Wie man eine Kirche findet

Sensationeller Fund auf einem Acker bei Niederding

Oben das Luftbild, das Harald Krause durch Google Earth gefunden hat, unten das gleiche Bild mit Umzeichnung des Kirchengrundrisses von Harald Krause. 	Luftbild: © Google Earth

Oben das Luftbild, das Harald Krause durch Google Earth gefunden hat, unten das gleiche Bild mit Umzeichnung des Kirchengrundrisses von Harald Krause. Luftbild: © Google Earth

Erding/Niederding · Dem im Februar 2018 verstorbenen Heimatforscher und Gemeindearchivar von Oberding, Georg Gruber, hätte diese Entdeckung leuchtende Augen beschert, da ist sich Harald Krause sicher.

Denn dem Doktoranden und Archäologen von der LMU München (zugleich Museumsleiter im Museum Erding) ist für die Kirchengeschichte der Gemeinde Oberding ein luftbildarchäologischer Glückstreffer gelungen. Im Zuge intensiver Luftbildauswertungen konnte er im Rahmen seiner Forschungen die längst nahezu vollständig in Vergessenheit geratene Kirche von St. Lorenz zwischen Niederding und Reisen wiederentdecken und ihren Standort erstmals exakt festlegen.

Dabei machte er sich Aufnahmen zunutze, auf die jeder zurückgreifen kann, die aber nicht jeder so lesen kann wie ein erfahrener Historiker und Archäologe. Im aktuellen Luftbild von Google Earth, aufgenommen am 8. April 2018, zeichnen sich im jungen Getreidebewuchs zahlreiche Grundmauerstrukturen als so genannte negative Bewuchsmerkmale ab. Solche Wuchsstörungen entstehen, wenn in Phasen länger andauernder Trockenheit das Getreide mangels ausreichenden Wurzelraums und fehlendem Bodenwasser im Untergrund zu verkümmern beginnt. Die Vegetation »paust« in solchen Situationen die unterirdischen Strukturen durch, die im Luftbild aus dem April 2018 rein zufällig festgehalten wurden.

Wegen der Einflugschneise des Münchner Flughafens im Erdinger Moos ist seit 1992 Flugverbotszone für die amtliche Luftbildarchäologie – in diesem Bereich ist man in der Denkmalpflege seither auf ebensolche Zufallsaufnahmen angewiesen.

Ein Glückstreffer also.

Das ausgewertete Luftbild zeigt ein hervorragendes und detailbeladenes negatives Bewuchsmerkmal im heranwachsenden Wintergetreide: Neben dem nahezu exakt in Ost-West-Lage ausgerichteten Kirchenschiff mit Apsis zeichnet sich möglicherweise vage eine kleiner dimensionierte Apsis eines mutmaßlichen Vorgängerbaus im Innenraum ab. Die letzten Abmessungen der Kirche lassen sich 11 mal 7 Meter für den Saalbau und 6,8 mal 5 Meter für die Apsis ermitteln.

Das Kirchenschiff St. Lorenz war offensichtlich ringsum von einer Mauer eingefriedet – vermutlich der Raum der Klause (auch Einsiedelei oder Eremitage genannt). Dort sind weitere Mauerzüge und schuttverfüllte Keller im Luftbild erkennbar. Die Maximalausdehnung der Klause beträgt 36 auf 16 Meter. Das Alter des Kirchenbaus ist bis heute unbekannt.

Der exakte Standort der 1803 abgebrochenen Kirche bzw. Kapelle von St. Lorenz war der Denkmalpflege vollkommen unbekannt. Einzig Wegekreuze im Bereich der Neuentdeckung erinnerten an die ehemalige »Klause«, wie sie von einigen Anwohnern heute noch genannt wird.

In der Bevölkerung rund um Niederding sind der Ort und seine einstige Funktion noch im Bewusstsein vorhanden, gelegentlich wird sogar von »Unmengen an Steinen und Ziegeln im Acker« berichtet. Im Acker selbst ist heute ein unscheinbarer Hügel erkennbar, der den Kirchenstandort als verflachten Schuttkegel markiert. In einem der ältesten historischen Kartenwerke Bayerns, den Bairischen Landtafeln von Philipp Apian aus dem Jahr 1568, ist die Kirche St. Lorenz noch eingetragen – sogar mit Kirchturm-Signatur. Das Urkataster von 1810 zeigt im Bereich der Kirche bereits wieder Ackerland und keinerlei Hinweis auf ehemalige Gebäude.

Dank der akribischen Forschungen von Georg Gruber, die in der Chronik der Gemeinde Oberding von 2000 niedergeschrieben wurden, sind auch einige wenige historische Detailinformationen zu St. Lorenz bekannt. Demnach lebten um 1700 in der Klause zwei Fratres. Sie gaben teilweise bis zu 50 Kindern Schulunterricht. Nachdem der letzte Klausner, Frater Georg Maulhart, 1802 ausgeraubt wurde, zog er nach Niederding und die Klause wurde im Zuge der Säkularisation 1803 profanisiert, aufgelöst und abgebrochen. Das Altarbild – eine Kopie der Passauer Maria-Hilf-Madonna – gelangte laut Gruber in die 1903 neu errichtete Kirche St. Korbinian in Schwaig, weitere Gegenstände aus der Klause hingegen in Privatbesitz.

Sie gelten als verschollen. Die Wiederentdeckung und exakte Lokalisierung von Kirche und Einsiedelei St. Lorenz stellt einen weiteren Meilenstein in der archäologischen Erforschung der Geschichte der Gemeinde Oberding dar. Die Neuentdeckung wurde umgehend an das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege gemeldet und wird dort aktuell auf Denkmalrelevanz geprüft.

Geplant ist, dass das Landesamt durch zerstörungsfreie Prospektionsmethoden – z. B. Widerstandsmessung oder Georadar – die Fläche detailliert ohne Bodeneingriffe erkundet – das Einverständnis des Grundstück­eigentümers vorausgesetzt. Es soll festgestellt werden, wie tief und gut die Grundmauerreste von Kirche und Klause noch erhalten sind und zugleich ein exakter Bauplan erstellt werden, um im besten Falle im Anschluss ein geeignetes Schutzkonzept gemeinsam mit dem Grundstücks­eigentümer erarbeiten zu können.

Vielleicht – so zumindest die Anregung von Harald Krause – könnte man hier auf einer Fläche von 30 mal 50 Metern Ackerland in Dauergrünland umwandeln und zugleich eine ökologische Ausgleichsfläche schaffen. Der Platz könnte als ein Ort der Ruhe und Einkehr wiedererstehen und seine einstige Bestimmung zurückerlangen.
Harald Krause

Artikel vom 31.08.2018
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