Kolumne „Philipp auf der Insel“: Im Gespräch mit Mayor Paul Woodruff (Bürgermeister von Lancaster in England), (Teil I)

München · Der einzelne Einwohner zählt

Philipp von der Wippel hat Lancasters Bürgermeister Paul Woodruff (li.) und dessen Stellvertreter getroffen.		Foto: phil

Philipp von der Wippel hat Lancasters Bürgermeister Paul Woodruff (li.) und dessen Stellvertreter getroffen. Foto: phil

München · Ob Christian Ude die Zeit hätte, sich ausführlich mit einem englischen Austauschschüler zu unterhalten? Schwer zu sagen. Paul Woodruff hat die Zeit nicht – und nimmt sie sich trotzdem.

Goodbye Germany, England we’re coming

Er ist zurzeit Bürgermeister der englischen Stadt Lancaster (knapp 50.000 Einwohner) und hat den Giesinger Austauschschüler Philipp von der Wippel (16) zu einem Gespräch empfangen.

„Ich versuche, immer nur ich selbst zu sein (…)“ – Das ist das Grundprinzip eines Mannes, der es vom Erdnussverkäufer am Museumseingang zum Bürgermeister im Rathaus geschafft hat. „Jeder kann zu mir kommen“ – das ist ihm ganz besonders wichtig und wird auch bis in die letzten Terminlücken ausgenutzt. Trotzdem hat sich Mayor Paul Woodruff zweimal ausgiebig Zeit genommen, um mir beim ersten Treffen von sich selbst und bei der Fortsetzung von seinem Amt als erster Mann in der Stadt zu erzählen. Und ehe man sich’s versieht, entsteht aus einem Interview ein Gedankenaustausch und eine lebendige Bekanntschaft jenseits aller Fragen und Notizen.

Philipp: Herr Bürgermeister, nun befinden wir uns hier gerade in Ihrem Büro mit Blick auf die gesamte Altstadt. Wo ist Ihr ganz eigener Lieblingsort in Lancaster?

Woodruff: Das ist eine gar nicht so einfache Frage, wenn man wie ich seit 69 Jahren in dieser Stadt lebt und – glaube mir – jede noch so versteckte Spinnwebe kennt. Es gibt einen Ort in meiner Stadt, an dem ich zwischen den einzelnen Besprechungen immer wieder Kraft tanken und zur Ruhe kommen kann: Williamson Garden – gleich gegenüber vom Rathaus. Da kann es bei langen Konferenztagen schon einmal vorkommen, dass der Mayor mehr im Garten als im Plenarsaal zu sehen ist. (lacht)

Philipp: Besser dort als überhaupt nicht – und für diesen Fall haben Sie ja einen Stellvertreter. In Lancaster sind Sie dagegen seit 69 Jahren ununterbrochen zu sehen, sind hier zur Schule gegangen und haben sich auch mit Ihrer Familie in der ehemaligen römischen Siedlung niedergelassen. Was macht Lancaster zu der Stadt, in der Sie Ihr Leben verbringen und für welche Sie als Mayor die Hand ins Feuer legen?

Woodruff: Der einzelne Einwohner. Die Menschen hier, von denen ich viele über die Jahrzehnte hinweg beim Namen kennengelernt habe, verbindet ein solcher Zusammenhalt, sodass ich unglaublich stolz bin, diese Gemeinschaft jetzt vertreten zu dürfen. Mir fällt das immer besonders auf, wenn ich morgens durch die Straßen zur Arbeit schlendere und so viele Menschen wohlwollend auf mich zugehen, dass demzufolge die eigentlich kurze Strecke nicht selten zwischen einer halben und ganzen Stunde dauert. Aber darin sehe ich die wirkliche Aufgabe des Mayor: für die Menschen da zu sein, so wie sie immer für mich da sind. Es gibt vielleicht nichts Schöneres, als wenn mich ein Bewohner „Woody“ ruft, mir auf die Schulter klopft und mir etwas sagt wie: „Gut gemacht in der letzten Vollversammlung!“ Für diese Stadt halte ich beide Hände tief ins Feuer.

Philipp: Früher haben Sie tagtäglich für Erdnüsse Ihre Hände im Feuer riskiert. Der Grund dafür hat sich geändert – die Methodik ist gleich geblieben. Früher haben Sie auf verschiedene Sorten von Nüssen geblickt, heute beobachten Sie die verschiedenen Parteien gegenseitig im Kreuzfeuer. Wie kommt es, dass Sie heute in königlichem Rot gekleidet, den Vorsitz des Stadtrates innehaben?

Woodruff: Hierbei hat sich die Weisheit bewahrheitet: „Wer lang genug wartet, wird belohnt.“ Auch wenn ich über die Jahre hinweg nicht gewartet habe, ungefragt belohnt wurde ich trotzdem. Du musst wissen, dass Politik nie mein ausschließlicher Beruf war und ist. Ich habe immer mehrere Berufe gleichzeitig betrieben. Seit einiger Zeit habe ich mein kleines eigenes Geschäft: eine bewirtschaftete Hütte in der Umgebung des Lake District, wo ich die Natur genieße und mich mit Tee, Suppe und Sandwich um die Besucher kümmere. Gleichzeitig war ich immer eigenständig ohne jegliche Parteizugehörigkeit politisch aktiv. Lange Zeit im Bezirksrat und seit 13 Jahren im Stadtrat. Jedes Jahr wechselt der Mayor, sodass jeder Councillor in der Regel mal Bürgermeister wird – so heuer ich.

Philipp: Sie sind unabhängiger Politiker. Sie können frei nach Ihrer Einschätzung handeln und sind dabei an keinerlei parteipolitische Vorgaben gebunden. Wie funktioniert das ohne Orientierungsrahmen im Alltag der Politik?

Woodruff: So stimmt das nicht! Ich habe mir die stärkste und wichtigste Orientierung gesetzt: die Stadt und die Bürger. Da ich selbst ein Bürger dieser Stadt bin, handle ich und treffe ich alle Entscheidungen aus mir selbst heraus, die zwar im Nachhinein nicht zwangsweise alle richtig sind, aber allemal aus meiner Überzeugung heraus geschehen sind. Gerade in Situationen, an denen ich ins Grübeln gerate, schaue ich über meinen Schreibtisch, wo von mir mit Filzstift geschrieben steht: „Was ist das Beste für die Stadt?“ Dann weiß ich wieder ganz konkret, was meine ausschließliche Aufgabe ist und nichts anderes. Als „Independant“ bin ich nicht voreingenommen und kann für jede Meinung – gleich ob von Conversative oder Labour – offen sein und nur nach Qualität urteilen – und nicht nach parteiinternen Vorteilen. Diese Unberechenbarkeit macht mich im Stadtrat unbeliebt, bei den Bürgern aber umso vertrauenswürdiger. Da ich aber allein dastehe und keine fördernde Partei im Rücken habe, die mir bei jeder Wahl die Prozente einfährt, muss ich selbst als Einzelperson in der Öffentlichkeit umso mehr präsent sein: Zeitungen, Vorträge, Festveranstaltungen, etc. Solange ich aber derjenige bleibe, der ich bin, und nicht in ein Kostüm schlüpfe, kann, glaube ich, nicht viel schiefgehen und allein das zählt am Ende des Tages.

Philipp: Dass Sie rundherum glücklich und stolz sind, Mayor Ihrer Stadt sein zu dürfen, habe ich an Ihrer Art des Erzählens sofort bemerkt. Was ist es aber konkret, dass Sie am Bürgermeister-Sein lieben?

Woodruff: Zu allererst genieße ich es, mit so vielen Menschen aus Lancaster, aber auch international in Kontakt zu gelangen, wie es als Einzelperson nie möglich wäre. Auch hier zählt für mich wieder das Prinzip: Der Mensch steht im Mittelpunkt von allem Schaffen und Tun. Abgesehen davon empfinde ich es persönlich als außerordentlich wohltuend, dass ich während meiner Zeit als Mayor im Stadtrat so lange reden kann wie ich möchte, ohne dabei wegen der Zeit ermahnt zu werden wie es bei mir als „Einzelkämpfer“ immer der Fall gewesen ist.

Philipp: Jetzt haben Sie die ganze Stadt im Rücken und nicht nur diese. Sie erwähnten Ihre internationalen Kontakte nach Pennsylvania, Dänemark und auch Japan. Hat Lancaster eine deutsche Partnerstadt? Und wenn ja, worin besteht zum Beispiel das Miteinander?

Woodruff: Die hat Lancaster tatsächlich und ist darauf besonders stolz: Nämlich die norddeutsche Stadt Rendsburg, mit der mich besonders eine gute Beziehung zu meinem Kollegen verbindet. Das Miteinander besteht vor allem in den jährlichen „Games“, die eine Art Mini-Olympiade zwischen Partnerstädten darstellt und jedes Jahr in einer anderen Stadt ausgerichtet wird. Dieses Jahr wird sie in Deutschland stattfinden – es wird mein erstes Mal in Deutschland sein.

Philipp: Bei dieser Gelegenheit lade ich Sie offiziell in meine Heimat München ein, das zwar nicht gerade auf dem direkten Weg nach Rendsburg liegt, aber Sie umso mehr willkommen heißt! Bis Ihnen dann unser Oberbürgermeister mehr erklären und Sie willkommen heißen wird, habe ich Ihnen einen Bildband über München in Englisch mitgebracht, um den Kulturschock zu mindern. Herr Bürgermeister, vielen Dank für Ihre Zeit und Ihre Gedanken! Ich freue mich auf die Fortsetzung unserer Unterhaltung.

Gespräch mit Mayor Paul Woodruff (Teil II)

Artikel vom 01.03.2012
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