Maxvorstadt · Schweigen ist Silber, Reden bringt Gold

Stadt-Menschen: In dieser Serie stellen wir in loser Reihenfolge ungewöhnliche Nachbarn vor

Rote Backen vorprogrammiert: Ernste Buben und erhitzte Mädchen diskutieren allwöchentlich im Münchner Debattierclub über Gott und die Welt. 	Foto: dgro

Rote Backen vorprogrammiert: Ernste Buben und erhitzte Mädchen diskutieren allwöchentlich im Münchner Debattierclub über Gott und die Welt. Foto: dgro

Maxvorstadt · Münchner Studenten richteten die Deutsche Debattiermeisterschaft aus. Zwischen Streitsucht und Diskussionsfreude liegt ein kleiner, feiner Unterschied. Ein bisschen süchtig aber müssen die Teilnehmer der 5. Deutschen Meisterschaft im Debattieren schon sein: Anders ließe sich kaum erklären, was sich vor Kurzem in der Großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität abspielte.

Bei strahlendem Sonnenschein und 30 Grad im Schatten wimmelte es dort von Studenten im Festanzug. Ernste Buben mit Fliege um den Hals sortierten Karteikarten; geschäftige Mädchen im Abendkleid verteilten Pressehefte und Mineralwasser.

Mit gutem Grund sonnten sie sich nicht nebenan im Englischen Garten: Schließlich stand nach einem viertägigen Debattierwettkampf endlich das Finale an.

Und so herrschte in der festlichen Aula eine angespannte Atmosphäre. Schließlich ist das, was ein guter Redner am besten beherrscht, er selbst: »Niemand vertritt hier seine eigene Meinung«, sagte Marcel Venhofen, Präsident des Münchner Debattierclubs, zu Beginn der Veranstaltung und erklärte die Regeln: In jeder Runde bilden drei Studenten die Regierung, drei die Opposition. Wer welche Position vertritt, entscheidet das Los. »Wir glauben, dass man sich nur eine Meinung bilden kann, wenn man sich mit allen Positionen beschäftigt«, sagte Lars Schnieder, Co-Moderator der Veranstaltung.

Drei freie Einzelredner sprechen außerdem für das Publikum: Sie müssen erklären, welches Team sie überzeugt hat und warum. Eine Viertelstunde kann sich jeder Sprecher auf seinen Auftritt vorbereiten; sieben Minuten hat er Zeit, sich zu verteidigen. »Ihr übt eine Kunst, die euch später unverwundbar machen wird«, sagte Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der »Zeit«, der mit fünf weiteren Gästen, darunter Bundestagsabgeordnete Sabine Leutheuser-Schnarrenberger (FDP), die Ehrenjury bildete.

Schließlich betraten fünf Jungs und ein Mädchen die Bühne der Aula. Ausgerüstet mit Notizzetteln und Textmarkern nahmen sie an gegenüberliegenden Pulten Platz; die freien Redner warteten im Publikum. Die Anspannung sah man den betont professionellen Mienen an. Kein Wunder, denn ihr Thema war mehr als heikel: »Sollten in Deutschland lebende Ausländer aller Nationalitäten ein Wahlrecht für den Bundestag erhalten?«. Eine Abstimmung hat ergeben, dass die Opposition die Mehrheit des Publikums auf seiner Seite hatte – für den Erfolg einer Rede nicht unbedeutend.

Eike Hosemann von der Universität Freiburg hatte als Chef der Regierungsfraktion und damit als erster Redner demnach einen schweren Stand. Doch das Rednertalent mit dem Teenagergesicht und der Professoren-Rhetorik wurde nicht umsonst im vergangenen Jahr als bester Nachwuchsredner Deutschlands ausgezeichnet: Erstaunlich souverän eröffnete er die Runde. In der anschließenden Debatte wurde dennoch eisern um die Gunst des Publikums gerungen. Immer wieder faszinierten die Studenten mit ihrer Schlagfertigkeit und ihren Stilmitteln, die sie aus dem Stegreif abfeuerten.

Doch das überzeugendste Mundwerk besaßen am Ende wieder einmal die Freiburger: Ihre Mannschaft wurde wiederholt zum Deutschen Meister gekürt; Hosemann bekam erneut den Preis der Ehrenjury als bester Redner überreicht. Vielleicht, das lässt sich hier vermuten, ist wirklich etwas dran an der Sache mit der Unverwundbarkeit. Meredith Haaf

Artikel vom 09.06.2005
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