Der Unbekannte im Norden

Befreiungstag jährt sich: Veranstaltungen und Projekte im Münchner Norden

Heute steht nur noch eine einzige erhaltene Baracke in Ludwigsfeld. Foto: Klaus Mai

Heute steht nur noch eine einzige erhaltene Baracke in Ludwigsfeld. Foto: Klaus Mai

München/Landkreis · Nicht vieles erinnert direkt an den Weltkrieg im Münchner Norden, schließlich wurden die meisten Ruinen beseitigt und die Stadt wieder aufgebaut. Im Falle des Flugplatzes in Oberschleißheim, der als Militärflugplatz angelegt war, ist ein anschaulicher Ort entstanden, der sämtliche Epochen seiner Daseinsgeschichte auf eine interessante Art und Weise anhand von historischen Flugzeugmodellen erzählt.

In der direkten Nachbarschaft muss man sich die Geschichte erst zusammenlegen, ein edukativer Gedenkradweg durch den Münchner Norden soll den Anwohnern die fürchterliche Zeit leichter zugänglich machen.

Befreiungstag mit zahlreichen Veranstaltungen

Heute spielen Kinder Basketball, doch die Idylle war hier nicht immer zu Hause. Spaziert man durch die Straßen der so genannten "Kristallsiedlung", ahnt man nicht, was sich am Rande der Stadt München vor fast einem Dreiviertel-Jahrhundert ereignete. Hier, in Ludwigsfeld, ist nämlich das Dorf gewesen, auf dem im Februar 1943 das "KZ-Außenlager Dachau-Allach" errichtet wurde. Hier führten die Machthaber nach der NS-Machtergreifung Großprojekte und damit einhergehend Siedlungsmaßnahmen durch, die vor allem der Rüstungsindustrie geschuldet waren. Dafür wurden auch zahlreiche Zwangsarbeiter benötigt, die vor allem KZ-Häftlinge waren.

Das Konzentrationslager Dachau, das als das erste durchgehend betriebene KZ gilt, lag keine acht Kilometer nordwestlich des neu errichteten Außenlagers in Ludwigsfeld. Die traurigen Fakten sind allseits bekannt: Durch diese Maschinerie starben in Dachau ungefähr 41.500 Insassen, zig tausende wurden in Vernichtungslager deportiert. In Ludwigsfeld gab es auch vereinzelt Hinrichtungen, etwa aufgrund von Fluchtversuchen oder Diebstahl von Essen. Am 29. bzw. 30. April 1945 nahm dieser Schrecken endlich sein Ende. Fortan wird der "Befreiungstag" in der Gedenkstätte Dachau gefeiert. Am 5. Mai werden dazu zahlreiche Veranstaltungen stattfinden.

Der Lokalhistoriker Klaus Mai spezialisiert sich in seiner Forschung seit Jahren auf den Komplex Ludwigsfeld, in Kooperation mit der Münchner Stadtteilgeschichte, dem Kulturhistorischen Verein Feldmoching auf dem Gfild und dem Bezirksausschuss 24 Feldmoching-Hasenbergl, zu dem die heutige Siedlung gehört.

So hält er einen Vortrag über die NS-Zeit im Münchner Norden und die Rüstungsindustrie am Dienstag, 7. Mai um 18 Uhr, im Kulturzentrum 2411 in der Blodigstraße 5. Er hat zudem die Dokumentation "Das vergessene KZ" geschrieben.

"Erneut habe ich darin weitere Opfer ermittelt, die einer Typhusepedemie im KZ-Allach Anfang 1943 zum Opfer fielen", fasst er seine Forschung zusammen. Die Zahl der inzwischen namentlich nachweislichen Opfer im Außenlager Allach betrage somit über 1.600.

"Es gab in München ab 1943 keine größere Mordmaschinerie als in Allach", muss er feststellen. Die medizinische Betreuung der KZ-Häftlinge in Allach wurde in seiner Überarbeitung besonders berücksichtigt. Dazu präsentiert er Dokumente wie Briefe und Berichte. Unter dem Titel "Die vergessenen Opfer" hat er zudem auf über 450 Seiten mehr als 250 Kurzbiografien sowjetischer Kriegsgefangener und Zivilarbeiter als KZ-Häftlinge im Außenlager Allach dokumentiert. "Die Opfergruppe der sowjetischen Kriegsgefangenen und Zivilarbeiter in den Konzentrationslagern wird insgesamt immer noch zu wenig berücksichtigt", sagt er.

Thematischer Radweg durch den Münchner Norden

Wer heute alle Erinnerungsorte "auf einmal" sehen will, kann dies demnächst auf dem Rad machen. Das Planungsreferat hat unter Beteiligung des Bezirksausschusses 24 einen Gedenkradweg vom KZ-Dachau über das Außenlager Allach zum NS-Dokuzentrum konzipiert. Bei einer Brücke über der Würm hat bereits eine Veranstaltung des Planungsreferates das Projekt in die Gänge gebracht. Hier wurde eine mögliche Trassenfestlegung unter Beteiligung der Bürger festgeschrieben. Eine Realisierung rückt also näher.

Virtuell kann man schon jetzt durch die Orte der Nazi-Maschinerie im Münchner Norden gehen. Unter der Adresse www.ns-karte-muenchen.de wurde eine historische Karte der NS-Lager im Münchner Norden erstellt. Sie verschafft einen Überblick über die große Anzahl von Arbeitern sowie Firmenlagern von großen und bekannten, aber auch kleineren Unternehmen.

In Ludwigsfeld selbst kann man heute kaum noch etwas von dem ehemaligen Außenlager sehen, da die heutigen Häuser erst später auf dem Grund entstanden sind. Außer der Straßenführung, einem Trafohäuschen und einer letzten Sanitärbaracke, die heute von einem Sportverein genutzt wird, gibt es kaum eine Spur von dem Außenlager. An ihr ist lediglich eine kleine bilinguale Plakette angebracht, sonst erinnert nichts an den Ort, den es hier mal gab. Engagierte Bewohner, bürgerliche Initiativen und Opferverbände wünschen sich hier einen Gedenk- und Dokumentationsort, eine Machbarkeitsstudie dazu wurde bereits erstellt. Besser sichtbar als eine kleine Plakette sollte er sein, aber "nicht zu viel Publikum" anlocken.

Im November 2019 soll allerdings eine größere Gedenkveranstaltung vor der Baracke in Ludwigsfeld kommen. Sie soll der Opfergruppe der Sinti und Roma gewidmet werden, besonders ihren Frauen und Kindern.

Schließlich wird die KZ-Gedenkstätte Dachau eine Sonderausstellung zum Außenlager Allach erstellen, in der u.a. etwa 100 Exponate der Grabungen auf dem Gelände präsentiert werden. So wurden bei einer der vergangenen Grabungen zwölf Skelette gefunden. Vermutungen über Massengräber wurden nicht erfüllt. Die Grabungen sind vorerst beendet, was Ruhe in die heute friedliche und grüne Wohnsiedlung im Münchner Norden bringt.

Großteils unbekanntes Viertel

Ludwigsfeld, knapp 75 Jahre später, ist geprägt durch zahlreiche Nationalitäten, Religionen, Sprachen, persönliche Geschichten und Schicksale. Für einige, so für die Studienabsolventin Libusche Hannah Veprek, ist es allerdings ein großteils unbekanntes Viertel gewesen, obwohl sie im Umkreis Münchens aufgewachsen ist. Dem Zufall war es geschuldet, dass sie bei einer Recherche auf Ludwigsfeld stieß und fortan begann, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Über Bekannte kam sie mit Ludwigsfeldern ins Gespräch. Schließlich hat sie über ihre Erkenntnisse die Masterarbeit in Empirischer Kulturwissenschaft und Europäischer Ethnologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München geschrieben.

Das Evangelische Bildungswerk in der Herzog-Wilhelm-Straße 24/III zeigt fortan ihre Ergebnisse in der freien und offenen Ausstellung „München-Ludwigsfeld“. Die Vernissage ist am Dienstag, 14. Mai um 18 Uhr. Die Ausstellung dazu geht von Mittwoch, 15. Mai bis Freitag, 21. Juni. „Die Ausstellung bietet die perfekte Möglichkeit, die Thematik einem größeren Publikum zugänglich zu machen“, so die junge Ausstellerin. Ihr ist es wichtig, „das Bewusstsein für diesen Stadtteil zu schärfen, den Bewohnern eine Plattform zu bieten und auf die Gleichzeitigkeit verschiedener Zeiten sowie die Vielschichtigkeit hinzuweisen, die ein Stadtviertel haben kann."

Veprek beschäftigt sich auch mit der Frage, wie sich ein Viertel verändert, wenn viele Personen zuziehen, die nicht die gleiche Vergangenheit als ihre haben und verstehen. Mit den Augen unterschiedlicher Bewohner nähert sich die Ausstellung einem Stadtteil, der ein Ort vergangener Verbrechen ist und gleichzeitig für viele eine „Heimat“ darstellt.

Ihrer Meinung nach ist lange Zeit und teils bis heute die Vergangenheit Ludwigsfelds im Münchner Norden vergessen worden. Das Fazit ist allerdings, dass es in den letzten Jahren de facto wieder mehr in den Fokus gerückt ist: zum einen als Wohnen im Grünen durch den Verkauf der 1952 errichteten bundeseigenen Wohnsiedlung. Zum anderen mit der Frage nach einem angemessenen Erinnern an die Opfer des KZ-Außenlagers, das sich keine zehn Jahre zuvor auf dem Gelände befand. „Gutes neues Leben auf diesem blutigen Boden“, so ein Zitat von Max Mannheimer, das wohl umgeändert werden muss in "ehemals blutigen Boden". Denn heute floriert die an diesem Ort entstandene fröhliche Siedlung.
Daniel Mielcarek

Artikel vom 28.04.2019
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