Obdachlose Frauen und Kinder bekommen Hilfe auf dem Weg zurück ins Leben

München · Ein Silberstreif am Horizont

Jutta Speidel und „ihre“ Horizont-Kinder – Kunst macht Spaß und ist Therapie zugleich.	Foto: Verein

Jutta Speidel und „ihre“ Horizont-Kinder – Kunst macht Spaß und ist Therapie zugleich. Foto: Verein

München · Es ist nahezu unmöglich, das Horizont-Haus im Münchner Norden durch gängige Begriffe zu beschreiben. Es ist eine Pension – und auch wieder nicht. Es ist ein Therapiezentrum – aber doch viel mehr. Es ist ein Asyl, das nicht nur ein Dach über dem Kopf bedeutet. Es ist in seiner Struktur einzigartig, zumindest in München.

Der genaue Standort des Horizont-Hauses wird zum Schutz der Bewohner nicht öffentlich genannt. Denn diese Bewohner sind Mütter und ihre Kinder, die Gewalt des Ehemannes und Vaters befürchten müssen und auch schon erlebt haben. Physische Gewalt und psychische Gewalt. Das Horizont-Haus und seine Mitarbeiter wollen diese Menschen schützen. Vor allem aber wollen sie ihnen helfen. Helfen, einen Weg aus der Sackgasse zurück ins Leben zu finden.

Der Verein braucht monatlich 50.000 Euro

In einer perfekten Welt müsste sich der Verein Horizont e.V., der die Einrichtung betreibt, keine Gedanken um die Finanzierung seiner Arbeit machen. Aber die Welt ist alles andere als perfekt. Deshalb muss bei allem Idealismus der Mitarbeiter – es sind insgesamt 25 Voll- und Teilzeitkräfte und mehrere ehrenamtliche Helfer – als ers­tes die Finanzierung gesichert werden. „Unser Bedarf liegt monatlich bei 50.000 Euro“, erklärt Claudia Lamprecht, Geschäftsführung des Vereins. Eine Menge Geld, aber damit seien letztlich alle Kosten gedeckt: Mitarbeiter, Material, das Haus im Münchner Norden und das Büro am Rindermarkt. Vielleicht doch nicht so viel Geld, wenn man weiß, dass damit zwei Sozialpädagogen, eine Heiltherapeutin, eine Erzieherin und eine Kunsttherapeutin bezahlt werden können. Eine weitere Kunsttherapeutin unterstützt ihre Kollegin bei der Arbeit. Nicht in Vollzeit, aber immer, wenn sie gebraucht wird. Und sie wird gebraucht. Seit anderthalb Jahren sind alle 24 Wohnungen im Horizont-Haus belegt. Von zwei Notaufnahmezimmern ist eines inzwischen auch dauerhaft bewohnt. Die Kapazitäten sind erschöpft, Bedarf ist vorhanden. Trotzdem: „Wir schicken niemanden weg“, betont Lamprecht. Das freie Notaufnahmezimmer steht Neuankömmlingen bis zu drei Tage zur Verfügung. Dann ist geklärt, wie dem Schützling geholfen werden kann.

Hilfe, das ist das, was das Haus und die Mitarbeiter den Bewohnern geben können. Weit über das hinausgehend, was übliche Obdachlosenasyle zu leisten in der Lage sind. Doch die Obdachlosen im Horizont-Haus haben meist eine andere Biografie. Ganz verschieden, doch in den Grundzügen gleich. Der Ehemann schlägt Frau und Kinder, setzt sie unter starken psychischen Druck, auch sexuelle Gewalt sei in der Vorgeschichte keine Seltenheit, erklärt Lamprecht.

Lichtblick nach langem Leidensweg

Die Frauen, die vom städtischen Amt für Wohnen und Migration, von der Polizei oder Bahnhofsmission ans Horizont-Haus vermittelt werden, haben oft einen unvorstellbaren Leidensweg hinter sich. Sie sind traumatisiert, nicht mehr fähig sich in der Gesellschaft zurechtzufinden. Gleichzeitig sind sie für ihre Kinder verantwortlich, für deren Sicherheit und Ernährung. Die Situation treibt diese Frauen an den Rand dessen, was psychisch zu bewältigen ist. Und darüber hinaus. Deshalb ist die Hilfe im Horizont-Haus eine Lebenshilfe. Die Sozialpädagogen und Therapeuten arbeiten mit den betroffenen Frauen die Erlebnisse auf. Die Kinder werden betreut und erhalten ebenfalls therapeutische Hilfe. Zum Beispiel durch die Kunsttherapie. Mit der Kunsttherapie bekommen die Frauen und Kinder die Möglichkeit, sich ohne Sprache auszudrücken. Sprache, das ist immer dann ein Problem, wenn sie wenig oder gar kein Deutsch sprechen. Doch Sprache ist auch dann ein Problem, wenn ganz einfach die Worte fehlen oder wenn die Betroffenen nicht in der Lage sind, über das Erlebte zu reden. Für die Mitarbeiter ist es eine Gratwanderung. Sie müssen einerseits eine professionelle Distanz wahren, andererseits müssen sie sich öffnen, damit die Frauen und Kinder ihnen vertrauen und mit ihnen reden. Dabei die Emotionen auszublenden, ist im Grunde nicht möglich. „Die Liebe zu den Menschen ist die Basis unserer Arbeit. Diese Menschen wurden vom Leben enttäuscht. Wir wollen ihnen Vertrauen und Zuversicht zurückgeben“, sagt Claudia Lamprecht. Das funktioniert.

Die Gründerin und Vorsitzende des Vereins Horizont e.V., die Schauspielerin Jutta Speidel, habe gesunden Menschenverstand und jede Menge Herz. Mit dieser Einstellung erreicht sie bei den Frauen im Horizont-Haus eine ganze Menge. Die Sozialpädagogen und Therapeuten bringen darüber hinaus die fachliche Kompetenz mit. All das ermögliche es, die Frauen nach anderthalb bis drei Jahren guten Gewissens in ihr neues Leben in der Mitte der Gesellschaft zu entlassen. Rückfälle gebe es keine, meint Lamprecht, wohl aber Fälle, mit denen das Horizont-Team überfordert sei. „Wenn wir in einem Fall feststellen, dass wir nicht helfen können, müssen wir eine andere Lösung finden.“

Dass die Hilfe aus finanziellen Gründen versagt bleibt, ist noch nicht passiert. Dafür sorgen die Förderer und die vielen kleinen Spenden aus der Bevölkerung. Das Möbelhaus Segmüller ist ein solcher Förderer. Mehr als einmal hat sich Segmüller im Rahmen seines sozialen Engagements für Horizont e.V. eingesetzt. Die Beziehungen halten schon seit mehreren Jahren. „Als wir vor sechs Jahren das Horizont-Haus eröffnet haben, hat Segmüller praktisch alle 24 Wohnungen eingerichtet“, berichtet Lamprecht.

Segmüller beweist soziales Engagement

Und schließlich war Horizont e.V. im vergangenen Jahr einer der Begünstigten der Segmüller-Aktion „Zeig Herz beim Möbelkauf“. Zehn Prozent der Einnahmen eines (vorab festgelegten und verkaufsstarken) Tages wurden damals für gute Zwecke zur Verfügung gestellt. Fast 30.000 Euro, knapp zehn Prozent des erlösten Betrages, erhielt der Verein. Damals bestand die Überlegung, das Geld in die Kunsttherapie und die Kinderbetreuung zu investieren. Ohne die großzügige Spende hätte die Bedarfsstelle der zweiten Kunsttherapeutin nicht geschaffen werden können, so Lamprecht. Diese und jede weitere Spende ist Hilfe, die direkt bei den Betroffenen ankommt. Horizont e.V. wird ausschließlich durch Spenden finanziert. Zwar bekommt der Verein von der Stadt München das so genannte Belegungsgeld für jeden Bewohner des Horizont-Hauses, doch damit ließen sich die Kosten „nur“ etwa zur Hälfte decken. Ein großer Anteil, aber eben nicht genug, um die Arbeit aufrechtzuerhalten. Damit Horizont e.V. weiter seine Aufgabe erfüllen kann, hilft jede Spende. Und sei sie noch so klein. Von Carsten Clever-Rott

So können auch Sie helfen:

Wenn auch Sie helfen möchten, können Sie Ihre Spende an Horizont e.V. überweisen:

Spendenkonto 102 202
bei der Stadtsparkasse München (BLZ: 701 500 00)

Artikel vom 02.11.2011
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