Ekstase oder Leichenschau?

Wie steht München zum nächtlichen Public Viewing

Noch ist über allen Biergärten und Stadien Ruh’. Aber in ein paar Wochen wird München wieder zu einer »tobenden« Freischaubühne der WM 2014.	Foto: mu

Noch ist über allen Biergärten und Stadien Ruh’. Aber in ein paar Wochen wird München wieder zu einer »tobenden« Freischaubühne der WM 2014. Foto: mu

München · Wehende Fahnen, ausgelassene Stimmung, Bildschirme so groß wie Einfamilienhäuser und wildfremde Menschen, die sich nach einem Tor der Fußballnationalmannschaft jubelnd in die Arme fallen.

Public Viewing in München 2014

Was für die einen die Fortsetzung eines Sommermärchens bedeutet, ist für andere eher ein nächtlicher Albtraum: »Ich habe nichts gegen Fußball, aber ich brauche meinen Schlaf, da ich Schicht arbeite«, erzählt Thomas Huber, der in der Münchner Innenstadt lebt und arbeitet. So könnte es während der Fußballweltmeisterschaft vielen Münchnern gehen. Knapp die Hälfte der 64 Begegnungen der Weltmeisterschaft werden um 22 Uhr oder später angepfiffen.

Auf den zweiten Blick relativiert sich die Problematik etwas, denn die deutschen Vorrundenspiele beginnen zweimal um 18 Uhr und einmal um 21 Uhr. Nach der Gruppenphase beginnen alle Entscheidungsspiele zwischen 18 und 22 Uhr. Geht jedoch ein Spiel in die Verlängerung oder ins Elfmeterschießen, dann ist die mitternächtliche Ruhe gefährdet. Eigentlich widerspricht das nächtliche Public Viewing den Lärmschutzgesetzen. Doch eine Sondergesetzgebung des Bundestags sowie des Bundesrates ermöglicht den Kommunen eine Erlaubnis auch zu nachtschlafender Zeit. Für die Dauer der Fußballweltmeisterschaft werden die Feier- und Jubelorte mit Sportanlagen gleichgesetzt, weshalb auch nach 22 Uhr Spiele gezeigt werden dürfen. Dabei haben die lokalen Behörden einen großen Ermessungsspielraum: Interesse des Publikums, Bedeutung des Spiels für das Turnier und der Abstand zu Wohnbereichen sind ausschlaggebend für die behördliche Entscheidung. »Grundsätzlich wollen wir mit Genehmigungen wie in den letzten Jahren kulant sein, aber wir berücksichtigen natürlich auch die Interessen der Anwohner«, betont Kristin Nettelnbrecher, Öffentlichkeitsbeauftragte des KVR.

Mittlerweile haben eine ganze Reihe von Veranstaltern eine Erlaubnis zum Public Viewing von der Stadt München erhalten (eine Übersicht ist auf unserer Homepage unter www.wochenanzeiger.de zu finden).

Besonders die zahlreichen Biergartenbetreiber hoffen auf ein gutes Geschäft durch das Public Viewing, das der Duden als Rudelgucken beschreibt. »Wenn Deutschland spielt und wir zeigen es nicht, dann kommen einfach keine Gäste«, so der Chef des Hirschgarten Johann Eichmeier. »Wenn es regnet, können unsere Gäste die Spiele im großen Saal genießen«, erzählt eine Mitarbeiterin des Hofbräukeller am Wienerplatz in Haidhausen. Entspannt mit dem Thema Public Viewing geht die direkte Nachbarin des Hofbräukellers um. »Mich stört der Lärm überhaupt ned. Die sollen nur schauen und die Unseren gscheid anfeuern. Weltmeister werden mir aber trotzdem ned«, schmunzelt Margot Welzmiller in ihrem Stehcafe am Wienerplatz. Man versuche ohnehin mit den Nachbarn das ganze Jahr und besonders bei Großereignissen mit den Nachbarn zusammen zu arbeiten, betont man von Seiten des Hofbräukellers.

Neben der Lärmbelastung und einer höheren Müllbelastung kommen besonders auf die Mitarbeiter in der Gastronomie deutlich längere Arbeitszeiten hinzu. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten erinnert daran, dass die Arbeitnehmer einen Anspruch auf Bezahlung der Überstunden haben.

Für alle, die Public Viewing eher kritisch sehen, ist es vielleicht ein kleiner Trost, dass »Public Viewing« aus dem Englischen eigentlich keine zwanglose Freude heißt, sondern »Leichenschau«. Schreiben Sie uns gerne ihre Meinung zum nächtlichen Public Viewing an redaktion@wochenanzeiger.de Von Marcus Ullrich

Artikel vom 05.06.2014
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