Vor 50 Jahren: Die ersten türkischen „Gastarbeiter“ an der Isar

München · In München angekommen?

„Ich bin Bayer!“ sagt Zeki Genc, der gern Trachtenhut und Janker trägt, aber keine Schweinshaxe isst, sondern lieber türkische Schmankerl. Foto: BIM

„Ich bin Bayer!“ sagt Zeki Genc, der gern Trachtenhut und Janker trägt, aber keine Schweinshaxe isst, sondern lieber türkische Schmankerl. Foto: BIM

München · „Ich hätte nicht gedacht, dass Sie Türke sind“ oder „Sie sprechen aber gut Deutsch“, das sind Sätze, die Zeki Genc im Alltag immer wieder ärgern. „Ich habe in Deutschland Abitur gemacht und studiert, bin Grafiker und Betriebsrat in einem großen Konzern“, erzählt der Moosacher, der seit 24 Jahren in München lebt.

„Ich will nicht an meiner türkischen Herkunft gemessen werden, sondern an meinem Dasein, in meinem Beruf zählt ja auch nur, was ich leiste“, sagt Genc. „Ab wann ist man nicht mehr Migrant? Ab der siebten Generation?“, fragt er provokant. Genc gehört zur zweiten Generation der türkischen „Gastarbeiter“, von denen die ersten vor 50 Jahren nach Deutschland kamen. Auch nach München.

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Das erste, was sie dort sahen, war das Gleis 11 des Münchner Hauptbahnhofes. Bis zu tausend ausländische Arbeitskräfte pro Tag kamen dort zwischen 1955 und 1973 mit Sonderzügen an. Türken, Italiener, Griechen oder Jugoslawen. Diesen Sonntag, 30. Oktober, 13 Uhr, enthüllt nun Oberbürgermeister Christian Ude am Gleis 11 eine Erinnerungstafel der Münchner Bildhauerin Gülcan Turna. Um 14.39 Uhr trifft ein am 26. Oktober in Istanbul-Sirkeci gestarteter Kulturzug mit prominenten Gästen am Münchner Hauptbahnhof ein, darunter der türkische Vize-Premier Bülent Arinç. Am 31. Oktober 1961 hatten die Bundesrepublik Deutschland und die Türkische Republik das Abkommen zur Anwerbung von dringend benötigten Arbeitskräften unterzeichnet. Die „Gastarbeiter“ sollten und wollten einige Jahre Geld verdienen und dann zurück zukehren. Doch die meisten bauten sich hier eine neue Existenz auf und blieben. In München leben heute Menschen aus mehr als 180 Ländern. Gut ein Drittel der Münchnerinnen und Münchner hat einen Migrationshintergrund, die größte Gruppe bilden dabei die türkischstämmigen Zuwanderer.

Den 50. Jahrestag der Unterzeichnung des Anwerbeabkommens will die Stadt nun nutzen, um den „Gastarbeitern“ von damals mit einem umfangreichen Veranstaltungstprogramm „Danke!“ zu sagen (mehr unter www.muenchen-sagt-danke.de), etwa bei einem Konzert in der Musikhochschule am 13. November mit der Unterbiberger Hofmusik und einem türkischen Orchester und Chor oder im Münchner Stadtmuseum mit Führungen auf Türkisch, Theater, Partys oder Gesprächsrunden.

Zwischen dem 4. und 6. November gewährt das Museum im ganzen Haus freien Eintritt. Bei „München sagt Danke“ kann man bis Januar die ganze Vielfalt erleben, wie die Kinder und Enkel der ersten Zuwanderer-Generation heute das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben in München mitgestalten. Ob im Dönerladen, im Stadtrat, an der Uni oder in der Kanzlei. Im Rahmen der „Hausbesuche“ (kostenlos, keine Anmeldung, Infos unter www.cultureflow.de) kann man sie kennenlernen: Talat Uzun von der Straßenreinigung der Stadt München (3. November), den Rechtsanwalt Dr. Temel Nal, der ein „Doppelleben“ als Fotokünstler führt (8. November) oder auch Zeki Genc, der seit elf Jahren unter anderem die türkisch-deutsche Redaktion „Münih FM“ bei Radio Lora betreibt (11. November). „Wir sind hier und wir bleiben hier, denn wir sind Teil der Geschichte dieser Stadt und gestalten die Zukunft mit“, erklärt Genc, der mit elf Jahren aus der Türkei nach Norddeutschland kam. „Wir möchten zeigen, dass wir angekommen sind. Friedlich, gemeinsam und lustig hier leben können, und dafür tun wir sehr viel.“

Genc gehört zu den Initiatoren des „Bayerischen Instituts für Migration e.V“, kurz „BIM“, das nicht nur „München sagt Danke“ mitorganisiert, sondern das Dokumentationszentrum und die Anlaufstelle für Geschichte und Migration in Bayern werden soll. „Nirgends gibt es bislang etwas dazu, Ausstellungen zu dem Thema zwar immer wieder, aber nichts Spezielles, keine eigene Abteilung“, erklärt Genc, „nicht im Stadtmuseum, nicht im Stadtarchiv.“ Und so ist „BIM“, bei dem im wesentlichen neun Leute mitarbeiten, erfolgreich an die verschiedenen Institutionen herangetreten, um diese Lücke zu schließen, systematisch und wissenschaftlich. Die Geschichte der Migration zeichnet BIM jetzt seit einem Jahr auf, in Gesprächen mit Zeitzeugen, also den ersten „Gastarbeitern“ oder der Archivierung von alten Pässen und Arbeitserlaubnissen. „Wir werden auch einen eigenen Raum im Stadtarchiv bekommen, einer unserer Kooperationspartner.“ Langfristiges Ziel sei auch ein „Museum der Migration“, in Zusammenarbeit mit dem Stadtmuseum. Von Michaela Schmid

Artikel vom 27.10.2011
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