Besonderer Projekttag: Ismaninger Schüler trafen Behinderte

Ismaning · Perspektivwechsel

Keinerlei Berührungsängste zeigten sowohl die Schüler als auch die behinderten Projektteilnehmer. Beide Gruppen konnten voneinander lernen.	Foto: VA

Keinerlei Berührungsängste zeigten sowohl die Schüler als auch die behinderten Projektteilnehmer. Beide Gruppen konnten voneinander lernen. Foto: VA

Ismaning · »Du Spast!« – wie oft hört man das von Jugendlichen. »Du beleidigst also jemanden mit den Worten ›Du überhöhter Muskelkrampf‹, denn das ist die Übersetzung von Spastik«, erklärt Anita Donaubauer, Vorsitzende des Fördervereins Gemeinsam Mensch e.V., gerade einer Gruppe von Siebtklässlern.

In der Mensa der Ismaninger Realschule sitzen 45 Schüler um eine Gruppe von Menschen im Rollstuhl, die bei genauerem Hinsehen auch Gelenkversteifungen und untypische Stellungen der Extremitäten aufweisen – Symptome einer frühkindlichen Hirnschädigung, einer sogenannten Infantilen Cerebralparese, die Nerven- und Muskelsystem stört. Anita Donaubauer, selbst Betroffene, ist in dem 2002 entstandenen Projekt »Perspektivwechsel« aktiv und besucht seitdem mit weiteren Menschen mit Behinderungen gemeinsam Schulen in Bayern, um für deren Lebensumstände zu sensibilisieren und für Achtung und Toleranz zu werben.

Der Projekttag beginnt mit theoretischen Informationen zum Thema und einer Vorstellungsrunde, die auch dazu dient, den Jugendlichen die erste Scheu zu nehmen. So schütteln sich alle Teilnehmer die Hände und dürfen dabei gleich die Unterschiede in Haltung und Form der Hände benennen. Im Anschluss durchlaufen die Schüler in Gruppen einen Parcours, in dem verschiedene Behinderungen simuliert werden. So erfahren die Jugendlichen hautnah wie es ist, gehandicapt zu sein. Beispielsweise vermitteln Armschlingen und eigens entwickelte Handschuhe die Symptome einer Greifbehinderung. Tanja, die ihr Leben mit diesen Einschränkungen meistern muss, beobachtet mit einem verständnisvollen Lächeln, wie sich die Schüler beim Äpfelschälen und Schnürsenkelbinden abmühen. »Mit dem Apfelkuchen wird es wohl doch nichts«, meint sie amüsiert.

Im Treppenhaus tasten sich Schüler und interessierte Lehrkräfte mit Augenbinden und Blindenstock vorwärts. In der Turnhalle schieben sich Schüler gegenseitig im Rollstuhl über Hindernisse. Je nach Rolle wird hier der achtsame Umgang gelehrt oder das Gefühl nachempfunden, immer auf jemand anderen angewiesen zu sein. Deutlich wilder geht es im anderen Teil der Turnhalle zu, wo Deniz, Projektbeteiligter und selbst Rollstuhlfahrer, die Jugendlichen animiert, sich auszuprobieren. Trotz voller Beweglichkeit schaffen es die wenigsten von ihnen, aus dem Rollstuhl heraus Körbe zu werfen. So langsam wird den Schülern klar, wie mühsam die Alltagsorganisation von Menschen mit Behinderungen sein mag: Mal muss ein Aufzugschlüssel organisiert, mal eine Begleitperson für den Toilettengang gefunden werden.

Wie notwendig Unterstützer und Helfer für die Behinderten sind, erkennen die Jugendlichen auch an den Assistenten, die die Menschen mit Einschränkungen auf dem Projekttag begleiten: Sechs Menschen mit Behinderungen werden von neun Helfern umsichtig unterstützt oder von der Projektorganisatorin Marina Spindler mit humorvollen Sprüchen in die Diskussion eingeladen. Ohne diese wäre die Durchführung des Projekttages nicht möglich.

Mittags in der Abschlussrunde zeigen sich alle Beteiligten sichtlich beeindruckt. Die Schüler bestätigen, dass sie bei den praktischen Übungen tatsächlich die Perspektive gewechselt haben. Außerdem freuen sie sich über die offene Art der »Experten in eigener Sache« und auch deren zum Teil ähnlichen Hobbys und Interessen. »Behindert zu sein heißt nicht, ein Trauerkloß zu sein«, formuliert die 14-jährige Antonia zusammenfassend. Die Ismaninger Jugendsozialarbeiterin Astrid Hummeltenberg, die die Veranstaltung organisiert hat, sieht neben dem Lerneffekt für die Schüler auch einen wichtigen Anstoß, sich mit der UN-Behindertenkonvention auseinanderzusetzen, deren grundlegender Gedanke die Inklusion, also die Eingliederung behinderter Schüler in die Regelschulen ist.

Die Bewerbung für eine Wiederholung des Projekttags im nächsten Schuljahr wird von ihr gleich unterschrieben. Trotz mancher Befürchtungen im Vorfeld hat kein Schüler gelacht oder sich lustig gemacht über die Gäste. Schüler anderer, nicht beteiligter Klassen haben sich vielmehr vorsichtig an das Geschehen herangetastet und ihr Interesse an einer Teilnahme bekundet. red

Artikel vom 07.05.2013
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