Veröffentlicht am 27.09.2016 11:01

„Wir haben uns mit etwas Neuem durchgesetzt”

Dr. Hans Beyrle (links) und sein Nachfolger im ICP, Thomas Pape. (Foto: job)
Dr. Hans Beyrle (links) und sein Nachfolger im ICP, Thomas Pape. (Foto: job)
Dr. Hans Beyrle (links) und sein Nachfolger im ICP, Thomas Pape. (Foto: job)
Dr. Hans Beyrle (links) und sein Nachfolger im ICP, Thomas Pape. (Foto: job)
Dr. Hans Beyrle (links) und sein Nachfolger im ICP, Thomas Pape. (Foto: job)

„Der Übergang hat gut geklappt.” Kurz und bündig fasst Dr. Hans Beyrle den Wechsel in der Leitung des ICP zusammen, dabei ging im August an der Garmischer Straße quasi eine Ära zu Ende: Immerhin 23 Jahre lang, fast ein Vierteljahrhundert, hatte Beyrle die Stiftung ICP als Vorstandsvorsitzender geleitet, bedeutende Weichen gestellt und - oft als einer der Ersten - neue Wege eingeschlagen und mit seinem Team das Haus zum Erfolgsmodell der interdisziplinären Betreuung und Inklusion gemacht.

In den Sommerferien ging Dr. Beyrle in den Ruhestand und übergab seine Aufgaben an Thomas Pape, der (mit Verwaltungsvorstand Alfons Forstpointner und em Ärztlichem Vorstand Professor Dr. Bernhard Heimkes) nun der Stiftung vorsteht. Pape ist bereits seit drei Jahren für das Unternehmen tätig.

„Es hat mich sehr beeindruckt”

Das ICP hat sich unter Leitung von Dr. Beyrle grundlegend geändert. Das frühere „Spastiker-Zentrum” wurde durch einen Neubau ersetzt und erhielt einen neuen Namen. Für ihre fachliche Qualifikation war die Einrichtung allerdings schon in den 90er Jahren sehr bekannt. Damals war Beyrle beim Kolping-Bildungswerk beschäftigt. Dessen Berufsschule besuchten auch Jugendliche aus dem Spastiker-Zentrum. „Es hat mich sehr beeindruckt, was die Betreuer und Lehrer dieser Jugendlichen leisteten”, erinnert sich Beyrle. Und so wechselte er gerne an die Garmischer Straße, als das Zentrum einen neuen Geschäftsführer suchte.

Ein „Umweg” Abu Dhabi

In jenem Jahr 1993 war auch Thomas Pape bereits im sozialen Bereich tätig. Als Sozialdezernent im thüringischen Nordhausen kümmerte er sich u.a. um Kitas und Altenheime und sammelte Erfahrungen in der Stiftungsarbeit. Mit dem ICP kam er Jahre später über den Umweg Abu Dhabi in Kontakt. Zwölf Jahre arbeitete Pape in den Vereinigten Arabischen Emiraten, um dort dann ab 2007 Strukturen für Behinderte zu schaffen: „Wir haben dort ein sehr deutsches Prinzip aufgebaut”, erzählt er. U.a. entstanden Therapieeinrichtungen und eine Berufsschule für Behinderte.

„Über einen britischen Kollegen wurde ich an das ICP als Spezialeinrichtung verwiesen”, erinnert sich Pape. Die Münchner Institution war ihm u.a. bereits wegen des Erfolgs und des Engagements ihrer Boccia-Mannschaft bei den Special-Olympics-Wettbewerben ein Begriff, doch nun entstanden ein direkter Kontakt und ein fachlicher Austausch. Dr. Beyrle gab seine Erfahrungen damals gerne weiter. Mit seinem Team ging er neue Wege, um behinderten Menschen die Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen - lange bevor die UN Integration und Inklusion in den Fokus rückten.

Teilhabe praktisch möglich machen

Das ICP setzte die Forderung nach Teilhabe in seinen Einrichtungen ganz praktisch um: Eine integrative Kinderkrippe stand auch den Familien im Viertel offen. Behinderte und nicht behinderte Kinder werden hier gemeinsam erzogen und gehen ganz selbstverständlich miteinander um. „Als diese Kinder ins Kindergartenalter kamen, war es der Wunsch der Eltern, einen Kindergarten anzudocken”, sagt Beyrle. Das war relativ leicht umsetzbar. Viel schwierger wurde der dritte Baustein, die inklusive Grundschule. Nicht nur Mitarbeiter, sondern auch Kultusministerium und Eltern mussten überzeugt werden. Manche Eltern befürchteten, dass ihr Kind in einer inklusiven Schule von den Mitschülern gebremst wird, erinnert sich Beyrle. Die Grundschule ist für ihn eines der wichtigsten Projekte seiner Zeit im ICP. „Da steckt viel Herzblut drin”, so Beyrle - und viel Hartnäckigkeit, deren Erfolg längst deutlich zu sehen ist. Die Grundschule ist inzwischen staatlich anerkannt, die ersten Jahrgänge haben sie abgeschlossen und etliche Kinder den Übertritt aufs Gymnasium geschafft - es sind sogar etwas mehr als im Schnitt bei „normalen” Schulen. „Heuer hätten wir sogar eine dritte Eingangsklasse einrichten können”, freut sich Beyrle über das Interesse an der Schule. „Wir haben uns mit etwas Neuem durchgesetzt.”

„Der Gedanke setzt sich durch”

Vielleicht liegt es gerade an solchen alltäglichen Erfolgsgeschichten, dass die Einbindung behinderter Menschen für immer mehr Menschen ein Thema wird. „Ich denke, der Gedanke der Inklusion setzt sich in der breiten Bevölkerung immer mehr durch”, bilanziert Beyrle. Auch das Kultusministerium habe vom ICP gelernt. Früher habe man von den Behinderten erwartet, dass sie sich an die bestehenden Bedingungen z.B. in de Schule anpassen. „Unsere Arbeit ist ganz anders”, so Beyrle, „die Umwelt muss für den Menschen passen.” Dieser Perspektivenwechsel ist nicht zuletzt Menschen wie ihm zu verdanken.

„Das ist Teil der DNA dieser Einrichtung”

„Dass Inklusion so stark vorangetrieben wird wie im ICP, ist nicht überall selbstverständlich und üblich”, ergänzt Thomas Pape. „Aber es ist Teil der DNA hier im ICP.” Nur mit den besten Rahmenbedingungen könne Inklusion gelingen, ist er überzeugt: „Man muss solche Dinge mit Stringenz einführen!” Viele inklusive Ansätze scheiterten, weil nicht von vorneherein jede Aspekt optimal geplant sei. Für einen Erfolg brauche man aber „das Beste, das zu bekommen ist” - genau dafür habe man im ICP mit erheblichem Einsatz und Aufwand gesorgt.

„Ob integrative und inklusive Vorhaben gelingen, hängt von zwei wichtigen Faktoren ab”, meint Beyrle: Wollen es die Mitarbeiter, die Eltern, die Jugendlichen? Steht die Einrichtung finanziell top da? Vielleicht ist es seine größte Leistung, 23 Jahre lang dafür gesorgt zu haben, dass beide Fragen im ICP stets mit einem „Ja” bentwortet werden konnten. Nicht nur menschliche und fachliche Zuwendung sind im Leitbild verankert, sondern auch Wirtschaftlichkeit: „Das alles gehört zusammen, alles wollen wir umsetzen”, so Beyrle. Daher wurde in seiner Zeit das ICP in die Form einer Stiftung mit Tochterunternehen überführt - das sorgt für mehr Planungssicherheit, Stabilität und Nachhaltigkeit. „Ich habe ein ausgezeichnetes Unternehmen übernommen”, unterstreicht Thomas Pape, „da gibt es nichts zu meckern!

Keine weiteren Baukörper

„125 Millionen Euro wurden in den vergangenen 20 Jahren für das ICP investiert - nicht immer war es einfach, alle Kostenträger unter einen Hut zu bringen. Mit dem Neubau der Grundschule ist das Gelände ausgereizt, neue Baukörper wird es nicht geben - allenfalls seien Aufstockungen eine Option. „Das lockere Campus-Konzept soll bleiben wie es ist”, betont Pape. Er freut sich auf die Fertigstellung des Luise-Kiesselbach-Platzes. „Das ist ein traumhafter Standort hier!” Das ICP hat weitreichende Wurzeln ins Viertel geschlagen. „Wir müssen uns mit unseren Einrichtungen weiter ins Viertel integrieren”, sagt Pape. „In der Arbeit mit Behinderten haben sich die Schwerpunkte geändert. Das geht nur in dem Umfeld, in dem die Menschen betreut werden.” Dazu gehören auch die Nachbarn im Viertel. Und die Verknüpfungen mit der Nachbarschaft will er daher weiter ausbauen. Mitglied im Maibaumverein für den „Luki” ist das ICP schon.

Was macht das ICP?

Das ICP Integrationszentrum für Cerebralparesen kümmert sich um Menschen mit Cerebralparesen jeden Alters – vom Kleinkind bis zum Senior. Ziel ist ihre berufliche und soziale Teilhabe. Das ICP ist eine bundesweit einzigartige Einrichtung, in der Medizin und Therapie sowie Sonder-, Heil- und Berufspädagogik ineinandergreifen. Diese Pionierarbeit begann 1960, als auf dem Gelände des Hauses St. Josef im umgebauten Waschhaus das „Spastiker-Zentrum” für zunächst 25 Kinder entstand. 2004 wurde der Neubau eröffnet und das Zentrum in Integrationszentrum für Cerebralparesen (ICP) umbenannt. 2009 eröffnete das ICP die erste inklusive Grundschule Bayerns. Heute sind in allen Bereichen der Stiftung ICP (von der integrativen Kinderkrippe über die Förderschule, Tagesstätte und Wohnheim bis zur Ausbildung im Berufsbildungswerk) über 1.600 Plätze belegt und über 770 Mitarbeiter beschäftigt.

Aus einer Elterninitiatve bzw. einem Verein ist eine Stiftung geworden, unter deren Dach fünf Tochterfirmen ein vielseitiges individuelles Betreuungsangebot für alle Lebensphasen sicherstellen. So können Menschen mit Behinderung optimal und ganzheitlich gefördert werden.

Was sind Cerebralparesen?

Infantile Cerebralparesen sind Bewegungsstörungen, deren Ursache in einer frühkindlichen Hirnschädigung liegt. Eine Ursache ist Sauerstoffmangel vor, während oder kurz nach der Geburt, wodurch Nervenzellen sterben. Patienten müssen mit Einschränkungen der Motorik, oft auch der Wahrnehmung, des Hörens, Sehens, der Sprache und ihrer Entwicklung zurechtkommen.

„Er und sein Team haben Großes geschaffen”

MdL Georg Eisenreich, Staatssekretär im Bayrischen Bildungsministerium, dankt Dr. Beyrle für sein Wirken:

„Mit großem Engagement und unermüdlichem Einsatz hat Dr. Beyrle das ICP zu einem wichtigen Förderzentrum ausgebaut. Er hat zusammen mit seinem Team eine Einrichtung geschaffen, in der Kinder, Jugendliche und Erwachsene bestmöglich gefördert und betreut werden – von der Frühförderung bis zur Teilhabe am Berufsleben. Seit seinen Anfängen hat sich das ICP unter der Leitung von Dr. Beyrle in den vergangenen 23 Jahren schrittweise zu einer immer umfassenderen Einrichtung entwickelt. Neben ihrem Hauptsitz in Sendling hat die ICP Stiftung an mehreren Standorten in München Außenstellen gegründet. Die Einrichtungen der ICP-Stiftung sind Lebens- und Lernort.

Die inklusive Ausrichtung des Förderzentrums ist zukunftsweisend: Kinder mit und ohne Behinderung werden in einer integrativen Kinderkrippe, in einem integrativen Kindergarten und Hort sowie in einer inklusiven Grundschule gefördert und betreut.

Dr. Beyrle hat es in besonderer Weise auch geschafft, das Förderzentrum in seinen Stadtteil zu verankern: Die Türen des Cafés des Förderzentrums stehen Alt und Jung offen, die Spielplätze sind wichtiger Treffpunkt im Viertel. Ich danke Dr. Beyrle sehr für seinen jahrelangen und wertvollen Einsatz am und für das ICP. Er und sein Team haben Großes für unsere Kleinen geschaffen. Für die Jugendlichen und Erwachsenen war er ein wichtiger Wegbegleiter für ihre Zukunft in Beruf und Gesellschaft. Für den Ruhestand wünsche ich Dr. Beyrle alles Gute.“

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