SPD-Kreisverband diskutierte über die Gefahr von Psychogruppen

Gurus, Sekten und andere Versprechen

München · Im überfüllten Haidhauser Unionsbräu diskutierte der SPD-Kreisverband „längs der Isar“ mit Experten über die Gefahren und die Abwehr von sogenannten Sekten und Psychogruppen.

Die eigens aus Berlin angereiste Bundestagsabgeordnete Renate Rennebach war die SPD-Sprecherin in der Enquetkommission „Sog. Sekten und Psychogruppen“. Die Zielsetzung und Arbeit der Kommission war geprägt von dem Spannungsfeld der Grundgesetzartikel 4 (Religionsfreiheit) und dem vorrangigen Artikel 1 (Menschenrechte). Die Würde des Menschen muss der Staat auch vor der Manipulation durch Psychogruppen schützen. Eine wichtige Ursache für die Anfälligkeit von Menschen gegenüber den Versprechen von Kultgruppen liegt für die Kommission in den Zielen unserer Leistungsgesellschaft, „immer schneller, höher, weiter.“

Mit Sekten sind im weitesten Sinne Gruppen gemeint, die die Wünsche und Ängste von Menschen ansprechen und für alle Fragen des Lebens eine Antwort haben. Sie sind hierarchisch organisiert mit einem Führer oder Gurus an der Spitze und lassen keine Kritik an der Gruppe zu. Diplom-Psychologe Dieter Rohmann teilt sie in Kultgruppen, die unsere Leistunggesellschaft bejahen und Erfolg versprechen und fundamentalistische Gruppen, die sich von der Gesellschaft abwenden und eine Gegenwelt aufbauen. Das Ergebnis seiner Studie über 110 Kultopfern zeigte verblüffende Ergebnisse. Die meisten betroffenen Personen waren zwischen 21 und 25 Jahre, kamen aus einer Kleinstadt oder aus ländlicher Gegend, aus der gehobenen Mittelschicht und hatten mehrere Geschwister.

Dem Anschluss an eine Psychogruppe ging immer eine Summe von Problemen aus dem Arbeits- oder Ausbildungsleben und der Familie voraus, kaum Depressionen. Sein Fazit. „Am meisten sind die betroffen, die glauben, ihnen könne nichts passieren.“

Jutta Nikolai, Sozialpädagogin vom Beratungsverein „Sekten-Info München“ gibt keine Listen über Sekten herraus. Sie bespricht im Einzelfall die Merkmale der Gruppe. „Die Menschen sollen selber herausfinden, ob sie verführt und benutzt werden.“ In die Beratung kommen Angehörige und Freunde von Opfern, wenig Betroffene und Aussteiger.

Hauptkommissar Harry Bräuer vom Opferschutzkommissariat ist der einzige Polizeibeamte Deutschlands, der sich ausschließlich mit Straftaten von Sektenmitgliedern beschäftigt. Einer ganzen Gruppe können meist keine Delikte nachgewiesen werden. Da sich viele Opfer als Gruppenmitglieder strafbar gemacht haben, kommen nur wenig kriminelle Taten zur Anzeige. Die Hauptaufgabe der Polizei ist es, Licht ins Dunkel zu bringen und aufzuklären. Letztes Jahr hat Hauptkommissar Bräuer 1005 Fälle in München behandelt. Dabei ging es um Tötung, sexuelle Gewalt, Diebstahl und Tierquälerei. Leider lässt das sogenannte „Osho-Urteil“ nicht zu, dass der Staat über kriminelle Religionsgemeinschaften aufklären darf.

Renate Rennebach konnte leider keinen Mut machen, dass es in dieser Legislaturperiode zu gesetzlichen Verbesserungen kommt. Das haben die Grünen in der Koalition so durchgesetzt. „Hier muss die Basis der Grünen Druck machen!“ Frau Rennebach fordert einen gesetzlichen Beratungsverbraucherschutz. So sollen Hilfesuchende Anspruch auf seriöse psychologische Beratung erhalten. Das Ausmaß der kriminellen Beratungsangebote im Internet ist erschütternd. Hier werden bedenkenlos Selbstmordpraktiken und tödliche Medikamente unkontrolliert angeboten.

Einigkeit bestand in der Expertenrunde, dass der Ruf nach der Politik und besseren Gesetzen nicht die alleinige Lösung bringt. Da es sich um ein gesellschaftliches Problem handelt, müssen alle für mehr Sensibilität gegenüber diesen Psychogruppen sorgen. Als Antwort auf die zunehmende Suche nach Halt und Orientierung müsse eine breite öffentliche Diskussion über Werte und Lebensziele stattfinden. Landtagsabgeordnete Monica Lochner-Fischer erläuterte an Beispielen, wo Verbindungen zwischen Politik und diversen Kultgruppen und Sekten, aber auch Kirchengruppen bestehen.

Das Publikum interessierte die Frage, wie mit den Gruppen umzugehen ist. Betroffene berichteten von ihren Erfahrungen, wie sie aus Abhängigkeit einer Psychogruppe herausfanden. Zur Sprache kam auch die Veranstaltung der Münchner SPD mit dem Dalai Lama im letzten Jahr. Hier wurde deutliche Kritik geübt an der unkritischen Haltung gegenüber dem „Gottkönig“.

In der Schlussrunde formulierten die Podiumsteilnehmer einen Wunsch. Dieter Rohmann wünschte sich, dass Menschen wegen ihrer Träume sich nicht an Sekten wenden müssen, sondern an ihre Mitmenschen.

Dass das finanziell bedrohte Beratungsverein Sekten-Info vom Stadtrat unterstützt wird und dieses Jahr überlebt, hofft Frau Nikolai. Herr Bräuer fordert mehr Sensibilität gegenüber den Versprechungen der Psychogruppen. Frau Rennebach wünschte sich mehr Öffentlichkeit, damit im Bundestag auch gesetzlich mehr gemacht werden kann.

Artikel vom 09.05.2001
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