Von Handys und Hirten

Die Weihnachtsbotschaft von Pfarrer Micha Boerschmann aus Giesing

Pfarrer Micha Boerschmann von der evangelischen Lutherkirche in Giesing schreibt die Weihnachtsbotschaft für den Haidhausener Anzeiger. Kleines Bild: Pfarrer Micha Boerschmann. Fotos: privat

Pfarrer Micha Boerschmann von der evangelischen Lutherkirche in Giesing schreibt die Weihnachtsbotschaft für den Haidhausener Anzeiger. Kleines Bild: Pfarrer Micha Boerschmann. Fotos: privat

Giesing/München · Das Handy klingelt. Als erstes schaue ich, wer da überhaupt anruft. Kenne ich die Nummer? Ist sie gespeichert? Wenn da ANONYM steht, will ich gar nicht erst rangehen. Dabei erinnere ich mich noch an die Zeit, als Telefone klobige Kästen mit Wählscheibe oder Tastenfeld waren. Am Kabel, ohne Display und ohne Nummernanzeige. Da wusste ich nie, wer dran ist und bin trotzdem rangegangen.

Auch bei Briefen, E-Mails oder Textnachrichten schaue ich immer zuerst, wer die Absenderin oder der Absender ist. Vermutlich bringt mich das alleine schon in eine ganz bestimmte Stimmung, die mein Verständnis beeinflusst. Öffne ich die Nachricht mit Freude oder mit Sorge, mit Ärger oder Hoffnung? Habe ich sie schon lange erwartet oder kommt sie völlig überraschend? Wieviele Nachrichten habe ich eigentlich im vergangenen Jahr bekommen? Unzählige! Wenn ich Fernsehen, Radio, Internet, Plakate, Infotafeln, Gerüche und Geräusche miteinschließe, bekomme ich praktisch ununterbrochen Botschaften. Was davon ist wichtig? Auf was davon soll ich hören?

Im Zentrum von Weihnachten steht eine Botschaft. Die Hirten sind auf dem Feld bei der Arbeit, als plötzlich ohne Anruferkennung ein Bote kommt: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird…“

Das Lukasevangelium erzählt, dass die Hirten dem Boten geglaubt haben und tatsächlich losgegangen sind, um sich das anzusehen. Die Freude und Neugierde war bei ihnen größer als Furcht und Bedenken. Und das ist erstaunlich. Wenn mir der Hundebesitzer zuruft „Der tut nichts, der will nur spielen“ und gleichzeitig ein riesiges Tier auf mich zustürmt, überwiegt die Furcht. Von Freude spüre ich da nichts. Wenn in meinem Handy die Nachricht aufpoppt, ein mir unbekannter Großonkel hätte mir eine riesige Erbschaft hinterlassen, lösche ich das gelangweilt. Keine Freude. Wenn in einem Thriller jemand sagt: „Keine Angst, Sie können mir vertrauen. Ich tue Ihnen nichts“, steht im Grunde immer der nächste Mord an.

Wie konnten die Hirten dem Engel diese Nachricht glauben? Und das noch größere Wunder: Der Engel hat die Wahrheit gesagt. Es war nicht gelogen und kein Trick. Die Hirten waren sehr leichtgläubig. Das klingt negativ. Aber die Erfahrung, die die Hirten machen, ist alles andere als negativ. Vielleicht sind wir ja in Wirklichkeit oft zu „schwergläubig“. Das mag uns vor Enttäuschungen bewahren, bewahrt aber auch vor großartigen Überraschungen. Ich beneide die Hirten um ihre Erfahrung.

Wir wissen nicht, wie dieses Erlebnis die Hirten beeinflusst hat. Sie tauchen nur für einen kurzen Moment auf. Es sind wenige Zeilen in der Bibel. Keiner wird mit Namen genannt. Keiner erscheint wieder in der Jesusgeschichte. Und doch haben sie einen festen Platz an den Krippen dieser Welt bekommen. Sie stehen bei uns jedes Jahr im Wohnzimmer und gehören zu Weihnachten dazu. Sie sind Teil der Weltgeschichte geworden.

So gesehen ist Weihnachten das Fest der Leichtgläubigkeit in einem guten Sinne. Weihnachten macht uns verletzlich, gefühlvoll und weich. Mag sein, dass wir manchmal ausgenutzt werden. Aber wie bei den Hirten ist das Risiko eigentlich nicht besonders groß. Wir müssen nur den ersten Schrecken und die Verwirrung überwinden und zuhören. Vielleicht auch etwas Zeit investieren und jemanden besuchen.

An Weihnachten wünsche ich mir, lieber leichtgläubig als hartherzig zu sein. Und ich bin gespannt, wer mir alles begegnet, was ich alles hören werde. Micha Boerschmann

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