Es geht ums Überleben

München · Der Streit um Drogenkonsumräume geht weiter

Ob Drogenkonsumräume »einladen«, ist Ansichtssache. Die hygienischen Zustände sind aber un­bestritten allemal besser als jeder andere öffentliche Raum.	Foto: Condrobs

Ob Drogenkonsumräume »einladen«, ist Ansichtssache. Die hygienischen Zustände sind aber un­bestritten allemal besser als jeder andere öffentliche Raum. Foto: Condrobs

München · Olaf Ostermann ist frustriert. Seit Jahren kämpft der Sozialpädagoge für die Einrichtung von Drogenkonsumräumen in Bayern, besonders in München, dem Schwerpunkt der Drogenszene im Freistaat. Ebensolange stößt er auf den Widerstand der Politik. Das kostet Kraft.

Ostermann hat neuen Mut geschöpft, als vor wenigen Wochen aus den Reihen der CSU die Einrichtung von Drogenkonsumräumen gefordert wurde. Jedoch kam die Forderung aus der Münchner CSU, namentlich von den Stadträten Manuel Pretzl und Hans Theiss, nicht von der Landes-CSU.

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Ostermann wollte es nun genauer wissen und verfasste einen offenen Brief an die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml. Auf vier Seiten legt er ihr darin nochmals seine Argumente für Drogenkonsumräume dar.
Seine zentrale These: »Drogenkonsumräume retten Leben«.

Die Alternative zu Drogenkonsumräumen, wo Abhängige die Drogen unter hygienischen Zuständen zu sich nehmen, ist das anonyme Versteck, wo sie unbemerkt einfach sterben. Olaf Ostermann kann und will dabei nicht zusehen. Er findet in seinem offenen Brief klare Worte und kritisiert die Ministerin. Darauf angesprochen fordert sie von Ostermann die Versachlichung der Debatte und eine unvoreingenommene Prüfung der Gegenargumente.

Drogenkonsumräume können die Zahl der Abhängigen nicht reduzieren, aber die Zahl der Drogentoten, sagt Ostermann. Das würden Vergleichszahlen aus anderen Bundesländern belegen, die zum Teil schon über 20 Jahre derartige Angebote machen.

Der soziale Trägerverein Condrobs, für den Ostermann arbeitet, engagiert sich zwar auch in der Prävention. Für Menschen, die bereits in der Abhängigkeit sind, bringt das aber nichts mehr. Es geht hier schlicht ums Überleben.

Für die Gesundheitsministerin keine ausreichenden Gründe. Sie argumentiert mit den Zahlen der Todesopfer am Beispiel Berlin. Dort sei die Zahl von 2012 bis 2017 von 113 auf 168 angestiegen – trotz Drogenkonsumräumen. Anteilig beträgt dieser Anstieg rund 49 Prozent. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der Drogentoten in Bayern von 213 auf 308 angestiegen (+44%). Alle Werte stammen aus der Statistik des Bundeskriminalamts.

Auch Ostermann verweist auf die Statistik, setzt aber früher an. Im Vergleich der aktuellen Zahlen mit 2005 (Berlin: 195 Drogentote, Bayern: 197) schneidet Bayern erheblich schlechter ab als Berlin. Alles nur eine Frage der Perspektive?

Ostermann erklärt, Studien würden den belegen, dass Drogenkonsumräume die Zahl der Drogentoten verringerten. Huml verweist dagegen auf die Weiterentwicklung des Drogenhilfesystems in Bayern. Konkret nennt sie ein Modellprojekt zur Abgabe von Naloxon mittels eines Nasensprays durch speziell geschulte Laien. Naloxon kann die Wirkung einer Heroinüberdosis kurzfristig aussetzen. Für Ostermann nichts Neues. Condrobs hat lange für die Abgabe von Naloxon durch geschulte Laien gekämpft und bildet seit einiger Zeit in München aus.

Eine Anhörung von Vereinsvertretern vor einem Landtagsausschuss im Oktober 2016 war nötig, um die Staatsregierung von der Sinnhaftigkeit dieser begrenzten Freigabe zu überzeugen.

Den Unmut der Ministerin hat sich Olaf Ostermann mit seiner Behauptung, sie sei »schlecht beraten und informiert«, zugezogen. Das weist Huml unserer Zeitung gegenüber weit von sich. Unter diesen Voraussetzungen sei auch kein Besuch der Ministerin in einem Kontaktladen von Condrobs möglich, um mit Mitarbeitern und Betroffenen direkt zu sprechen: »Die ›Einladung‹ von Herrn Ostermann in Form einer Pressemitteilung war leider mit diversen Unterstellungen verbunden und deshalb offensichtlich nicht ernst gemeint. So kann ich seinen Vorwurf nicht nachvollziehen, dass für mich hinter Polizeiberichten über Drogentote ›nur eine Zahl‹ und kein Mensch stehe. Das Gegenteil ist der Fall. Zu einem sachlichen Gespräch mit Herrn Ostermann bin ich aber gerne bereit, wenn er auch dafür offen ist.«

Zwei Menschen haben dasselbe Ziel, das sie auf unterschiedlichen Wegen erreichen wollen. Wenn sie doch einen gemeinsamen Weg gehen wollen, ist der Dialog unabdingbar. Die grundsätzliche Bereitschaft ist auf beiden Seiten vorhanden. Jetzt ist es eine Frage der Augenhöhe. Von Carsten Clever-Rott

Artikel vom 24.08.2018
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