Das regelmäßige Lamento der Auguren

Der TSV 1860 und seine Talente

Erneuerungsfähig: Junglöwen. Foto: Anne Wild

Erneuerungsfähig: Junglöwen. Foto: Anne Wild

München/Giesing · Ein wiederkehrendes Phänomen beim TSV 1860 München ist das Lamento, man habe nun endgültig sein Tafelsilber – so werden Nachwuchskräfte gerne genannt – verkauft. Es komme nichts mehr nach. Aus und vorbei. Die Rufe ereilen den Klub so zuverlässig wie die wechselnden Jahreszeiten. Eine Einschätzung vermeintlicher Experten, die sich noch jedesmal als Trugschluss herausgestellt hat.

Als im Jahr 2009 die Bender-Zwillinge Lars und Sven nach Dortmund und Leverkusen wechselten und die ebenfalls hochveranlagten Fabian Johnson und Julian Baumgartlinger die Löwen in Richtung Wolfsburg und Wien verließen, waren sich die Hellseher einig, der Nachwuchs des TSV 1860 sei am Boden – alles verkauft. Nicht ganz so viel Beachtung fand der zeitgleiche Wechsel von Philipp Hosiner nach Sandhausen.

Zur allgemeinen Überraschung präsentierten sich aber schon wieder neue Fähige. 2010 wechselte Peniel Mlapa nach Hoffenheim, wohin ihm ein Jahr später Tobias Strobl folgte. Moritz Leitner ereilte der Ruf aus Dortmund. Gut, räumten die Propheten ein, die drei habe man vielleicht übersehen. Aber nun sei garantiert kein Staat mehr zu machen mit den Junglöwen.

Zu diesem Zeitpunkt hatten die Weissager noch nichts von Kevin Volland gehört. Der ging 2012 nach Hoffenheim. Eigengewächs Stefan Aigner – den immerhin kannten die »Experten« – wechselte im gleichen Jahr nach Frankfurt. Manuel Schäffler zog es nach Duisburg. Das waren letzte Ausreißer, hieß es an der Front der Seher – das Reservoir in Giesing mittlerweile todsicher restlos erschöpft.

Dann tauchte ein Nachwuchslöwe namens Bobby Wood auf – 2015 ging es für ihn nach Berlin. Julian Weigl wechselte im gleichen Jahr nach Dortmund. Marius Wolf zog es 2016 nach Hannover und Christopher Schindler nach England zu Huddersfield. Die Experten wirkten ratlos. Wo kamen nur alle diese Talente her? Die nicht ganz so hochveranlagten, aber immerhin profitauglichen, Sebastian Maier (2013 nach Hamburg), Korbinian Vollmann (2016 nach Sandhausen) und Richard Neudecker (2016 nach Hamburg) wurden von ihnen schon gar nicht mehr mitgezählt.

Erneut waren sich dafür die »Experten« sicher: jetzt kommt nichts mehr nach. Es sei unmöglich, zehn Jahre lang ein Talent nach dem anderen zu liefern und dann immer noch welche in petto zu haben. Der Giesinger Nachwuchs wäre ausgezehrt und ihre sich bislang als Dauerirrtum erweisende Prophezeiung endlich erfüllt. Doch auch diesmal sollten sie falsch liegen. Florian Neuhaus und Felix Uduokhai betraten 2017 die Bühne in Giesing und wechselten zu Gladbach und Wolfsburg.

Es folgte der sportliche und wirtschaftliche Absturz der Profis aus der Zweiten Liga in die Regionalliga. Gleichzeitig traten die A- und B-Junioren des TSV 1860 München den Gang eine Liga tiefer an. Der Verein hielt mit einem Kraftakt seiner Mitglieder das Nachwuchsleistungszentrum trotzdem auf dem Niveau eines Zweitligisten. Aber die Talente, jammern die Propheten, die Talente seien doch alle weg – das Nachwuchsleistungszentrum am Boden. Gut, sie hatten mehr als zehn Jahre lang mit ihren Weissagungen zuverlässig falsch gelegen, aber jetzt wäre unwiderruflich der Zeitpunkt gekommen, an dem der TSV 1860 keine einzige Begabung mehr in den Profifußball bringen könne.

Dennis Dressel und Semi Belkahia? Nie gehört. Dass ein Dutzend vom Klub selbst ausgebildeter Spieler im Kader der ersten Mannschaft des TSV 1860 München stehen? Ja schon, aber doch auch nur weil das Niveau in der Dritten Liga insgesamt niedriger sei, wissen die Auguren. Und vor allem nächstes Jahr, da werde man schon sehen…

Glosse von Alfons Seeler

Artikel vom 24.04.2019
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