Kolumne „Philipp auf der Insel“: Interview mit Mr. Day, dem Geschichtslehrer

München · Was ist es, das Sie an Deutschland so mögen?

Ein Lehrer, den die Schüler an der Heysham High School sehr schätzen:  Michael Day, hier im Gespräch mit Philipp von der Wippel.		Foto: phil

Ein Lehrer, den die Schüler an der Heysham High School sehr schätzen: Michael Day, hier im Gespräch mit Philipp von der Wippel. Foto: phil

München · Das Lehrer-Schüler-Verhältnis ist nicht immer das einfachste. Auch in England haben Lehrer nicht immer die höchsten Beliebtheitswerte bei ihren aktuellen Schülern. Bei Michael Day ist das anders. Deshalb hat der Giesinger Austauschschüler Philipp von der Wippel (16) ein Interview mit ihm geführt.

Goodbye Germany, England we’re coming

Er ist anders. Er hat Humor. Er ist spontan. „Ich habe uns für ein Projekt bei der BBC im März angemeldet!“ Als Mr. Day mit dieser Nachricht heute den Kurs überrascht, weiß ich endgültig, dass er genau der Richtige für ein schonungsloses Interview ist.

Philipp: Bis gerade eben hatte ich bei Ihnen Doppelstunde deutsche Geschichte. Aber jetzt im Vertrauen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, im Vieraugengespräch: Wie war die Schulzeit für Sie? Waren Sie ein zielstrebiger Schüler?

Mr. Day: Ich würde regelrecht sagen, dass ich den Jahren in der Schule meinen so gleichmäßigen Blutdruck verdanke, und dass ich mich vielen wichtigen Dingen außerhalb der Schule widmen konnte, wie zum Beispiel dem Reisen. Unter uns gesagt: Ich hatte nie den Ehrgeiz, der Beste der Schule zu sein oder die besten A-Levels zu absolvieren. Ich wollte meinen Abschluss mit so wenig Mühe wie möglich schaffen – das ist mir auch bestens gelungen. Ich erinnere mich, dass ich im letzten Jahr in der Schule mehr Wahlkurse als Pflichtfächer hatte. Das sagt alles! Und trotzdem sitze ich heute hier und erzähle von Dingen, die ich selbst nicht verstehe.

Philipp: Wie kam es dazu, dass Sie ausgerechnet Lehrer im Fach Geschichte geworden sind?

Mr. Day: Ich hätte jeden für verrückt erklärt, der mir in deinem Alter erzählt hätte, dass ich heute als Lehrer Interviews geben würde. Eigentlich war mein Traum, Anwalt oder Arzt zu werden. Ich hatte meine A-Levels zwar ohne Probleme geschafft, aber gut genug waren sie für beide Studiengänge nicht. In der Sixth Form, der deutschen „Oubaerstoufe“, hat mich mein Erdkundelehrer tief beeindruckt. Er hat mit so viel Spaß und Leidenschaft unterrichtet, dass ich beschloss das Gleiche machen zu wollen. Die Entscheidung, Geschichte zu unterrichten, entstand in der Zeit nach meinem Abschluss, als ich mehr als ein Jahr in der ganzen Welt herumgereist bin und so viele Kulturen kennen lernen durfte. Dieses Jahr hat mich geprägt, und ich wollte mehr über die Hintergründe wissen: Warum ist das so, wie es jetzt ist?

Philipp: Das klingt logisch. Eines verstehe ich aber noch nicht: Warum haben Sie sich gerade auf das Gebiet „Deutsche Geschichte“ spezialisiert?

Mr. Day: Geschichtlich gesehen war Deutschland für mich immer am interessantesten. Besonders die junge Vergangenheit der Ereignisse hat mich seit der Schülerzeit gereizt, mehr darüber zu wissen. Nationalsozialismus, Kalter Krieg, die Teilung Deutschlands und die Wiedervereinigung – ich finde in Deutschland die Antworten, warum wir heute so leben, wie wir es tun. Das ist der geschichtliche Grund, aber viel entscheidender ist, dass ich Deutschland liebe, so wie es jetzt ist.

Philipp: Was ist es, das sie an Deutschland so mögen? Und wie ist die Einstellung von Engländern, die nicht deutsche Geschichte studiert haben?

Mr. Day: Am meisten schätze ich die unvergleichliche Vielfalt an Lebensstil und Kultur, die ich in keinem anderen Land so stark angetroffen habe. In Deutschland leben Menschen aus allen Ländern der Welt zusammen. Die Einflüsse aus den verschiedensten Kulturen geben jeder Stadt einen eigenen Charakter. In London lebt auch der gesamte Globus zusammen, aber je weiter du dich von der Hauptstadt entfernst, desto einseitiger wird es.

Meiner Meinung nach hängt das damit zusammen, dass Deutschland von vielen Nachbarn umgeben ist und England eine autonome Insel ist. Gott sei Dank haben wir die Zeit der Vorurteile größtenteils hinter uns. Zum Beispiel haben alle meine Kurse seit Beginn meines Lehrerdaseins als Ziel der Abschlussfahrt Deutschland gewählt. Das lässt tief blicken.

Philipp: Diese Sympathie der Engländer spüre ich stark. Mr. Day, nun sind Sie gebürtiger Engländer und kennen sich zugleich in deutscher Geschichte besser aus als mancher Deutsche selbst. Was ist für Sie die größte Gemeinsamkeit und der schwerwiegendste Unterschied zwischen England und Deutschland?

Mr. Day: Die größte Gemeinsamkeit sehe ich im Respekt vor dem einzelnen Menschen, der in beiden Ländern eine entscheidende Rolle spielt, wie die Menschen miteinander umgehen. – Den größten Unterschied habe ich im Schulsystem wahrgenommen, als ich letztes Jahr an einer Partnerschule im Norden von Deutschland drei Wochen Englisch unterrichtet habe. In Deutschland ist die Schule sehr auf die einzelnen Fächer ausgerichtet, wobei in England sehr auf das Leben und Wohlfühlen in der Schule Wert gelegt wird.

Philipp: Genau das genieße ich hier im Moment so! Ich habe die Möglichkeit bekommen, drei Monate im Ausland zu verbringen. Sie haben ein ganzes Semester in Peking studiert. Denken Sie, dass jeder die Möglichkeit nutzen sollte, ins Ausland zu gehen, wenn er sie bekommt?

Mr. Day: Ja, unbedingt! In jungen Jahren ins Ausland zu gehen ist das Beste, was man machen kann! Indem du in andere Lebensstile und Standards eintauchst, bekommst du eine viel weitere Sicht auf die Vielfalt in der Welt. Ich habe auf meinen Reisen gemerkt, in welchem großen System ich lebe und habe erkannt, wo mein Platz im Leben ist. Ich bin überzeugt, dass – wenn mehr Menschen die Möglichkeit hätten zu reisen – die Welt um einiges besser wäre, weil wir erst durch das eigene Sehen merken, wie sehr wir alle zusammen gehören.

Philipp: Kommen wir noch einmal auf Deutschland zurück: An was denken Sie, wenn Sie die deutsche Sprache hören, und an welche deutschen Sätze erinnern Sie sich spontan?

Mr. Day: Die deutsche Sprache klingt für mich sehr schnell, hart, deutlich im Ton und vor allem auf den Punkt gebracht. In Sprachen war ich nie gut, aber ein paar Sätzchen kann ich noch: „Ich heiße Michael. Ich bin 28 Jahre alt. Ich komme aus England.“

Philipp: Sir, abschließend habe ich eine Aufgabe für Sie: Wie würden Sie Deutschland und England mit jeweils drei Worten beschreiben?

Mr. Day: Die alles entscheidende Frage zum Jackpot? Deutschland ist für mich „full of culture“ und England empfinde ich als „general quite welcoming“.

Philipp: Danke, Mr. Day, dass Sie so „general quite welcoming“ für das Interview waren!

Mr. Day: Es hat mir Spaß gemacht! (lacht) Ich hoffe, dass ich nach dem Interview trotzdem noch nach München reisen kann.

Artikel vom 20.01.2012
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