Erinnerung an die Zwangsarbeiterinnen der Agfa-Kamerawerke

Giesings dunkler Fleck

Das heutige Wohnhaus in der Weißenseestraße 7-15 verrät nichts über seine dunkle Vergangenheit als Lager für Zwangsarbeiterinnen der nahe gelegenen Agfa-Kamerawerke. Foto: bs

Das heutige Wohnhaus in der Weißenseestraße 7-15 verrät nichts über seine dunkle Vergangenheit als Lager für Zwangsarbeiterinnen der nahe gelegenen Agfa-Kamerawerke. Foto: bs

München/Giesing · Sie sind ein dunkles Kapitel in der Geschichte Münchens und Giesings: die Zwangsarbeiterinnen der Agfa-Kamerawerke. Ein für den 8. November geplanter, öffentlicher Gedenkgang sollte daran erinnern, wurde aber wegen der verschärften Corona-Maßnahmen abgesagt.

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Alexander Steig, der 2017 die temporäre Erinnerungsskulptur "Kamera" vor dem ehemaligen Außenlager in der heutigen Weißenseestraße errichtet hatte, wollte auf dem Weg vom damaligen Standort des Lagers zur Zwangsarbeitsstätte auf dem Agfa-Gelände an die internierten Frauen des Außenlagers Agfa-Kamerawerke des KZ Dachau gedenken. Er plante, aus Texten der niederländischen Kontoristin und Widerstandskämpferin Kiky Gerritsen-Heinsius (1921-1990) und der österreichischen Juristin, Ärztin und Widerstandskämpferin Ella Lingens (1908-2002) zu lesen. Beide Frauen haben unter nationalsozialistischer Herrschaft ihr Leben riskiert, um jüdische Mitmenschen vor Deportation und Ermordung zu retten. Dafür wurden sie von Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt.

Den Hintergrund des Projekts "Kamera" bildete damals Alexander Steigs Recherche zum Thema Zwangsarbeit bei dem zu IG-Farben gehörenden Münchner Agfa-Werk in Giesing bzw. dem Außenlager Agfa-Kommando des KZ Dachau. Hier richtete Steig den Blick auf die Gruppe der etwa 700 Zwangsarbeiterinnen – politische Gefangene aus den Niederlanden sowie Frauen aus Osteuropa, mehrheitlich Polinnen, die als Vergeltungsmaßnahme des Warschauer Aufstandes verschleppt wurden – die in Kriegszeiten von 1944 bis kurz vor ihrer Befreiung am 30. April 1945 im Wohnhaus Weißenseestraße 7-15 interniert gewesen waren.

Etwa 500 dieser Frauen arbeiteten im benachbarten „Agfa-Camerawerk“ als Zwangsarbeiterinnen für die Rüstungsindustrie des NS-Staates. Neben Zeitzündern und Zielfernrohren wurden dort Bauteile für die „Vergeltungswaffe“ V1 und V2 hergestellt. Der 100-seitige Erinnerungsbericht der Niederländerin Kiky Heinsius schildert eindringlich und sehr ausführlich die Arbeitsbedingungen und das Leben im Lager Weißenseestraße.

Auch wenn Agfa eine Einlage in die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ beisteuerte, schien es Steig geboten, durch eine künstlerische Intervention am ehemaligen Lager auf die tragische Besonderheit des Ortes hinzuweisen. Das heutige Wohnhaus verrät nichts über seine Vergangenheit. Der Bau des Wohnblocks wurde aufgrund von Bombenschäden unterbrochen – im Rohbau diente er der Internierung der Häftlinge. Erst um 1949 wurde der Bau fertiggestellt. Kiky Heinsius berichtet, dass sie im Block linkerseits interniert gewesen war. Das Lager Weißenseestraße selbst war mit Stacheldraht umzäunt.

Artikel vom 06.11.2020
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