Interview mit Professor Janusz Filipiak

„Ich kann die Gefühle der Fans verstehen“

Professor Janusz Filipiak. Foto: A. Wild

Professor Janusz Filipiak. Foto: A. Wild

München · Die Münchner Wochenanzeiger sprachen am Rande des Freundschaftsspiels des TSV 1860 München Anfang Oktober im südpolnischen Krakau mit Professor Janusz Filipiak, Präsident von Cracovia Krakow und Unternehmensgründer von Comarch, einem Unternehmen der Softwarebranche mit weltweit 3.500 Mitarbeitern und Hauptsponsor der Löwen. Filipiak ist Mehrheitseigner des Krakauer Traditionsfußballklubs Cracovia, der in Polens 1. Liga – der Ekstraklasa – spielt.

Herr Professor Filipiak, wie kamen Sie zu Cracovia – waren Sie schon als Kind ein Anhänger des Vereins, dem Sie heute als Präsident vorstehen?

Da muss ich Sie enttäuschen. Ich kam erst im Jahr 2003 zu Cracovia. Mein Unternehmen hat seinen Sitz in Krakau. Ich wollte mich vor Ort engagieren. Cracovia ist der älteste und einer der traditionsreichsten Fußballvereine in ganz Polen. Die Kultur und lange Historie des Vereins haben mich fasziniert und ich wollte ein Teil dieser Geschichte werden. Es war auch keineswegs so, dass ich hier sofort mit offenen Armen empfangen wurde. Viele Fans hatten zunächst deutliche Vorbehalte gegen mich; befürchteten der Verein würde sich verkaufen und seine Identität verlieren. Es hat Jahre gedauert, bis die Leute gesehen haben, dass ich es ernst meine mit meinem Engagement und die Vereinskultur respektiere.

Stichwort Vereinskultur: Ich habe gelesen, Cracovia hätte als Verein jüdische Wurzeln. Ist das ein kulturelles Erbe, das gepflegt wird und spielt das heute wieder eine Rolle im Verein oder im Umfeld?

Nein. Sehen Sie, der Verein wurde zwar 1906 von einem jüdischen Arzt mitgegründet; die weiteren Gründer waren jedoch Männer ganz unterschiedlicher Herkunft und Weltanschauung. Entsprechend hatte der Club zwar immer schon eine internationale, weltoffene Kultur, aber keine explizit jüdische. Papst Johannes Paul II. war beispielsweise Mitglied und Zeit seines Lebens Fan von Cracovia. Dass eine Minderheit der Fans aus der Kurve sich heute manchmal als „Juden“ bezeichnet, ist eine Attitüde, um sich von antisemitisch provozierenden Gegnern abzugrenzen. Das können Sie allein schon daran sehen, dass die Selbstbeschreibung diese Leute nicht daran hindert, sich ihrerseits bei Gelegenheit rassistisch oder übertrieben nationalistisch zu gebärden.

Sie sind Präsident und Mehrheitseigner von Cracovia Krakow. Ist diese Rolle typisch für den polnischen Profifußball?

Ja, das ist eine normale Struktur. Alle Vereine im professionellen Fußball in Polen befinden sich heute mehr oder weniger in privater Hand. Im Fall von Cracovia ist es so, dass die Stadt Krakow noch Anteile am Verein hält. Ich bin mehrheitlicher Eigentümer und Vorstand der MKS Cracovia SSA.

Cracovia hat ein neues Stadion für 15.000 Zuschauer inmitten der Stadt und direkt auf dem Grund des alten Stadions errichtet. Kommendes Jahr findet die Fußballeuropameisterschaft in Polen und der Ukraine statt. Im Stadion von Cracovia wird nicht gespielt. Gab es in Krakow keine Stimmen, die gefordert haben, man solle ein größeres Stadion – etwa zusammen mit dem Lokalrivalen Wisla – bauen, um an der Europameisterschaft teilhaben zu können?

Es gab solche Stimmen, ja. Aber die waren in der Minderheit. Und die Idee war schnell wieder vom Tisch. Zum einen ist der Platz, auf dem das Cracovia-Stadion steht, für den Verein und seine Fans heiliger Boden. Ein Umzug an einen anderen Ort wäre nicht vermittelbar gewesen. Völlig unmöglich. Zum anderen entspricht das nicht meiner Strategie, ein Stadion nur für ein einziges Event zu bauen. Das bietet keine Perspektive für den Verein.

In München ist wegen der Weltmeisterschaft 2006 genau das passiert. Der TSV 1860 spielt heute in einer für seine Bedürfnisse zu großen Arena. Die finanzielle Beteiligung daran bereitete dem Verein innerhalb kurzer Zeit so große Probleme, dass er seine Anteile an den FC Bayern verkaufen musste.

Ich weiß um die Geschichte. Ich kann nachvollziehen, dass Fans daran leiden und kenne auch das Grünwalder Stadion. Der TSV 1860 spielt zumeist vor rund 20.000 Zuschauern in der Allianz Arena. Für polnische Verhältnisse ist das eine sehr hohe Zahl. Trotzdem wirkt die Arena dabei irgendwie leer. Das ist schade.

Moment, Sie waren schon mal im Grünwalder Stadion?

Ja, ich habe das gesehen und kann die Gefühle der Fans für diesen Ort verstehen.

Was hat Sie bewogen, sich mit ihrem Unternehmen als Sponsor beim TSV 1860 München zu engagieren?

Meine Unternehmen machen 43 Prozent ihres Umsatzes in Deutschland. Ich möchte etwas davon zurückgeben. Als wir mit Comarch die Mehrheit am Münchner Unternehmen SoftM AG übernommen haben, kam der Kontakt zum TSV 1860 zustande. Mir war der Verein sympathisch, weil die Situation des kleinen Vereins mit großer Tradition mich stark an Cracovia erinnert hat. Die Situation als Underdog neben einem sportlichen Platzhirsch am Ort kannte ich aus Krakau. Da gibt es eine Menge Parallelen. Das hat mich für 1860 eingenommen. Natürlich bin ich in erster Linie Geschäftsmann und der Aufmerksamkeitswert, den der TSV 1860 und damit auch Comarch als Sponsor erhält, ist hoch. Das ist meine Motivation.

Können Sie sich ein weitergehendes Engagement beim TSV 1860 – etwa als Investor – vorstellen?

Nein. Zunächst ist es so, dass die Richtlinien der UEFA das ohnehin verbieten. Sie können nicht bei zwei Clubs gleichzeitig tätig sein. Dann habe ich mich auch um mein eigentliches Geschäft zu kümmern. Das Software-Business erfordert meine ganze Aufmerksamkeit und Kraft. Ich bin mit meinem Unternehmen Sponsor, das genügt völlig.

Interview: rd/aw. Das Interview fand in englischer Sprache statt.

Artikel vom 23.11.2010
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