Trotz Ansturm auf die Berge weniger Tote zu beklagen

Bayern · Sicherheit im Gebirge

Das Eintauchen in die Bergwelt bedeutet nicht nur der Rückzug an einen Ruhepol, sondern steht ebenso für sportliche Herausforderung. Foto links: Die Zahl der Unfälle und Notfälle - etwa auf Klettersteigen - stieg deutlich an. Fotos: Stefan Dohl

Das Eintauchen in die Bergwelt bedeutet nicht nur der Rückzug an einen Ruhepol, sondern steht ebenso für sportliche Herausforderung. Foto links: Die Zahl der Unfälle und Notfälle - etwa auf Klettersteigen - stieg deutlich an. Fotos: Stefan Dohl

München/Bayern · Das Unglück in der Höllentalkamm am Fuß der Zugspitze, bei dem mehrere Menschen von Wassermassen mitgerissen wurden, ist derzeit in aller Munde. Zwei Personen kamen bei dem Unglück ums Leben, welches deutschlandweit für Schlagzeilen sorgte.

Auf in die bayerischen Alpen
Wanderungen in den Münchner Hausbergen
Mit Touren-Tipps von Münchner Wochenanzeiger-Redakteur Stefan Dohl

Allerdings ist die Gesamtsituation in den Bergen, bezogen auf die dort verunfallten Personen, positiv, wie der Deutsche Alpenverein (DAV) in dieser Woche mitteilte. Das mag auf den ersten Blick überraschen. Denn zuletzt waren besonders viele Menschen in den bayerischen Bergen unterwegs. Experten sehen die Corona-Beschränkungen als einen Grund für diese Entwicklung. Mangels Alternativen haben sich auch viele Neulinge auf den Weg in die Berge gemacht. Der Berg-Hype und die Sehnsucht nach "Freiheit" in den Bergen sind stärker denn je. Die Omnipräsenz der Alpen im digitalen Raum trägt sicherlich auch ihren Anteil zu dieser Entwicklung bei.

Aber kommt es deswegen zu mehr Unfällen? Muss die Bergwacht nun häufiger aktiv werden?

Am Mittwoch, 18. August, hat der DAV in seiner neuen Bundesgeschäftsstelle in der Schwabinger Parkstadt die aktuelle Bergunfallstatistik für das Jahr 2020 vorgestellt. Datengrundlage sind dabei ausschließlich Unfälle von DAV-Mitgliedern. Aufgrund der hohen Mitgliederzahlen können repräsentative Rückschlüsse auf das Unfallgeschehen – und das Unfallrisiko – in den Bergen im Allgemeinen gezogen werden.

Das Ergebnis: Trotz eines regelrechten Ansturms auf die Alpen gab es noch nie so wenige Tote in der fast 70-jährigen Geschichte der Bergunfallstatistik. "Nur" 28 Alpenvereinsler kamen im Berichtszeitraum beim Bergsport ums Leben - und damit halb so viele wie im unfallreichen Jahr zuvor. Rein statistisch müsste ein Bergsportler 228 Jahre jeden Tag eine Wanderung unternehmen, bis er statistisch gesehen erstmals eine Verletzung erleidet. Gründe für das geringe Bergsportrisiko sind vielfältig: Mehr Wissen und Können, bessere Wetterberichte, bessere Ausrüstung und bessere Tourenplanung sind hier zu nennen.

Allerdings liegt die Anzahl der Unfall- und Notfallmeldungen insgesamt auf dem Vorjahresniveau. Bergwachten und Bergretter hatten - bis auf die Wintersaison - mitnichten weniger zu tun als sonst. "Im Sommer 2020 gab es ähnlich viele Einsätze wie im Jahr 2019", meldet die Bergwacht Bayern. "Bei der weitaus überwiegenden Zahl der Einsätze handelte es sich um Sportverletzungen oder internistische Notfälle am Berg." Besonders die Einsätze zur Rettung unverletzter, blockierter oder von hilfsbedürftigen Menschen hat in vergangenen Jahren zugenommen. Ein wichtiger Appell der Bergwacht lautet daher: "Lieber zu früh als zu spät einen Notruf absetzen!"

Im letzten Jahr gingen die Unfallzahlen bei allen Bergsportdisziplinen deutlich zurück, meldet der DAV. Ob Bergwandern, Alpinklettern, Sportklettern, Skitourengehen, Pisten- und Variantenskifahren oder Hochtourengehen. Große Ausnahmen sind das Klettersteiggehen und Mountainbiken: Bei Erstgenanntem gab es 69 Unfall-Meldungen mit drei tödlichen Ausgängen, während es ein Jahr zuvor 33 Meldungen und zwei Tote waren. Beim Mountainbiken wurden 65 Vorfälle und ein tödlicher Ausgang gemeldet, während es ein Jahr zuvor 38 Meldungen mit ebenfalls einem Todesfall waren.

Ursache hinter den Unfällen und Notfällen in den beliebten Eisenwegen ist vor allem die Überforderung der Begeher. Die Mehrzahl der Vorfälle wurde aus sehr schwierigen Klettersteigen gemeldet, Blockierungen lagen doppelt so häufig vor wie tatsächliche Stürze. Klettersteige werden also womöglich unterschätzt. Dafür spricht auch, dass vermehrt Kinder und Jugendliche aus Klettersteigen gerettet werden müssen. Beim Mountainbiken ist der Anteil der Unfälle und Notfälle mit E-Bikes mit 12 Prozent überraschend gering. Es sind vor allem die Bikeparks, aus denen vermehrt Vorfälle gemeldet werden - und nicht die Trails.

Insgesamt betrachtet hat das erste Pandemie-Bergsteigerjahr allerdings keine zusätzliche Belastung für das Gesundheitswesen bedeutet. Die Unfallzahlen machen Mut mit Blick auf die weitere Entwicklung. Lukas Fritz von der DAV-Sicherheitsforschung interpretierte die "guten Zahlen" so: "Die Regeln und Appelle im Zusammenhang mit der Pandemie haben das Verhalten der Bergsportszene beeinflusst. Es ist wahrscheinlich, dass viele Menschen die Appelle der Alpenvereine zur Zurückhaltung ernst genommen haben."

Im Hinblick auf das Unglück im Höllental appellieren Alpenverein und Rettungskräfte insbesondere an die Eigenverantwortung der Besucher. Hans Steinbrecher, Einsatzleiter vom Bayerischen Roten Kreuz: »Wenn man sich im alpinen Bereich befindet, muss man mit so etwas rechnen. Ob das jetzt Steinschlag ist oder ein schweres Gewitter. Das ist nun mal so. Da kann man meiner Meinung nach keinem Menschen irgendeine Schuld geben.«

Die spektakuläre Landschaft der Höllentalklamm bei Garmisch-Partenkirchen mit Wasserfällen und steilen Felswänden zieht alljährlich Zehntausende Touristen an. »Das ist kein Freizeitpark", heißt es hierzu vom DAV, "das ist eine Schlucht, die in ein alpines Gebiet führt«. Die besagte Unglücksbrücke, die von den Wassermassen weggerissen wurde, lag im übrigen außerhalb der Klamm an dem Wanderweg der zur Höllentalangerhütte und Zugspitze führt.

Sicher Bergwandern, so funktioniert's

Fitnesslevel: Bergwandern ist Ausdauersport. Die Belastung für Herz und Kreislauf setzt Gesundheit und eine realistische Selbsteinschätzung voraus.

Planung: Wanderkarten- und Bücher und Tourenportale im Internet informieren über Länge, Höhendifferenz, Schwierigkeit und die aktuellen Verhältnisse.

Wetterbericht: Wetterumstürze, Regen, Wind, Kälte und Nebel erhöhen das Unfallrisiko erheblich.

Ausrüstung: Die Ausrüstung an die Tour anpassen. Regen-, Kälte- und Sonnenschutz gehören immer in den Rucksack, ebenso Erste-Hilfe-Paket und Mobiltelefon. Karte oder GPS unterstützen die Orientierung.

Schuhwerk: Eigentlich banal, aber leider nicht selbstverständlich: Gute Wanderschuhe schützen und entlasten den Fuß und verbessern die Trittsicherheit!

Trittsicherheit: Stürze, als Folge von Ausrutschen oder Stolpern, sind die häufigste Unfallursache! Ein zu hohes Tempo oder Müdigkeit kann die Trittsicherheit und Konzentration mindern.

Steinschlag: Im felsigen Gelände kommt die größte Gefahr oftmals von oben. Gerade hier muss durch achtsames Gehen das Lostreten von Steinen vermieden werden.

Auf markierten Wegen bleiben: Im weglosen Gelände steigt das Risiko für Orientierungsverlust, Absturz und Steinschlag. Abkürzungen daher vermeiden und zum letzten bekannten Punkt zurückkehren, wenn man vom Weg abgekommen ist.

Pausieren: Essen und Trinken sind notwendig, um Leistungsfähigkeit und Konzentration zu erhalten.

In Gruppen gehen: Kleine Gruppen gewährleisten Flexibilität und ermöglichen gegenseitige Hilfe.

Wer allein unterwegs ist, sollte beachten: Bereits kleine Zwischenfälle können zu ernsten Notlagen führen.

Artikel vom 20.08.2021
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