Albrecht Ackerland im Münchner SamstagsBlatt über d' Wiesn

München · Sonderbare Tracht

München · Das hat mich nun wirklich erschüttert: Der Bierfass-Hut wird nicht mehr gekauft. Ja, Herrschaftszeiten, wo soll denn das noch hinführen mit unserer Wiesn, wenn jetzt auf einmal die echten Traditionen auf dem Schafott stehen.

D' Seitn zua Wiesn

Der liebe Reiter Dieterl in allen Ehren mit seinem Brauchtumsgebimmel, aber mal ehrlich: Was unsere Wiesn ausmacht, das ist ja nun nicht die stocklangweilige Schunkelei auf der Krinoline oder das ewige Geseiere vom verschnupften Schichtl, auch nicht der tödlich langweilige Tag mit der Familie in Chiemgauer Volkstracht oder der überteuerte Kreisritt in einer Riesenradgondel, aus der man auf nichts als Nebelschwaden schaut, da wo sonst das Alpenpanorama gern wäre.

Was unsere Wiesn ausmacht, das sind unsere Gäste, sie sind ja mittlerweile die einzigen neben unserer trunkenen Jugend, die ein echtes Brauchtum aufrechterhalten: nämlich, dass es auf der Wiesn um ein einziges Thema geht: Bier. In Fässern. Weil man von außen Dinge oft besser erkennt als von innen, deswegen hat der Gast auch jahrelang sein Bierfassl gleich auf dem Kopf umeinandergetragen. Der Hut in Form eines Bierfasses vom Münchner Oktoberfest – eine Legende. Dieser Wulst, der all die Jahre alle so sehr aufgeregt hat ob seiner verschandelnden Existenz, dieser Wulst hat allen Respekt von mir. Und neuerdings hat dieser Hut, der noch seinen Namen verdient, mein Mitleid. Denn er stirbt in diesen Tagen aus. Das. Ist. Wirklich. Traurig. Meine geliebte Wiesn wird um ein geliebtes Stück Kuriosum ärmer, eher noch würde ich den Schichtl begraben, als den Bierfasshut vollends aufzugeben. Aber der Lauf der Zeit ist wie er ist.

Jetzt kommt nämlich auch der letzte Pauschalreisende aus Huchujackburry auf den Trichter, dass zur Wiesn die Tradition gehört. Dabei wird ihm vom Reiseunternehmen nicht gelehrt, dass seine Tradition in jedem Fall das blitzsaubere Tragen eines Bierfasshuts ist. Nein, der Huchujackburryaner will jetzt auch eine Lederne, und sein Maderl ein Dirndl. Das gibt’s jetzt sogar dazu, im Reisepreis inbegriffen. Früher hätte es noch geheißen: Reisepreiß... Oben drauf kommt dann noch – obacht, Trend! – ein fesches Hüatl, Hüterl, Hütchen, einen Trachtenhut vom Souvernirstand, der jedem Trachtenpuristen die Zornesröte ins Gesicht treibt, was für sich auch schon wieder etwas Traditionelles hat. So ist sie, die Wiesn, und schon gleich bin ich auch nicht mehr ganz so traurig. Es braucht etwas, worüber sich irgendwer aufregen kann. So eine Wiesn ohne Grantelei über den Aufzug der anderen – sie wäre keine. Das ist wohl die wahrste Tradition, die überhaupt je gelebt hat. Darauf: Hut ab!

Artikel vom 04.10.2012
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