Pressegespräch mit dem Präsidium des TSV München von 1860 e.V.

Reisinger: »Aus der Vernunft geboren«

Zog Bilanz: Löwen-Präsident Robert Reisinger. Archivfoto: Anne Wild

Zog Bilanz: Löwen-Präsident Robert Reisinger. Archivfoto: Anne Wild

München/Giesing · Löwen-Präsident Robert Reisinger lud mit seinen Stellvertretern Heinz Schmidt und Hans Sitzberger die Münchner Sportpresse zu einem Gespräch. Rund eineinhalb Stunden lang zogen die Oberlöwen symbolbehaftet in einem Giesinger Stehausschank eine Bilanz der vergangenen zwölf Monate.

Nach dem sportlichen und finanziellen Absturz der Profifußballer im Juni 2017 sei der TSV 1860 vor einer außerordentlich schwierigen Situation gestanden: Der Geschäftsführer hatte gekündigt, der Präsident war zurückgetreten, der Trainer weg und die Spieler suchten ablösefrei das Weite. Die Insolvenz der KGaA habe gedroht. »In dieser Situation im Präsidium Verantwortung zu übernehmen, war kein Vergnügen – der Druck enorm«, berichtete Reisinger rückblickend.

Dem Verein habe nach der Ära von Geschäftsführer Power ein gesicherter Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse der KGaA gefehlt. Reisinger: »Wir wussten nicht mehr was wir glauben konnten und was nicht.« Es sei deshalb für das Präsidium außer Frage gestanden, als Sofortmaßnahme einen unabhängigen sanierungserfahrenen Finanzspezialisten als Geschäftsführer einzusetzen. Die Wahl fiel auf Markus Fauser, der die Dinge auf der Geschäftsstelle geordnet und für beide Gesellschafter transparent gemacht habe.

Dass man Fauser ebenso wie später seinen Nachfolger Michael Scharold durch Verweis auf 50+1 gegen den erklärten Willen des Mitgesellschafters durchsetzen musste, nahm das Präsidium in Kauf. Eine Verstimmung des Investors schien in dieser Phase das geringste Problem. Die KGaA wirtschaftlich und organisatorisch zu stabilisieren und Vereinbarungen mit Gläubigern zu treffen, damit eine positive Fortführungsprognose möglich wurde, stand im Fokus der Bemühungen. Der eingeschlagene Kurs sei Reisinger zu Folge alternativlos gewesen, um eine Insolvenz zu vermeiden. Nach einigem Zögern und Taktieren habe letztlich auch die Investorenseite dem Sanierungsplan zugestimmt. Die positive Fortführungsprognose gelte für zwei Jahre, müsse jedoch jedes Jahr neu nachgewiesen werden.

Mitglieder, Sponsoren, Fans, der Bayerische Fußballverband und die Münchner Stadtpolitik hätten in dieser schwierigen Phase zum TSV 1860 gestanden und eine Fortführung in der Regionalliga ermöglicht. Nicht nur sportlich, sondern auch für die Identität des Vereins sei das vergangene Jahr ein Neuanfang gewesen, betont Reisinger. Die Atmosphäre bei den Heimspielen in und um das Grünwalder Stadion herum habe einen nicht zu unterschätzenden ideellen Wert für den Verein. »Die Energie aus dem Viertel hat uns durch die Saison getragen.« Der TSV 1860 München erfuhr einen Grad an Aufmerksamkeit und Zuneigung, der ihm lange nicht mehr zuteil geworden war. »Wir haben verloren gegangene Sympathien wiedergewonnen. Das ist auch ein Signal an Sponsoren«, ist sich Reisinger sicher.

Das seit dem Einstieg des Investors schwelende Thema einer möglichen Gefährdung der Gemeinnützigkeit des e.V. im Falle einer Insolvenz der KGaA sei einer Lösung einen entscheidenden Schritt näher gekommen, erklärte der für die Finanzen des e.V. verantwortliche Vize-Präsident Heinz Schmidt. Dazu habe es der Zustimmung der Investorenseite bedurft, die lange nicht zu bekommen gewesen war, nun aber vorliege. Ein wichtiger Schritt, um den man intensiv gerungen habe.

Die für den Amateursport im Verein unbefriedigende Hallensituation – die Abteilungen des TSV 1860 München sind über das ganze Stadtgebiet verteilt – steht nach langen Verhandlungen und Sondierungsgesprächen offenbar vor dem Durchbruch. »Es wird bis zum Abschluss noch ein paar Wochen dauern«, sagte Reisinger, aber dann könne man hoffentlich die für den Amateursport dringend benötigte Entwicklungsperspektive bieten. Auch für eine Interimslösung in Kooperation mit einem anderen Verein führe man Gespräche, um den Wegfall der Turnhalle an der Auenstraße, in der unter anderem die Boxabteilung des TSV 1860 München trainiert, kompensieren zu können.

In Zusammenarbeit mit der Stiftung Pfennigparade wolle man den Behindertensport weiter fördern. Der TSV 1860 München hat seit Herbst 2016 eine eigene Abteilung Behindertensport. Künftig soll der Gedanke der Inklusion in den einzelnen Abteilungen stärker gelebt werden, damit Sportler mit Behinderung zusammen mit ihren Betreuern und Trainern die Möglichkeit haben, am Sportangebot des TSV 1860 München teilzunehmen. Im Präsidium begleitet Hans Sitzberger dieses Engagement.

Die Neu- und Wiedereintritte vieler Mitglieder hätten dem Verein beim Neustart in den letzten zwölf Monaten sehr geholfen. Seinen historischen Höchststand an Mitgliedern verzeichnete der TSV 1860 München in der Bundesligasaison 2001/2002 mit 23.600 Mitgliedern. Seit dem Abstieg 2004 ging diese Zahl kontinuierlich Jahr für Jahr nach unten. Mittlerweile kratze man jedoch an einem neuen Mitgliederrekord. Die Löwen sind für ihre Anhänger wieder attraktiv.

In den kommenden zwölf Monaten soll es nach dem Wunsch des Präsidiums darum gehen, den eingeschlagenen Weg »wirtschaftlicher Vernunft« in der KGaA fortzusetzen. Die Ausgaben der Gesellschaft müssten weiter von den Einnahmen gedeckt sein, betonte Reisinger. Das Alltagsgeschäft sei allein Sache der Geschäftsführung. »Da mischen wir uns nicht ein.« Gleichwohl wolle man im Präsidium aktiv bei der Lösung der Stadionfrage mitwirken. Alle Verantwortlichen seien sich deren Tragweite für die zukünftige Entwicklung des TSV 1860 München bewusst. Nicht hilfreich wären in diesem Zusammenhang öffentliche Ultimaten wie sie aktuell von manchen Bewerbern um ein Vereinsamt zu hören sind.

Man sei in Gesprächen mit der Landeshauptstadt. »Wir sind nur Mieter, können Vorschläge machen – die Stadt allein entscheidet«, sagte Reisinger. Der Kulturwandel beim TSV 1860 München im vergangenen Jahr habe für eine andere politische Gesprächsatmosphäre gesorgt. Die dürfe nicht durch verbale Kraftmeierei aufs Spiel gesetzt werden. Diplomatie und intelligentes politisches Handeln seien das Gebot der Stunde.

Der Kulturwandel habe auch den sportlichen Bereich der Profimannschaft erfasst, ist sich Reisinger sicher und nennt das »aus der Vernunft geboren«. Am Beispiel der Neuverpflichtungen sei eine Giesinger Handschrift erkennbar. Geholt wurden nur Spieler die von ihrer Vita, Mentalität und Kultur her gut zum TSV 1860 München passen. »Das ist keine Garantie für sportlichen Erfolg, aber es erhöht die Wahrscheinlichkeit dafür.«

Entscheidend für das Fortkommen des TSV 1860 München im Profifußball werde es Reisinger zufolge sein, personelle Kontinuität über einen längeren Zeitraum hinweg zu wahren und nicht wie früher üblich bei Rückschlägen und Durststrecken gleich wieder hektisch alle Vereinbarungen in Frage zu stellen. Michael Scharold, Günther Gorenzel, Daniel Bierofka, Jürgen Jung und Dieter Märkle hätten das Vertrauen des Vereins. »Von Seiten des Präsidiums müssen sie keine Querschüsse befürchten. Sie können in Ruhe am Erfolg der Löwen arbeiten.«

(as)

Artikel vom 07.07.2018
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