»powerwalk«: Kritik an hohem Energieverbrauch unserer Konsumgesellschaft

Münchner Künstler mit Windrädern auf Europas größten Gletscher

Am meisten wiegen die Akkus für die Windräder: Mit 30 Kilo Gepäck pro Person brechen die Künstler am Montag zu ihrer Tour über den isländischen Gletscher auf.	Foto: Privat

Am meisten wiegen die Akkus für die Windräder: Mit 30 Kilo Gepäck pro Person brechen die Künstler am Montag zu ihrer Tour über den isländischen Gletscher auf. Foto: Privat

München · Vor genau 25 Jahren kämpften zwei Münchner Bergsteiger auf dem größten Gletscher Europas während eines zweieinhalbwöchigen Schneesturms um ihr Überleben.

Jetzt kehren Wolfgang Aichner und Thomas Huber für eine besondere Kunstaktion zurück zum Vatnajökull in Island, ein Eismassiv, unter dem einige hochaktive Vulkane mehr oder weniger schlummern.
»Der Wind war damals unser Dilemma, jetzt wollen wir ihn künstlerisch nutzen«, sagt Wolfgang Aichner, der am Montag, 9. September, mit seinem Künstlerkollegen Thomas Huber als Künstlerduo »GÆG« zum einwöchigen »powerwalk« aufbricht, wie die 47-Jährigen ihre Expedition nennen. Wir sprachen mit Wolfgang Aichner über die aktuelle Aktion und das einschneidende Bergerlebnis 1988.

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Münchner SamstagsBlatt: Sie laufen mit Windrädern auf der Schulter über einen Gletscher, warum?

Wolfgang Aichner: Wir sind als menschliche Energiestationen unterwegs, die Windräder erzeugen permanent Strom. Mit dem Gewinnen von Energie und deren Verbrauch, wollen wir ein absurdes Bild erschaffen, das den aktuellen Wettlauf der Industrieländer um natürliche Ressourcen und Energien und eine auf Effizienz, Profit und Unterhaltung ausgerichtete Gesellschaft thematisiert.

Was passiert mit der bei der Wanderung erzeugten Energie?

Wolfgang Aichner: Die in speziellen Akkus gespeicherte Energie wird nach der Rückkehr nach München dazu genutzt, zwei Waschmaschinen anzutreiben, die unsere Expeditionskleidung waschen.

Was ist der höhere Sinn dabei?

Wolfgang Aichner: Die Absurdität der Aktion lässt sich unseres Erachtens in ihrer Metaphorik auf unsere konsumorientierte Gesellschaft generell übertragen.

Warum gehen Sie nach Island?

Wolfgang Aichner: Island gilt innerhalb Europas oder sogar weltweit als das Land, das für hohe natürliche Energieaufkommen bekannt ist: Geothermie, Wasser- und Windkraft, die mit großem wirtschaftlichen Erfolg genutzt werden. Trotzdem ist das Thema auch bei den Isländern nicht unumstritten, wie man an der Kritik für ein neues Kraftwerk sieht, das für die energie­­­inten­sive und umweltschädigende Aluminiumindustrie gebaut wurde. Außerdem haben wir einen persönlichen Bezug.

Welchen denn?

Wolfgang Aichner: Vor genau 25 Jahren haben wir schon eine Tour auf diesen Gletscher gemacht, als Bergsteiger, nicht als Künstler. Da zwang uns ein fürchterlicher Eissturm, Ausläufer des Hurricanes Gilbert, zur Pause. Wir haben mehr als zwei Wochen im Zelt mitten auf dem Gletscher ausgeharrt, der so groß ist wie Korsika. Wir waren dort gefangen.

Wie fühlt man sich da?

Wolfgang Aichner: Es ist frustrierend, wenn der Sturm einfach nicht aufhört, man wird irgendwann apathisch. Man rationiert gnadenlos Essen und hat absurde Träume von Supermarktregalen und den leckeren Sachen dort.

Haben Sie Folgeschäden davongetragen?

Wolfgang Aichner: Ganz unbeschadet sind wir nicht davongekommen. Durch die starken Erfrierungen an Händen und Zehen damals haben wir beide nach wie vor eine schlechte Durchblutung, da spürt man ab und zu ein Kribbeln. Wir haben massive Leberschäden erlitten, durch giftige Dämpfe, da wir mit Klebstoff und Kleidung im Zelt Schnee geschmolzen haben, als der Brennstoff ausging und wir Trinkwasser brauchten. Wir leiden beide bis heute unter Gastritis, denn in dieser Extremsituation haben wir wohl Magengeschwüre bekommen, das ist aus medizinischer Sicht nach so einer Erfahrung normal.

Was machen Sie diesmal anders als 1988?

Wolfgang Aichner: Wir waren zwar damals schon erfahrene Bergsteiger, aber jung und etwas naiv. Wir hatten etwa keinen Ersatzkocher dabei, mit dem man im Notfall Schnee abkochen kann als Trinkwasser. Unserer ist damals kaputt gegangen – diesen Fehler würde ich nie wieder machen. Die Tour 1988 war extremer. Die jetzige, bei der wir hin und zurück 120 Kilometer zurücklegen, ist kürzer und auch weniger gefährlich: es gibt nicht so viele Eisspalten, wir müssen auch nicht klettern. Jetzt sind wir auch besser abgesichert, wir haben ein Satellitentelefon dabei.

Sind Sie zu zweit unterwegs?

Wolfgang Aichner: Zu dritt, begleitet von einem Kameramann, ebenfalls ein versierter Bergsteiger und Bergfilmer.

Haben Sie keine Angst, wieder in so eine Extremsituation zu geraten wie vor 25 Jahren?

Wolfgang Aichner: Nein, aber gehörigen Respekt. Ich war schon im Himalaya Bergsteigen und an großen Nordwänden in den Alpen mit Biwak in der Bergwand, aber der Vatnajökull 1988 war mit Abstand die härteste Tour in meinem Leben. Technisch ist die jetzige Tour zwar nicht ganz so problematisch, aber Island hat halt extreme Wetterbedingungen. Schlechtes Wetter ist da wirklich sehr ernst, die Winde sind brutal, dazu kommen Temperaturstürze, bei denen sich minus 10 Grad wie minus 50 Grad anfühlen können, dagegen sind die Alpen ein Kinderzirkus. Mit einem frühzeitigen Wintereinbruch muss man rechnen, dann müssen wir abbrechen, aber das kann einem dort auch im Juni passieren.
Von Michaela Schmid

Die Tour wird mit tagesaktuellen Informationen online nachvollziehbar sein auf www.powerwalk2013.org.

Was halten Sie von der Kunstaktion »powerwalk«? Stimmen Sie ab unter www.samstagsblatt.de.

Artikel vom 07.09.2013
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