Ausstellung über weggesperrte Bücher in der StaBi

Gift im Schrank

Erotik im Wandel, der Zeit im »Giftschrank«.

Erotik im Wandel, der Zeit im »Giftschrank«.

Maxvorstadt · Womit beschäftigte sich ein bayerischer Finanzbeamter um 1800 in seiner Freizeit? – Im Falle des königlich-bayerischen Hofbeamten Franz von Krenner weiß man darüber ziemlich genau Bescheid: Er legte sich eine »erotische Bibliothek« an – eine Sammlung »von lauter schlüpfrigen und schmutzigen Büchern«, wie es ein Zeitgenosse ausdrückte.

Dank der Fürsprache (oder der erotischen Neigungen?) des damaligen Königs Max I. Joseph gelangte diese delikate Sammlung nach dem Tod Krenners in den Besitz der Bayerischen Staatsbibliothek (StaBi). Dort blieb sie über 150 Jahre eingesperrt im sogenannten »Giftschrank« – zusammen mit vielen anderen Büchern, die dem Bibliotheksbenutzer nicht frei zugänglich sind.

Nun hat die StaBi diesen Giftschrank erstmals einen Spaltbreit geöffnet und gewährt in einer Ausstellung Einblick in ihre »weggesperrten« Bestände: Krenners »erotische Bibliothek« wird hier in einem eigens dafür eingerichteten, »erotischen Kabinett« präsentiert: in dunkelrotes Samt und schummriges Rotlicht gehüllt.

Doch trotz dieser sinnlichen Verpackung dürfte heute wohl kaum jemand mehr »erröten«, wenn er sich Krenners »Schätze« aus der Nähe besieht: Keine obszönen Abbildungen, keine stimulierende »Erotik-Literatur« im heutigen Sinne.

Statt dessen juristische Abhandlungen über die ehelichen Pflichten und den »rechten Gebrauch« des Ehebettes, ein »Italiänischer Huren-Spiegel« (eine Unterhaltung zweier Prostituierter in der Renaissancezeit) und dazu die Bibel, der Koran sowie die Schriften des Hl. Augustinus.

Was hat das alles mit Erotik zu tun? Stephan Kellner, der Organisator der Ausstellung, weiß darauf eine Antwort: »Damals herrschte ein ganz anderes, viel umfassenderes Verständnis von Erotik«, erklärt er.

»Wir reduzieren Erotik heute weitgehend auf Pornografie. Krenner hat aber alles gesammelt, was irgendwie mit der Liebe, mit den Beziehungen zwischen den Geschlechtern zu tun hatte.« Die Ausstellung »Giftschrank« spiegelt in vielfacher Hinsicht den historischen Wandel von Auffassungen und Normen wider. – Nicht nur im Bereich der erotischen und sexualwissenschaftlichen Literatur, wo sich im Laufe des 20. Jahrhunderts auf vielen Ebenen »Enttabuisierungen« vollzogen.

Daneben sind aber auch Bücher ausgestellt, die als »streng vertraulich« gelten oder aus politischen Gründen weggesperrt wurden.

Zur Zeit des Nationalsozialismus waren das all diejenigen Werke, die nicht mit der Auffassung des NS-Regimes vereinbar waren.

»Die damaligen Bibliothekare taten ihr Bestes, um anti-nationalsozialistische Schriften in der ganzen Welt aufzustöbern und zu sammeln«, berichtet Stephan Kellner. – Sammeln statt »Verbrennen« sei damals die Devise gewesen. Mit Sympathien für den Widerstand habe dies jedoch nichts zu tun gehabt, betont Hermann Leskien, der Generaldirektor der Staatsbibliothek: »Der damalige Bibliotheksleiter war ein Nationalsozialist der ersten Stunde. Von daher glaube ich eher, dass man sich die oppositionelle Literatur beschaffte, um über die Ansichten und Methoden der Gegner auf dem Laufenden zu sein - oder aus einem allgemeinen Sammlertrieb heraus.«

Natürlich sind die damals »weggesperrten« Bücher – von so bekannten Autoren wie Lion Feuchtwanger, Thomas oder Klaus Mann – seit Kriegsende wieder frei zugänglich.

Dafür wandern seitdem alle rechtsradikalen Schriften, die in Bayern erscheinen (und daher in der StaBi archiviert werden müssen), sofort hinter Gitter.

Der »Giftschrank« wird also immer noch dringend gebraucht... Die Ausstellung ist noch bis zum 17. Dezember im ersten Obergeschoss der Bayerischen Staatsbibliothek (Ludwigstraße 16) zu besichtigen. rme

Artikel vom 17.10.2002
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