Schutz vor Luxussanierungen rund um den Schlachthof

Zentrum · Aufatmen im Viertel

Die langjährigen Schlachthofviertelbewohner Ruth Jäger, David Jäger und Dagmar Ettenhuber (v. l.) atmen auf: Ihr Viertel ist in den kommenden fünf Jahren vor Luxussanierungen geschützt.	Foto: Sylvie-Sophie Schindler

Die langjährigen Schlachthofviertelbewohner Ruth Jäger, David Jäger und Dagmar Ettenhuber (v. l.) atmen auf: Ihr Viertel ist in den kommenden fünf Jahren vor Luxussanierungen geschützt. Foto: Sylvie-Sophie Schindler

Zentrum · Schwebt ein Damoklesschwert über dem Schlachthofviertel? Wird sich auch hier der vielerorts gefürchtete Trend zur Luxussanierung breitmachen?

»In benachbarten Stadtteilen wird bezahlbarer Wohnraum immer knapper«, berichtet Dagmar Ettenhuber, die seit gut 50 Jahren in einem Anwesen an der Lindwurmstraße wohnt. »Wir beobachten das mit Sorge. Und können nur hoffen, dass es uns nicht auch noch trifft.« Aktuell jedenfalls ist der Kelch am Schlachthofviertel mal wieder vorüber gegangen. Mit großer Mehrheit wurde in einer Vollversammlung des Münchner Stadtrats Ende Februar beschlossen, die Erhaltungssatzung für das Schlachthofviertel für weitere fünf Jahre zu erlassen. Am 20. März wäre sie sonst außer Kraft gesetzt worden.

Im Beschluss heißt es, die Überprüfung der auslaufenden Erhaltungssatzung hätte ergeben, dass »die Voraussetzungen für einen erneuten Erlass nach wie vor gegeben sind«. Mit dem Fortbestehen der Erhaltungssatzung ist der Schutz vor Luxussanierungen erstmal gesichert.

Großes Aufatmen bei Dagmar Ettenhuber und auch bei Ruth und David Jäger, zwei Geschwister, beide Künstler, die ebenfalls mit im Zehn-Parteien-Haus leben – und das bereits seit 1975. Die beiden können es sich im Grunde überhaupt nicht vorstellen, woanders zu wohnen. »Unser Viertel hat seinen ganz eigenen, einen besonderen Charme«, sagt Ruth Jäger. Trotz Isarnähe entstünde dennoch kein »Hype« wie beispielsweise um das Glockenbachviertel. Der nahe Schlachthof schrecke den einen oder anderen sogar ab. »Klar, hier riecht es nach Vieh, je nachdem, wie der Wind geht, und regelmäßig fahren Schweinelaster durch die Straßen«, erzählt David Jäger. »Aber was soll’s, das gehört eben dazu.« Seine Schwester Ruth stört sich ebenfalls nicht daran. »Im Grunde ist das unser Glück. Das Schlachthofviertel verschwindet so ein bisschen in der allgemeinen Wahrnehmung. Es ist das vergessene Viertel.« Und gerne würden sie auch in Zukunft vergessen bleiben, wie sie sagen. »Das Leben geht hier seinen Gang, wir haben es schön miteinander, man kennt sich, man grüßt sich, überall bekannte Gesichter«, erzählt Ettenhuber. Man lebe hier im Viertel wie in einer Dorfgemeinschaft. Ein bunt durchmischtes Völkchen, Studenten und Rentner, Künstler und Familien, Selbstständige und Arbeiter. Würde plötzlich ein Luxusbau nach dem anderen hochgezogen, würde das, da ist sich die Alteingesessene sicher, das sichere Aus für »diese Art Münchner Gemütlichkeit« bedeuten.

Der Vorsitzende des Bezirks-auschusses (BA) Isarvorstadt-Ludwigsvorstadt, Alexander Miklosy (Rosa Liste), drückt es so aus: »Die Auswirkung von Luxussanierungen auf das Viertel käme politisch gesehen einer Vertreibung aus dem Stadtteil sehr nahe, denn weder der Bedarf noch das Einkommen entsprechen den neuen Gegebenheiten.« Der BA hätte deshalb Erhaltungssatzungen stets uneingeschränkt befürwortet.

Manche Sanierungen müssten sein

Bei allem Engagement, Luxusbauten Einhalt zu gebieten, sei es dennoch wichtig, zu relativieren. »Wenn man das Wort Luxus auf andere Beispiele herunterbricht, sieht die Diskussion anders aus: Wie steht es um Sanitäreinrichtungen, kleine Balkone oder Aufzüge? Hier werden Sanierungen teilweise von den Mietern sogar gefordert«, so Miklosy.

Denn das ist die Crux an der Sache: Zig Nachkriegshäuser bräuchten dringend eine Modernisierung – die dann aber nicht genehmigt werde. »Und anderswo gibt es Beispiele, bei denen Mietsteigerungen um hundert Prozent legal umgesetzt wurden, obwohl die Sanierung nicht mal die Luxusmarke gestreift hat, sondern nur moderner Standard erreicht wurde«, berichtet der Lokalpolitiker weiter. Sein Fazit: Man solle der allgemeinen Entwicklung nicht ausschließlich kritisch gegenüberstehen, denn sonst, so Miklosy, »hätten wir in vielen Gegenden der Stadt immer noch Tröpferlbäder für ganze Straßenzüge und Etagentoiletten für mehrere Familien – und das will ja auch keiner«. Wo Erhaltungssatzungen gelten, muss jede Sanierung – Modernisierungen, Nutzungs- und Grundrissänderungen – oder auch Abbrüche vom Wohnungsamt genehmigt werden. Dieses prüft genau, ob überhaupt eine Notwendigkeit vorliegt.

Luxus-Eingriffe werden verhindert. Seit 1993 wurde in über 7300 Verfahren sichergestellt, dass die Belange der Erhaltungssatzung gewahrt blieben. Zudem steht der Landeshauptstadt in Erhaltungssatzungsgebieten unter bestimmten Voraussetzungen ein Vorkaufsrecht zu, das durch das Kommunalreferat ausgeübt werden kann.

Aktuell Schutz für 93.000 Wohnungen

Die sogenannten Erhaltungssatzungsgebiete werden vom Stadtrat nach festgelegten Kriterien ausgewiesen und beschlossen. Zurzeit gibt es in München 14 Erhaltungssatzungsgebiete mit insgesamt rund 93.000 Wohnungen und 169.000 Bewohnern – das entspricht etwa zwölf Prozent der Bevölkerung. Doch waren es schon mal mehr: 2001 gab es noch 21 Erhaltungssatzungsgebiete. Zu den aktuellen gehören unter anderem Alte Heide, Untere Au/Untergiesing, Haidhausen-Mitte, Trauchberg-/Forggenseestraße und das Gärtnerplatzviertel.

Der Münchner Stadtrat erließ bereits Mitte der 80er-Jahre für ausgewählte Gebiete Erhaltungssatzungen. Im September 1987 traten die ersten beiden Erhaltungssatzungen »Pündterplatz« und »Georgen-/Zentnerstraße« in Kraft. Nur wenig später, 1988, folgte die Erhaltungssatzung fürs Schlachthofviertel.

Sie gehört damit zu den ältesten in München. »Kaum vorzustellen, wie es für uns gekommen wäre, wenn wir diesen Schutz nicht hätten«, sagt Ettenhuber und bekräftigt: »Wir brauchen hier keine Luxusmodernisierungen.« Nicht mal einen Lift? Da lacht die 71-Jährige: »Ich gehe schon seit Jahrzehnten zu Fuß in meine Wohnung im vierten Stock. So erspare ich mir jedes Fitnessstudio.« Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 19.03.2013
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