Der SPD-Kanzlerkandidat und sein Spagat zwischen Volksnähe, Information und Wahlkampf

München · Peer Steinbrück zu Besuch im »Lichtblick« Hasenbergl

Florian Post, Florian Pronold, Peer Steinbrück, Gerhard Wimmer und Diana Stachowitz (v.l.) lassen sich hier gerne auf den Zahn fühlen.	Foto: cr

Florian Post, Florian Pronold, Peer Steinbrück, Gerhard Wimmer und Diana Stachowitz (v.l.) lassen sich hier gerne auf den Zahn fühlen. Foto: cr

München/Hasenbergl · »Sind Sie reich?« Kein Erwachsener käme auf die Idee, den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück so etwas zu fragen. »Ja«, antwortet der kurz und knapp mit einem verschmitzten Grinsen. »Glaub ich nicht!«, bekommt er daraufhin zu hören.

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Die Kinder im Lichtblick Hasenbergl nehmen kein Blatt vor dem Mund. Steinbrück bleibt amüsiert: »Da bist du aber der Einzige in der Republik, der das nicht glaubt.«
Steinbrück freut sich sichtlich auf seinen Termin ganz nah bei den Menschen. Dass die Medien sich auf den Kanzlerkandidaten stürzen, nimmt er hin. Er versucht, die Presseleute so gut wie möglich auszublenden. Das ist sein Dilemma: Eigentlich will Steinbrück sich darüber informieren, was die Einrichtung in der Thelottstraße leistet. Dazu braucht er keine Öffentlichkeit. Aber es ist halt auch Wahlkampf. Präsenz ist das A und O.

Das soziale Netz ist löchrig

Was die Lichtblick-Leiterin Dörthe Friess über das pädagogische Konzept berichtet, hinterlässt Eindrücke bei der Delegation, der auch der bayerische SPD-Chef Florian Pronold, die Landtagsabgeordnete Diana Stachowitz, der Bundestagskandidat Florian Post und der Bezirksrat Gerhard Wimmer angehören. »Unsere Kinder hier sind Kinder, die durchs soziale Netz gefallen sind. Sie weisen allesamt große Bildungsferne auf und kommen aus sozial schwierigen Verhältnissen.« Friess findet klare Worte, die jeden Sozialdemokraten schmerzen müssen. Aber das ist die Realität. Realität ist jedoch auch die Arbeit des Lichtblicks. Mit viel Engagement und Einfühlungsvermögen begleiten sie Kinder ab drei Jahre bis zum Abschluss der Berufsausbildung mit Mahlzeiten, Hausaufgabengruppen, Kindergarten und Hilfestellung in allen Lebenslagen. Im Gegenzug wird Kooperation eingefordert – letztlich alles zum Wohle der Kinder und Jugendlichen. Ein ehemaliges Lichtblick-Kind hat es zum Hochschulabsolventen gebracht. Ohne Lichtblick, und das muss man ganz unbescheiden sagen, hätte auch dieser Lebenslauf höchstwahrscheinlich eine andere Wendung genommen.

Schuld an ihrer schwierigen Ausgangssituation ist keines der Kinder selbst. Auch den Eltern kann man in aller Regel keine Vorhaltungen machen. Der Anteil der Lichtblick-Kinder mit Migrationshintergrund liegt bei 80 Prozent, sagt Friess. Die Eltern hätten häufig große Probleme mit der deutschen Sprache, könnten ihren Kindern dadurch keine Unterstützung leisten. 30 bis 40 Prozent der Eltern seien formale Analphabeten. Das bedeutet, sie können einen Text zwar lesen, allerdings darf der nicht zu lang sein, sonst bleibt das Verstehen auf der Strecke. Leidtragende sind in der Konsequenz die Kinder. Die Situation würde sich wahrscheinlich von Generation zu Generation verbessern. Lichtblick beschleunigt diesen Vorgang, denn die Hilfe ist jetzt nötig. »Der Lichtblick ist eine zweite Heimat für Kinder«, stellt Florian Post fest. Darauf legt Dörthe Friess großen Wert. Die erste Heimat seien die Familien. »Unsere Partner sind die Eltern«, erläutert sie. Mit großer Offenheit geht das Lichtblick-Team auf die Familien zu, will sich nirgendwo dazwischendrängen, sondern gemeinsam ans Ziel kommen.

Peer Steinbrück hört sich alles ganz genau an. Und er sieht sich alles genau an. Er sieht die Kinder, fröhliche, ehrliche Kinder. Mit unschuldiger Aufrichtigkeit bombardieren sie den 66-Jährigen mit Fragen. »Wie alt bist du?« – »Was glaubst du denn, wie alt ich bin?« – »40?« – »Der junge Mann bekommt noch ein Eis!« Die Ausgelassenheit der Kinder ist ansteckend. Sie wissen, wer da vor ihnen sitzt. »Warum wollen Sie Bundeskanzler werden?« Steinbrück: »Weil ich glaube, dass wir vieles besser machen können. Du bist nicht dümmer als andere, alle sollen die gleichen Chancen haben.« Dumm war Steinbrück auch nie. Dass er zweimal sitzengeblieben ist, wie er freimütig bekennt, lag wohl an anderen Eigenschaften. Trotzdem hat er es bis zum Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen gebracht. Und später zum Finanzminister im ersten Kabinett von Angela Merkel.

Dass die beiden Freunde seien, kann Steinbrück nicht bestätigen. Aber: »Ich kenne sie gut und ich respektiere Angela Merkel.« Auf der Wiese zeigt er seine verbliebenen fußballerischen Fähigkeiten. Der Aufsichtsrat von Borussia Dortmund trifft beim Torwandschießen immerhin das Tor.

Ein ganz normaler Kanzlerkandidat

Eine gute Stunde wollte sich Steinbrück Zeit für Lichtblick nehmen. Die hat er reichlich genutzt. Anschließend geht’s in den Biergarten am Chinesischen Turm. Umringt von Parteifreunden darf er sich mit einer bayerischen Brotzeit stärken. Dem Nordlicht schmeckt’s. Unterdessen klicken unentwegt irgendwelche Kameras – von den Journalisten und auch von vielen überraschten Münchnern, die den Politiker hier ohne Weiteres nicht erwartet hatten. Ein Kanzlerkandidat ist halt kein normaler Mensch, auch wenn er es gerne wäre. Das bringt sein Posten mit sich. cr

Artikel vom 18.06.2013
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