Die »adoptierten« Münchner

München · 20. Juni ist nationaler Gedenktag für Opfer von Vertreibung

Erinnerungen an die alte Heimat: Viele Sudetendeutsche 	können ihr Leben in den Sudetenbergen vor der Vertreibung nicht vergessen. Bernd Posselt spricht darüber.	 Foto: dm

Erinnerungen an die alte Heimat: Viele Sudetendeutsche können ihr Leben in den Sudetenbergen vor der Vertreibung nicht vergessen. Bernd Posselt spricht darüber. Foto: dm

München · Die Sudetendeutschen gehören zu Bayern einfach dazu, sagte Ministerpräsident Markus Söder beim Sudetendeutschen Tag. Bernd Posselt war zehn Jahre lang Mitglied des Europäischen Parlaments, in dem er die Landeshauptstadt München sowie die Sudetendeutsche Volksgruppe vertrat.

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Heute ist er Präsident der Sudetendeutschen Landsmannschaft und spricht mit den Münchner Wochenanzeigern über die Sudetendeutschen - nicht nur - im Münchner Stadtteil Au und warum sie zu München und Bayern denn überhaupt dazugehören.

Wir alle sind Bayern und behalten dabei unsere Eigenart

Herr Posselt, würden Sie sagen, dass die Sudetendeutschen in München und in der Au gut integriert sind?

Bernd Posselt: Wir sind voll integriert. Wir gehören genauso zu Bayern wie die anderen Stämme. Nach dem 2. Weltkrieg hat die Bayerische Staatsregierung hat gesagt: »Wir adoptieren die Sudetendeutschen als vierten bayerischen Stamm«. Es gibt eine Urkunde, die bezeugt, dass Bayern Schirmherr der Sudetendeutschen ist: »Wir nehmen die Sudetendeutschen an«, heißt es darin.

Inwiefern sind die Au oder generell München sudetendeutsch geprägt?

Posselt: München ist die größte sudetendeutsche Stadt, die es jemals gab! Die größte deutschsprachige Stadt in Böhmen war allerdings früher Reichenberg. In der Gegend der Sudetenberge lebten mehrere Jahrhunderte lang Deutsche, bis sie nach dem 2. Weltkrieg vertrieben wurden. Heutzutage sind die so genannten Sudetendeutschen in München überall verstreut, nicht nur in der Au. Dort befindet sich allerdings das »Sudetendeutsche Haus«.

Die Au ist weltweiter Hauptsitz der Sudetendeutschen

Wie ist das »Sudetendeutsche Haus« in der Au entstanden?

Posselt: Es ist durch die Sudetendeutsche Stiftung entstanden. Diese wiederum ist aus Sudetendeutschem Auslandsvermögen (also in Deutschland) entstanden, sprich: aus dem, was bei der Vertreibung nicht verloren gegangen ist. Das waren deutsche Sparkassen, Fonds oder Genossenschaften. Die Stiftung wurde sodann durch ein bayerisches Landesgesetz errichtet. Das Sudetendeutsche nicht-private Auslandsvermögen sowie Spenden und Stiftungen wie etwa vom Freistaat wurden da eingebracht. In den 80-er Jahren wurde damit das »Sudetendeutsche Haus« gemeinsam mit dem damaligen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß errichtet. Heute ist das Auer Haus der weltweite Hauptsitz der Sudetendeutschen. Dass es in der Münchner Hochstraße ist, ist Zufall. Allerdings ist es ist ja vor allem ein Kulturzentrum – erst recht mit dem Museum, das bald hinzukommt. Gleich daneben ist das Gasteig und andere kulturelle Einrichtungen. Es ist also eine gute Fügung.

Gibt es denn richtige Sudetendeutsche überhaupt noch?

Posselt: Es kamen eineinhalb Sudetendeutsche nach Bayern, also die Hälfte aller Sudetendeutschen. Sie haben vielfach Bayern geheiratet. Inzwischen hat wohl jeder 3. Bayer sudetendeutsche Wurzeln. Einige interessiert’s aber nicht.

Was sagen Sie zu den Leuten, die nicht zu ihren Wurzeln stehen wollen?

Posselt: Es ist ihr gutes Recht. Man sollte keinen Zwang ausüben, man soll nicht ideologisieren. Man soll niemanden in eine Schublade stecken, in die man nicht will. Wenn jemand seine Vergangenheit aufgeben will, ist dies sein Recht. Aber es gibt auch sehr viele, auch in der Enkel- und Urenkel-Generation, die das Gegenteil wollen. Ich bin Jahrgang 1956 und bin direkt nach der Vertreibung geboren. Viele wollten nicht auffallen. Sie wollten so richtig dazugehören. Ich habe trotzdem in der Schule Mobbing erlebt: »Du gehörst hier nicht her!«

Wir haben diese Besonderheit und wollen sie auch pflegen

Sie sagten, dass inzwischen alle mit sudetendeutschen Wurzeln perfekt integriert sind. Was geben Sie den jugendlichen Nachkommen der vertriebenen Sudetendeutschen mit auf den Zukunftsweg?

Posselt: Für die Enkel ist es ganz selbstverständlich, dass sie Bayern und Münchner sind. Deswegen können sie gefahrlos ihre Zusatzidentität pflegen. Identität ist heutzutage mehrschichtig. Das war sie immer und heute ist sie das erst recht. Natürlich bin ich und unsere Nachkommen durch und durch Münchner. Aber wir haben diese Besonderheit der Sudetendeutschen Wurzeln und diese wollen wir pflegen. Heute sind die Jugendlichen nicht mehr so befangen wie in meiner Generation.

Betten nach Vertreibung quasi noch warm, schon handelten wir

Die Leute waren noch frisch vertrieben, die Betten praktisch noch warm und schon waren die ersten sudetendeutschen Zentren gegründet, in denen sich auch die europäische Jugend begegnen soll. Es gibt großes Interesse, sein Schicksal mit anderen zu teilen und die Zukunft mitzugestalten. Eines der aktuellsten Projekte ist die Initiative »Minority Safe Pack«, damit Volksgruppen wie wir und Minderheiten angehört werden. Nun versuche ich zu pushen, dass im Europarlament auch etwas gemacht wird.

Viel Erfolg dabei, Herr Posselt. Danke für das Interview
Daniel Mielcarek.

Artikel vom 18.06.2018
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