches Klinikum München GmbH.

Hebamme Claudia Lowitz: »Die Not wird größer, wir müssen Druck machen!«

Unverständnis herrscht bei Claudia Lowitz über die Schließung: »Die Not wird größer, wir müssen Druck machen.« Einer der beiden Grünen-Anträge fordert eine Anhörung zur Gesamtsituation der Geburtenbetreuung in München, die sowohl die staatlichen wie auch die privaten Einrichtungen miteinbeziehe. Die Erkenntnisse aus der Anhörung sollten wiederum in eine Verbesserung der Situation münden – ein langwieriger Prozess, der längst hätte in Gang gebracht werden müssen. »Es ist eine Frage der Zeit, bis eine Frau zu Schaden kommt«, befürchtet Claudia Lowitz.

Gleichzeitig fordern die Stadtratsanträge strukturelle und finanzielle Verbesserungen für Hebammen in München. »Insgesamt ist die Situation äußerst prekär und unbefriedigend«, kritisiert die Grünen-Stadträtin Lydia Dietrich, die die treibende Kraft hinter den Anträgen ihrer Fraktion ist. Sie will nicht noch mehr Zeit verlieren. Seit Jahren mache Dietrich auf die Situation der ­Geburtshilfe und der Hebammen in München aufmerksam, doch die Steuerungsmöglichkeiten des Stadtrats seien gering. Und so müssen die Hebammen weiter um Verbesserungen kämpfen, immer auf die großen Entscheider angewiesen, die vor den Zuständen bisher die Augen verschlossen haben. Von Carsten Clever-Rott

Artikel vom 24.02.2017
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