Interview mit Löwen-Präsident Robert Reisinger

»Rette sich wer kann, hilft keinem weiter«

Appell an die Solidarität: Löwen-Präsident Robert Reisinger. Foto: Anne Wild

Appell an die Solidarität: Löwen-Präsident Robert Reisinger. Foto: Anne Wild

München/Giesing · Großveranstaltungen bleiben in Deutschland bis Ende August untersagt. Ob und wie die Dritte Liga, in der auch der TSV 1860 München spielt, fortgesetzt wird, ist eine offene Frage. Die Münchner Wochenanzeiger sprachen mit Vereinspräsident Robert Reisinger über seine Wahrnehmung der Situation.

Robert Reisinger (56) ist seit Juli 2017 Präsident des TSV 1860 München. Von Juli 2015 bis Juni 2017 war Reisinger Mitglied im Verwaltungsrat des Vereins, davor hatte der gebürtige Münchner zwischen 2009 und 2013 das Amt des Abteilungsleiters Fußball inne.

Herr Reisinger, wie kommt der TSV 1860 durch die Corona-Krise?

Wir werden es schaffen. Aber niemand kann vorhersehen, wann wieder völlige Normalität herrscht. Ich habe vor einigen Wochen in einem Interview gesagt, dass sich zeigen wird, wie weit die Solidarität innerhalb der vielbeschworenen Fußballfamilie reicht. Folgen den Sonntagsreden keine Taten, wird es nach meiner Überzeugung den Profifußball in seiner bisher bekannten Form in Deutschland nicht mehr geben. Sollte nicht ligaübergreifend solidarisches Handeln passieren, bricht der Unterbau weg und etliche Vereine gehen an der Krise kaputt. Die Situation ist für viele finanziell dramatisch. Eine Notsituation wie die Corona-Pandemie lässt sich nur gemeinsam bewältigen. Es müssen alle Profivereine zusammenstehen. Rette sich wer kann, hilft keinem weiter.

Wie soll das aussehen?

Ich erwarte mir Engagement von denen, die am hochklassigen Profifußball massiv verdient haben und die in Zukunft weiterhin daran verdienen wollen. Sie alle brauchen auch den Unterbau in den Ligen 3 und 4.

Was bedeutet das für die Situation bei den Löwen? Fortsetzung oder Saisonabbruch – darüber gibt es keine Einigkeit unter den Drittligisten.

Für die Belange des Profifußballs beim TSV 1860 wollen wir mit einer Stimme sprechen. Alles, was es bei uns dazu zu sagen gibt, kommt von den Geschäftsführern der KGaA. Der TSV 1860 unterhält einen Corona-Krisenstab, dem auch je ein Vertreter der Gesellschafter angehört – Heinz Schmidt ist für das Präsidium dabei. Dort werden Erkenntnisse und Maßnahmen besprochen. Günther Gorenzel und Michael Scharold machen beide in der aktuellen Krise unter schwierigen Bedingungen einen sehr guten Job. Wir sind im Präsidium sehr zufrieden mit ihrer Arbeit.

Der kaufmännische Geschäftsführer Michael Scharold verlässt aber bekanntermaßen den TSV 1860 im Frühsommer. Gibt es schon einen Nachfolger?

Die Gesellschafter stellen Scharolds Nachfolge wie angekündigt gemeinsam vor. Dazu bedarf es noch einer internen Abstimmung in den Gremien. Das dauert bis Mitte Mai. Wir als Verein haben mit einer Reihe von Bewerbern gesprochen. Es wird eine hochqualifizierte und erfahrene Fachkraft für den kaufmännischen Bereich kommen – soviel steht fest.

Die Amateur-Boxer des TSV 1860 München wollen in die Bundesliga und haben aktuell zu einem Crowdfunding unter Fans und Mitgliedern aufgerufen. Ein ziemlich unglücklicher Zeitpunkt?

Das konnte niemand vorher ahnen. Die Corona-Krise hat alle im Sport kalt erwischt. Die Kampagne für das Crowdfunding ist produziert, war zeitlich eingeplant und wird jetzt auch gefahren. Begleitend hätte eigentlich eine Großveranstaltung mit Boxkämpfen in einem Münchner Bierkeller stattfinden sollen – das ist erstmal auf Eis gelegt. Da hilft jetzt kein Jammern. Wir können nur abwarten und uns für den Tag, an dem gemeinsamer Sport wieder möglich sein wird, bestmöglich vorbereiten. Unsere Boxer in der Bundesliga kämpfen zu sehen, ist ein ehrgeiziges Ziel der Abteilung, das wir im Präsidium voll und ganz unterstützen.

Werden dafür Vereinsgelder aufgewendet?

Nein, das ist weder rechtlich noch wirtschaftlich möglich. Das würde durch das Präsidium auch nie befürwortet. Die Bundesliga ist ein Projekt der Boxabteilung und muss sich durch Einnahmen aus Wettkämpfen und eigene Sponsoren selbst tragen. In der Hinsicht ist jede Amateurabteilung im Verein autonom und für sich selbst verantwortlich. Es werden keine Gelder aus anderen Abteilungen verschoben – das ist völlig ausgeschlossen. Das wissen aber auch alle Beteiligten.

Zurück zum Profifußball. Es war zu lesen, die sich nach der Kommunalwahl neu formierende Rathauskoalition will an den Planungen der Stadt für einen Ausbau des Grünwalder Stadions festhalten?

Die Signale, die ich aus der Stadtpolitik erhalte, besagen das auch. Das ist erfreulich und wichtig für die Sportstadt München. Wir als Verein und das Management begrüßen das sehr. Der TSV 1860 braucht ein modernisiertes Stadion, um für die kommenden Jahre die gestiegenen Zulassungsvoraussetzungen an Spielstätten im Profifußball erfüllen zu können. Dazu zählen unter anderem ein zeitgemäßer Business-Bereich für Sponsoren und Förderer, eine Verbesserung der baulichen Situation für Rollstuhlfahrer und Medien sowie eine Komplettüberdachung des Stadions – nicht nur als Witterungsschutz, sondern auch um für Anwohner die Geräuschkulisse bei Spielen gering zu halten.

Hasan Ismaik verfolgt derweil seine eigenen Stadionpläne?

Mir liegen darüber keine Informationen vor. Postings in sozialen Medien haben für mich keine Relevanz und für die Stadt München auch nicht. Für mich zählen allein Fakten und die sind: der TSV 1860 spielt im Grünwalder Stadion und wird das nach Lage der Dinge auch weiterhin tun. Wer das für den falschen Weg hält, sollte einfach mal die Liste der Klubs in Deutschland durchgehen, die sich mit Stadionneubauten wirtschaftlich völlig übernommen haben. Die ist ziemlich lang und darauf steht leider auch der TSV 1860 München.

Manche bemängeln, geschätzte 30 Millionen Euro wären in Giesing für lediglich 3.000 Plätze mehr verschwendete Steuergelder.

Wer so argumentiert, versteht nicht, worum es bei der geplanten Baumaßnahme geht oder äußert sich bewusst polemisch.

Kritiker sagen, mit dem Grünwalder Stadion würde man die Löwen künstlich klein halten?

Das sehe ich anders. In den ersten beiden Ligen machen Spieltagseinnahmen einen vergleichsweise geringen Anteil an den Erlösen aus. Wir wollen zurück in die 2. Liga – mit wirtschaftlich vertretbarem Handeln und einem intelligenten sportlichen Konzept. Sollten wir eines Tages dauerhaft wieder in der 1. Bundesliga stehen, kann man über Alternativen in Sachen Spielort nachdenken. Jetzt ist der falsche Zeitpunkt für Phantasien. Heute gilt es die Gelegenheit auf eine Verbesserung der Ist-Situation beim Schopf zu packen und die heißt Grünwalder Stadion.

Wie laufen die Gespräche über die geplante Kapitalerhöhung in der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA?

Ich bitte um Verständnis, dass ich in diesem Stadium der Verhandlungen öffentlich nichts dazu sagen möchte. Das wäre kontraproduktiv. Jedes Wort von mir würde auf die Goldwaage gelegt.

Hasan Ismaik hat sich in einem Interview mit der Sportbild aber geäußert. Er sagt darin, er will dem Verein selbst ein Angebot für eine Kapitalerhöhung unterbreiten?

Habe ich mitbekommen und war darüber so erstaunt wie alle anderen Beteiligten. Wir haben im Präsidium unseren Mitgesellschafter über seine Berater gebeten, seine Gedanken doch bitte auch uns gegenüber zu konkretisieren.

Wird die geplante Mitgliederversammlung im Juni stattfinden?

Leider nein. Großveranstaltungen sind in Deutschland mittlerweile bis zum 31. August behördlich ausgeschlossen. Wir haben Kontakt mit dem Hallenvermieter. Zum ursprünglich geplanten Termin sieht auch er keine Chance. Wir wollen die Versammlung voraussichtlich im Oktober nachholen.

Denken Sie an eine virtuelle Versammlung und Online-Abstimmungen?

Das wäre für uns als Veranstalter von der Technik her bei potentiell 23.000 Teilnehmern uferlos teuer und würde alle Mitglieder ausschließen, die nicht über entsprechende Kenntnisse verfügen. In Bayern gibt es nicht mal in allen Gegenden schnelles Internet für Handel und Gewerbe, geschweige denn für Privathaushalte. Wir haben mit der Corona-Pandemie eine außergewöhnliche Situation. Da müssen wir jetzt alle durch und dann kommen auch wieder andere Zeiten, in denen persönliche Zusammenkünfte der Mitglieder möglich sind.

Interview: Alfons Seeler

Artikel vom 20.04.2020
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