Von Katharina Niewalda

Bogenhausen · Mit Standesbewusstsein

Bogenhausen · Die Freisingers betreiben einen Stand auf dem Viktualienmarkt, haben viel Arbeit und viel Kundenkontakt. Manche Stammkunden halten Münchens guter Stube von Kindheit an die Treue.

12-teiligen Reihe: Wir hinterfragen Geschichten

Dienstagmorgens um 6.30 Uhr: Während sich halb München noch gemütlich streckt oder schläfrig ins Bad tappt, beginnt für Christine Freisinger schon ein weiterer Arbeitstag am Viktualienmarkt. Nebel hängt tief über den vielen Buden, die Sonne wird erst später aufgehen, doch trotzdem klappert es bereits leise an vielen Ecken und Enden des 22.000 Quadratmeter großen Platzes. In dessen Mitte bewegt sich auch die in fünf bis sechs Kleidungsschichten gepackte Marktfrau.

Über 70 Stunden in der Woche

Die 44-Jährige und ihr Mann Ludwig betreiben einen Stand, an dem sie Gemüse, Kräuter, Pesto und allerlei Kleinigkeiten verkaufen. Ihr Tag beginnt meist schon zwischen 5.45 Uhr und 6.30 Uhr, freitags und samstags sogar noch früher. »Denn da kommen die Kunden eher. Samstags ist der erste immer schon um 6.45 Uhr da, und das Aufbauen davor dauert ja auch noch ungefähr zwei Stunden.« Der Stand ist abends bis 19 Uhr auf und dann muss noch alles zusammengepackt werden – insgesamt stehen die beiden etwa 12 bis 13 Stunden auf dem Markt. Wenn die gelernte Versicherungskauffrau dann abends nach Hause kommt, wird meistens noch gegessen und ein bisschen mit ihren beiden Töchtern geredet, dann schläft sie auch schon auf der Couch ein.

Für Christine Freisinger ist das Schönste am Markt, dass sie draußen arbeiten kann. Und auch die Atmosphäre findet sie besonders. »Ich weiß gar nicht, wie man sie beschreiben kann.« Der Stand der beiden Eheleute liegt direkt neben dem hohen Maibaum ziemlich zentral in der Mitte der ungefähr 110 Händler. Um den Stand herum duftet es nach Rosmarin, Thymian und den vielen anderen Gewürzen, die das Ehepaar anbietet. Immer wieder kommen Kunden vorbei, mit denen sie kurz plaudert. Dies findet bei einer beständig vorhandenen, aus leisem Tütenrascheln und Töpfescheppern bestehenden und manchmal auch noch mit Kirchengeläut untermalten Geräuschkulisse statt. Der Stand bietet grellrote Chilischoten, dunkelgrüne Petersilie und jede Menge farbige Tütchen mit getrockneten Gewürzen. Er wird dem seit den 50er-Jahren entwickelten »Feinschmeckermarkt«-Image überaus gerecht und man kauft gerne dort ein.

Christine Freisinger absolvierte erst einmal eine Ausbildung zur Versicherungskauffrau und arbeitete acht Jahre voll in diesem Beruf. In dieser Zeit stand die heutige Marktfrau immer nur samstags auf dem Markt, doch 1990, zwei Jahre bevor sie ihren jetzigen Mann heiratete, gab sie ihre Bürostelle auf und sagte sich: »Probieren kann ich’s ja mal.« Das war für sie sozusagen die Probe auf’s Exempel, denn »wenn man es schafft, den ganzen Tag so nah beieinand‘ zu verbringen, ohne sich in die Haar‘ zu geraten«, müsste eine Ehe ja zu meistern sein. Ihr früherer Beruf habe ihr auch gefallen, erklärt die Mittvierzigerin mit den vielen sympathischen Lachfältchen im offenen Gesicht, doch der Alltag als Versicherungskauffrau sei »halt sehr viel trockener« als die Arbeit am Viktualienmarkt. »Und wenn ich heute morgens aufsteh‘, freu‘ ich mich auch schon auf die Arbeit.«

Und nicht nur Christine Freisinger scheint viel mit dem Markt zu verbinden, denn im Volksmund wird er auch einfach »die gute Stube von München« genannt, und die Kunden auf dem Markt sind zu etwa 75 bis 80 Prozent Stammkunden, wie die Marktfrau schätzt. Einer bestimmten Schicht lassen sie sich aber nicht zuteilen. Bei den vielen netten Stammkunden, die hierher kommen, habe man eigentlich jeden Tag ein schönes Erlebnis, meint sie und erzählt gleich eine Geschichte, die sie besonders fasziniert. »Eine alte Dame über 90 kommt immer mal wieder zum Einkaufen bei uns vorbei und kauft unsere Hagebuttenmarmelade.« Die Frau habe ihr dann einmal erzählt, dass sie die Hagebuttenmarmelade immer von diesem Stand kaufe, weil sie früher bereits an der Hand ihrer Mutter dorthin gekommen sei und viele Gefühle mit diesem Einkauf verbinde. An dieser Stelle hält sie kurz inne und merkt nachdenklich an: »Jetzt habe ich sie schon eine Weile nicht mehr gesehen, ich hoffe, dass es ihr gut geht.«

Vorschriften »gegen Sauerkraut«

Immer wieder wird das Interview unterbrochen, wenn Kunden an den Stand kommen. Diese Pausen ziehen sich dann schon mal, schließlich kommen viele Kunden auch extra deswegen auf den Markt, weil es nicht dieselbe Massenabfertigung wie in den Supermärkten ist. Einmal kommt eine ältere Dame vorbei und bringt selbstgemachtes Quittengelee mit. Mit dem Kommentar »Auf‘m Markt komm‘n die doch schnell weg, hob I mir g’dacht«, drückt sie es der Marktfrau in die Hand und bleibt auch noch zu einem kurzen Schwätzchen, bevor sie wieder geht.

Bei der Frage, ob der Markt denn Zukunft habe, ist Christine Freisinger skeptisch. Denn es gibt auch Probleme: Es werden immer mehr Hygienevorschriften erlassen, die dann zum Beispiel selbst zubereitetes, in einem hölzernen Topf angebotenes  Sauerkraut zu einem Ding der Unmöglichkeit werden lassen. Mittlerweile gäbe es so viele Hygienevorschriften, »dass man sich fast an den Kopf langt und sagt, Mensch, muss alles so steril sein«. Und irgendwann werde der Markt ganz verschwunden sein. »Aber das wäre schade, dann würde viel fehlen.«

Artikel vom 20.02.2012
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