Ein Rück- und Ausblick in vier Akten

Der TSV 1860 München und das liebe Geld

Vor einem erneuten Umbruch: der Profikader des TSV 1860 München. Foto: Anne Wild

Vor einem erneuten Umbruch: der Profikader des TSV 1860 München. Foto: Anne Wild

München/Giesing · Als frischgebackener Aufsteiger hegte der TSV 1860 München zu Beginn seiner ersten Saison in der Dritten Liga ehrgeizige Pläne. Der Klassenerhalt sollte laut Daniel Bierofka kein Thema sein an der Grünwalder Straße, sondern der sportliche Weg die Löwen gleich in höhere Tabellenregionen führen. »Ich will nicht irgendwo zwischen Platz zehn und zwölf rumkrebsen. Dafür haben wir uns nicht ein Jahr lang den Hintern aufgerissen«, hatte der Trainer im Interview mit der »tz«, Ende Mai 2018, sein Ziel für die neue Spielzeit formuliert. Bierofka und Sportdirektor Günther Gorenzel drängten sodann bei den Gesellschaftern auf eine Budgeterhöhung, um ihre Vision Realität werden zu lassen. Ein Jahr später hängt deshalb jetzt der Haussegen schief bei den Löwen.

Der Absturz

Nach der verlorenen Relegation gegen den SSV Jahn Regensburg geriet die Kommanditgesellschaft auf Aktien des TSV 1860 München in eine schwere Krise. Der Ex-Liverpool-Manager Ian Ayre hatte nach nur acht Wochen in München seinen Posten als Geschäftsführer wieder geräumt. Ein Blick in die Bücher soll den Briten, der von Investor Hasan Ismaik angeheuert worden war, so nachhaltig verschreckt haben, dass er sich von einem Insolvenzspezialisten beraten ließ. Peter Cassalette mochte ob des häufig an ihn gerichteten Vorwurfs, er wäre lediglich eine Marionette, nicht mehr Präsident sein und legte sein Amt ebenfalls nieder. Doch es sollte noch düsterer kommen für die Löwen. Als es galt, nach dem Abstieg den Lizenzantrag für die Dritte Liga mit einem Finanzierungsnachweis zu versehen, sandte Ismaik wartenden Reportern der Süddeutschen Zeitung eine SMS mit der Ziffer 4 – für vierte Liga –, während man sich drinnen auf der Geschäftsstelle noch handelseinig glaubte.

Die verbliebenen Präsidiumsmitglieder Heinz Schmidt und Hans Sitzberger legten sich beim Bayerischen Fußball-Verband sodann für einen Neustart in der Regionalliga Bayern ins Zeug. Zum Interimspräsidenten bestimmte der Verwaltungsrat sein Mitglied Robert Reisinger. Eine der ersten Amtshandlungen Reisingers bestand darin, bei der Bestellung des Geschäftsführers vom Weisungsrecht des Vereins Gebrauch zu machen. Ein Novum im Verhältnis zwischen den Gesellschaftern. Nie zuvor hatte ein Vereinsvertreter es gewagt, dem Finanzier aus Abu Dhabi einen dringlichen Wunsch abzuschlagen. Ismaik soll den schillernden, in London lebenden, Schweizer Philippe Huber bevorzugt haben, während die Vereinsvertreter auf das Engagement eines sanierungserfahrenen Krisenmanagers bestanden. Der Stuttgarter Markus Fauser trat seinen Dienst in Giesing an.

Der Schuldenberg

Was der schwäbische Spezialist für schwierige Fälle zu Tage förderte, überraschte selbst Hartgesottene. Unfassbare 21,9 Millionen Euro hatten die Weiß-Blauen allein in ihrer letzten Zweitligasaison verbrannt, als Ismaik mit Beratung der Londoner Agentur des Vermittlers Kia Joorabchian und unter wohlwollender Begleitung des Vereinspräsidenten Cassalette das Unternehmen Aufstieg selbst in die Hand nehmen wollte. »Die Gesellschaft ist bilanziell überschuldet«, lautet ein wiederkehrender Satz aus den Jahresbilanzen der TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA. Verluste in Höhe von 54,3 Millionen Euro hat die TSV München von 1860 GmbH & Co. KGaA in den Jahren zwischen 2011 und 2017 angehäuft. Ein stetig wachsender Schuldenberg.

Der Neubeginn

Die schiere Not mobilisierte im Sommer 2017 erstaunliche Kräfte unter den Weiß-Blauen. Eine Welle von Neueintritten unter den Mitgliedern bescherten dem Verein unverhofften Rückenwind. Es entstand eine Aufbruchsstimmung. Sponsoren ließen die Löwen finanziell wieder atmen. Die Gesellschafter stundeten Darlehen, um den Fortbestand des verschuldeten Unternehmens zu ermöglichen. Der Hauptsponsor gab ein zusätzliches Sanierungsdarlehen. Man sei nur knapp einer Insolvenz entgangen, berichtete Interimsmanager Fauser, der dem Klub schließlich eine positive Fortführungsprognose bescheinigen konnte. Fauser übergab nach sieben Monaten den Stab an seinen Nachfolger Michael Scharold, der ebenfalls durch die 50+1-Regelung ins Amt geleitet wurde.

Am Ende durfte mit einer neu formierten Mannschaft nicht nur die Meisterschaft an der Grünwalder Straße gefeiert werden, sondern auch der Aufstieg in die Dritte Liga. Die erfolgreiche Saison wurde ohne zusätzliche Gelder von Investor Ismaik bestritten, der sich entgegen seiner bisherigen Gewohnheit auch eher selten öffentlich zu Wort meldete. Das Präsidium betonte, keine weiteren Kredite aus Abu Dhabi mehr annehmen und die Schuldenspirale durchbrechen zu wollen.

Ismaiks öffentliche Zurückhaltung sollte sich ändern, als der sportliche Erfolg in Giesing eine regelrechte Euphoriewelle in Gang setzte. In der Presse tauchten Fotos auf, die Sportdirektor Günther Gorenzel und Daniel Bierofka zusammen mit dem Jordanier und seinen Münchner Statthaltern auf der Dachterrasse eines Münchner Luxushotels zeigten. Die beiden waren dort ohne Wissen ihres Geschäftsführers erschienen. Investoren-Sprecher Athanasios »Saki« Stimoniaris ließ verlauten, man habe in dieser Runde entschieden, »die Wünsche von Bierofka und Gorenzel zu 100 Prozent zu erfüllen.«

Es begann ein zähes Ringen, in welcher Form zusätzliches Geld zur Verfügung gestellt werden könne. Schließlich akzeptierten die Vereinsvertreter Genussscheine in Höhe von zwei Millionen Euro, die den in der Fortführungsprognose budgetierten Jahresetat in Höhe von drei Millionen Euro aufstocken sollten.

Der aktuelle Stand

Berauscht von ihrer erfolgreichen Finanzakquise legten die sportlich Verantwortlichen eine Kulanz beim Budgetieren an den Tag, die nicht ganz der vereinbarten Linie entsprach. Jedenfalls ist nun das Geld bereits alle, das mutmaßlich für zwei Saisons gedacht war. Man war wohl davon ausgegangen, die Sache würde sich im Folgejahr schon irgendwie regeln. Das tat sie nicht.

In der kommenden Spielzeit soll deshalb das Budget wieder auf die ursprünglich in der Fortführungsprognose geplanten drei Millionen Euro sinken. Das empört Trainer Bierofka, der sich seiner Handlungsmöglichkeiten beraubt sieht und in einer Pressekonferenz öffentlich Klage erhob. Für eine Überraschung sorgte sodann Investoren-Sprecher Stimoniaris, der als Vorsitzender des Aufsichtsrats allen Spielern prompt eine Jobgarantie gab. Wörtlich heißt es in seiner Erklärung: »Wir sind gerade dabei, die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft unseres Vereins zu stellen. […] Keiner muss sich Sorgen um seinen Arbeitsplatz machen. Jeder Spieler, mit dem Daniel Bierofka plant und der sich mit unserem Verein identifiziert und loyal verhält, wird auch in Zukunft eine wichtige Rolle beim TSV 1860 spielen.« Als »richtiges Zeichen zur richtigen Zeit« empfand das Bierofka. Die Krux an der Sache: die Etatlücke besteht nach wie vor, Stimoniaris Worten folgten bislang keine Taten.

Nachdem trotz eines kolportierten Saisonetats von viereinhalb Millionen Euro sportlich nur jener zwölfte Tabellenplatz heraussprang, auf dem Bierofka eben nicht herumkrebsen wollte, fürchtet der frisch ausgebildete DFB-Fußball-Lehrer mit deutlich weniger Geld abzusteigen. Seiner gerade erst anlaufenden Trainerkarriere wäre das nicht zuträglich. Bierofka bangt um sein erworbenes Renommee als Erfolgscoach. Den Ursprung für die Misere sucht er bei den Vereinsvertretern, die sich einer weiteren Verschuldung verwehren und auf die Einhaltung des Haushalts pochen. In einigen Zeitungen wird bereits spekuliert, Bierofka könnte möglicherweise seinen Posten zur Verfügung stellen, um ein lukrativeres Angebot eines höherklassigen Klubs anzunehmen.

Spät aber doch, scheint nun Licht am Horizont. Unter Beteiligung des Haupt- und Trikot-Sponsors des TSV 1860 München »Die Bayerische« soll eine Lösung für die kommende Saison gestrickt werden, die dem Klub etwas Handlungsspielraum auf dem Transfermarkt ermöglicht.

(as)

Artikel vom 22.05.2019
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