Vom Full English Breakfast über den 5 o’Clock Tea zum Dinner

München · Die englische Küche

München/England · Eines der dünnsten Bücher der Welt soll „Die englische Küche“ sein. Ein Gerücht natürlich, denn die englische Küche hat durchaus einiges zu bieten. Man kann auch als Kontinental-Europäer in England gut leben, ohne wegen seiner Essgewohnheiten ständig negativ aufzufallen. Diese Erfahrung hat zumindest unser Giesinger Austauschschüler Philipp von der Wippel (16) gemacht. Englisch essen leicht gemacht!

Goodbye Germany, England we’re coming

„Die englische Küche hat für kontinentalen Geschmack ihre Härten. Jeder Versuch das zu beschönigen, wäre eine bloße Irreführung aller derjenigen, die zum ersten Male nach England fahren wollen“, stellt Englandkenner Rudolf Walter Leonhardt in seinem Insiderbuch „77 mal England“ messerscharf fest. Er spricht mir aus der Seele, denn es ist keine vier Wochen her, als ich Continental selbst zum ersten Mal auf der Insel gelandet bin und dem kulinarischen England vorgestellt wurde. Zugegebenermaßen bin ich nicht ganz unbelastet gegenüber der englischen Küche losgeflogen, da sich die Ratschläge und Warnungen vor den „fettigen, deftigen, schwer verdaulichen und langweiligen Kochgewohnheiten“ geradezu gehäuft haben. Ich habe mit allem gerechnet – im Nachhinein ähneln meine Szenarien mehr einem Überlebenscamp - und bin dennoch bis zum heutigen Tag nicht vom Fleisch gefallen. England wäre jedoch nicht England, wenn dem Unerfahrenen die Nahrungsaufnahme zu einfach gemacht werden würde. Wer hier auf der Insel problemfrei essen möchte, muss zuvor den strikten Tagesablauf der Mahlzeiten akribisch durchgearbeitet haben. Es zahlt sich aus!

Ein Morgen ohne das Full English Breakfast ist für den Briten ein misslungener Start in den Tag. Das Full English beinhaltet Porridge (den typischen Haferbrei) oder alternativ Cornflakes, Eier, Speck, Würstchen, Toast mit Marmelade und nicht selten sogenannte kippers (gebratene Räucher-Heringe). Das Frühstück stellt die Hauptmahlzeit am Tag dar und wird deshalb in Form des second breakfast gleich gegen 11 o’clock a.m. wiederholt, wofür sogar der Unterricht für eine halbe Stunde unterbrochen wird. Marmelade spielt im englischen Speiseplan eine heikle Rolle. Hier wird zwischen „jam“ und „marmalade“ genauer als bei uns unterschieden.Unter „marmalade“ versteht man ausschließlich Marmeladen aus Zitrusfrüchten, alles andere heißt „jam“. Zum Frühstück kommt ausschließlich „marmalade“ auf den Tisch. Beherzigen Sie diese Kleinigkeit, und Sie werden zufriedenes Nicken statt fragenden Blicken einheimsen! Was für eine große Rolle das Full English Breakfast spielt, ist mir im Zug nach London klar geworden, als ich meinen Sitznachbarn, welcher eben eines bestellt hatte, gefragt habe, „ob es eine belegte Semmel mit Orangensaft nicht auch tun würde“. Ganz entsetzt sah er mich an und erklärte, dass es vor einigen Jahren sogar eine Art Volksbegehren für die Erhaltung des englischen Frühstücks in Zügen gegeben habe. Als Konter fragte er mich, ob ich denn von dem continental breakfast jemals satt geworden wäre. Achtung, hier ist Fingerspitzengefühl gefordert, denn das Frühstück ist nicht nur Nahrungsaufnahme, sondern Teil des Lebensstils.

Der Lunch gegen 1 o’clock p.m. wird unter der Woche grundsätzlich nicht zu Hause eingenommen. Die Kinder essen in der Schule, die Eltern in der Arbeit und die Großeltern im Restaurant. Die große Vielfalt des Frühstücks reduziert sich zum Mittagessen im Grunde auf nur zwei dafür aber durchaus köstliche Gerichte: Fish 'n‘ Chips und Sandwiches. Ein belegtes Brot klingt für uns continentals unspektakulär und eher alternativ. Hier auf der Insel verbirgt sich dahinter meist ein Leckerbissen, der auf keinen Fall als Fastfood bezeichnet werden sollte, sondern Sandwiches und Burger neu definiert. Stellen Sie sich aber bitte kein festes Sonnenblumen-Vollkornbrot vor – Sie werden hier auf der Insel keines finden, ganz zu schweigen von Pumpernickel und ähnlichen deutschen Vorlieben, die hier vielmehr als kurios und ohne Geschmack empfunden werden.

Fish 'n‘ Chips ist wohl das Nationalgericht schlechthin, welches an jeder Staßenecke verkauft und im Dahinschlendern verzehrt wird. Es besteht streng genommen aus drei Dingen. Fish symbolisiert für den Engländer das, was für uns der sonntägliche Braten bedeutet. Er wird soweit filetiert, bis der Meeresbewohner nicht mehr zu erkennen ist, und dann noch in einen Teigmantel gehüllt. Der Begriff chips lässt uns ans abendliche Knabbern vorm Fernseher denken, bedeutet aber hier Pommes Frites. Als ich mich näher mit der Esskultur hierzulande beschäftigt habe, bin ich über eine Studie gestolpert, derzufolge rund 90 Prozent aller Kartoffeln als chips verspeist werden. Klare Niederlage für die von uns so geliebten „boiled potatoes“. Die dritte Zutat ist das Frittierfett, welches das Gericht zum Triefen bringt und so unverwechselbar macht. Kein Engländer überlebt ohne Fish n‘ Chips!

Vergleichbar mit dem Breakfast nimmt der 5 o’Clock Tea einen festen Platz im Tagesablauf ein. Es soll sogar Inselbewohner geben, die die Teestunde als Tagesmittelpunkt definieren und danach ihre Uhr stellen. Im Englischen gibt es meines Wissens zwar kein fixes Wort für „Gemütlichkeit“, aber die Briten brauchen es auch nicht, denn sie leben es in ihrer Tea Time. Auf die weitreichenden Unterschiede zwischen Nord– und Südengland werde ich bald genauer eingehen, aber zum Vorgeschmack: Tea Time ist nicht gleich Tea Time. Der Süden lebt es, wie wir es wörtlich übersetzen würden – eine heiße Tasse Tee mit wohlschmeckendem Gebäck. Der Norden hingegen stimmt sich währenddessen im Tea mit einer kleinen Brotzeit (Gemüse, Eiern und auch Fleisch) auf den Abend ein. Missverständnisse sind also vorprogrammiert.

„Das Essen ist doch köstlich! Was reden die denn alle?!“ Das dachte ich mir vor dem ersten Dinner auf der Insel. Denn die Horrorszenarien, die über die englische Küche kursieren, beschränken sich auf das deftige Dinner. Beim Dinner wird nicht variiert. „Fleisch, Kartoffel, Gemüse“ könnte glatt in die Verfassung aufgenommen werden. Zähes und größtenteils durchgebratenes Fleisch (mit Größe und Fettgehalt unseres Bratens aufwärts), Kartoffeln, bei denen Gewürze als störend empfunden werden, und undefinierbares Gemüse, das den Vitaminhaushalt hochhalten soll. Alle drei Bestandteile liegen fein getrennt nebeneinander auf dem Teller, Saucen gibt es nicht und Salat kennt man nicht. Die Nachspeise Nummer eins im Kingdom ist und bleibt der „plum pudding“, der nicht im Ansatz einem Pudding (blancmange) ähnelt, sondern eine Art Kuchen ist.

In England kommt es ohnehin auf die kleinen Dinge des Alltags an. Wenn Sie diese kleinen Tipps auf Ihre Englandtour mitnehmen, dann werden Sie nicht nur das Gewünschte auf dem Teller vorfinden, sondern gelten als wahrer Insider. Englische Küche kann man nicht beschreiben, die muss man erleben. Machen Sie doch mal original englischen plum pudding und holen sich leicht und einfach britische Atmosphäre in die Münchner Küche!

Artikel vom 27.01.2012
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