Jährlich erleiden in Deutschland rund 270.000 Menschen einen Schlaganfall – es ist hierzulande die dritthäufigste Todesursache. In der München Klinik (MüK) Harlaching gibt es mit TEMPiS seit 2003 das größte telemedizinische Schlaganfallnetzwerk. Die Neurologen unterstützen 25 Partnerkliniken per Live-Schalte (Telekonsil) bei der komplexen Diagnostik und Therapieentscheidung. TEMPiS ist die Basis des „Flying Intervention Teams“ (FIT), das im Jahr 2018 gegründet wurde. Denn seit 2015 ist erwiesen, dass neben der medikamentösen Lysetherapie auch die mechanische Thrombektomie gerade schwerbetroffenen Schlaganfallpatienten helfen kann – ein komplexer Kathetereingriff von der Leiste ins Gehirn, den nur spezialisierte Neuroradiologen durchführen können. FIT bringt die Spezialisten und damit die Thrombektomie per Helikopter schnell aus dem Harlachinger Zentrum in 15 südostbayerische Partnerkliniken im Umkreis von bis zu 150 Kilometern. Das ist weltweit einzigartig und spart im Vergleich zur üblichen Patientenverlegung wertvolle Zeit. Aufgrund der eindeutigen Studienergebnisse wurde FIT nach der dreijährigen Pilotphase fest etabliert und die Flugzeiten ausgeweitet. Allein in den letzten zwei Jahren ist das Team zu knapp 500 Patienten geflogen. Den Meilenstein des 1.000. Fluges hat die Spezialeinheit der Lüfte mit rund 100 geladenen Gästen bei einem Symposium gefeiert und in dem Rahmen neueste Projektdaten vorgestellt.
Neben Projektpartnern waren in feierlicher Kulisse im Heli-Hangar der ADAC Luftrettung gGmbH auf dem Harlachinger Klinikgelände auch ehemalige Patient*innen eingeladen, die in den letzten Monaten vom Harlachinger Team mit einem komplexen Kathetereingriff (Thrombektomie) versorgt wurden. Die bayerische Gesundheits-, Pflege- und Präventionsministerin Judith Gerlach und Münchens Bürgermeisterin Verena Dietl feierten mit und sprachen Grußworte.
Im Rahmen des Symposiums wurden die Forschungsergebnisse aus sieben Jahren FIT vorgestellt und um die neuesten Projektdaten ergänzt. Die Projektgruppe um Dr. Gordian Hubert vergleicht FIT-Patienten mit einer Patientengruppe, die regulär in das Schlaganfallzentrum verlegt und dort behandelt wurde. Bereits in 2022 waren Daten aus einem Beobachtungszeitraum von drei Monaten ausgewertet und im weltweit renommierten Fachjournal JAMA veröffentlicht worden. Es zeigte sich damals: Die fliegenden Ärzte sind deutlich schneller. Ein Zeitvorteil von im Schnitt 90 Minuten konnte für FIT-Flüge nachgewiesen werden, wodurch wertvolles Hirngewebe gerettet werden kann – denn beim Schlaganfall gilt „Time is brain“, es sterben 1,9 Millionen Nervenzellen pro Minute. Außerdem konnten bei den FIT-Patienten bereits nach drei Monaten weniger Folgeschäden im Vergleich zu den Verlegungspatient*en nachgewiesen werden. In den neuesten Projektdaten, die kurz vor der wissenschaftlichen Veröffentlichung stehen, wurden die Patientendaten nun über den verlängerten Beobachtungszeitraum von 12 Monaten ausgewertet. Der klinische Vorteil zeigt sich darin nochmal deutlicher. Die FIT-Patienten hatten deutlich weniger Behinderungen, mehr Lebensqualität und mehr Selbstständigkeit als die Vergleichsgruppe. Patienten in der FIT-Gruppe hatten sogar etwa doppelt so hohe Chancen, nach 12 Monaten einen besseren Gesundheitszustand zu erreichen und bleibende Behinderungen nach dem Schlaganfall zu reduzieren. Eine Analyse der FIT-Flüge aus sechs Jahren zeigt außerdem, dass die Qualität der FIT-Versorgung konstant hoch ist: Der Zeitvorteil von im Schnitt 90 Minuten und die im Vergleich zur Verlegepraxis höhere Rate an Eingriffen konnten konstant gehalten werden. Bei den verlegten Patient*innen konnte in 65 Prozent der Fälle ein Kathetereingriff stattfinden, bei FIT liegt die Rate bei knapp 90 Prozent.
Für die Aufnahme in die Regelversorgung ist entscheidend, ob sich FIT nicht nur medizinisch, sondern auch finanziell rechnet. Deshalb hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), das höchste Gremium im deutschen Gesundheitswesen, im Rahmen des Innovationsfonds eine gesundheitsökonomische Analyse gefördert. Das Ergebnis: FIT kann sogar Kosten sparen. Teuerster Posten ist die Hubschrauber-Akutversorgung. Durch bessere Ergebnisse und niedrige Reha-Kosten wird diese aber schon heute zu 70 Prozent ausgeglichen. Würde die Hubschrauberversorgung in den Rettungsdienst integriert oder FIT auf Südwestbayern oder ganz Bayern ausgeweitet, wäre sie sogar günstiger als die aktuelle Verlegepraxis. Da die FIT-Kosten insbesondere langfristig sinken, ist außerdem davon auszugehen, dass FIT bei Betrachtung der gesamten Lebenszeit der behandelten Patienten bereits heute langfristig rentabel ist. „Dass FIT den Patient*innen nutzt, ist unbestritten. Nun zeigen wir schwarz auf weiß, dass das Konzept auch das Gesundheitssystem entlasten kann“, so Dr. Gordian Hubert, FIT-Projektleiter und Chefarzt der Neurologie der München Klinik Harlaching.