Ein Kommentar zur Lage beim TSV 1860 München

Sechzigs Familienangelegenheiten

Familienaufstellung: Maurizio Jacobacci. Foto: Anne Wild

Familienaufstellung: Maurizio Jacobacci. Foto: Anne Wild

München/Giesing · »Ich habe ihnen gesagt, dass sie das Tor verteidigen müssen, wie wenn es ihre eigene Familie wäre«, erläuterte vor zwei Monaten Maurizio Jacobacci, der Trainer der Profimannschaft des TSV 1860 München, seinen psychologischen Ansatz für den sportlichen Erfolg. Das schiefe Bild der Familie wird im Fußball gern gewählt. Auch von der »Löwenfamilie« ist oft die Rede, wenn Funktionäre an den Gemeinsinn appellieren und ihn mit dem Hashtag #gemeinsam illustrieren. In Giesing hängt der Haussegen allerdings derzeit gewaltig schief, um ein anderes Sprachbild zu bemühen.

Die unbefriedigenden Ergebnisse des Drittligisten lassen die Konflikte innerhalb der Familie offen aufbrechen. Daran vermochte auch ein von Jacobacci eigens engagierter Motivationscoach nichts zu ändern. In der Annahme, ein besonders glückliches Händchen in diesen Dingen zu haben, absolvierte der Italo-Schweizer im Sommer #gemeinsam mit Geschäftsführer Marc-Nicolai Pfeifer und Hasan Ismaiks Statthaltern, Anthony Power und Athanasios Stimoniaris, die Saisonplanung in Eigenregie. Ein fachliches Korrektiv schien den Machern verzichtbar. Zu weit gediehen waren ihre Pläne, um sie noch einmal auf den Prüfstand stellen zu wollen.

Doch das Glück sollte sich im Saisonverlauf nicht einstellen. Trotz phasenweise guter Ansätze, verlor die Mannschaft immer weiter an Boden. Sportlicher Tiefpunkt war die teure Blamage des TSV 1860 München im Viertelfinale des Bayerischen Landespokals beim Bayernligisten FC Pipinsried. Mittlerweile steckt man auch in der Liga im Abstiegskampf. Es scheint eine dysfunktionale Familie zu sein. Das Wort dysfunktional bedeutet, dass wichtige Funktionen fehlen oder nicht ausreichend vorhanden sind.

Folgt man der einschlägigen pädagogischen Fachliteratur, sind typische Kennzeichen einer dysfunktionalen Familie ein Mangel an Zusammenhalt, keine verbindlichen Regeln und Pflichten, wenig Struktur oder Grenzen, Abhängigkeit und Machtspiele, ungerecht verteilte Liebe, die Suche nach Sündenböcken, Grenzüberschreitungen, Störungen der Impulskontrolle, eigenes Aufwerten durch Abwerten anderer, verbale und körperliche Gewalt. Für nahezu jeden dieser Punkte ließe sich eine Entsprechung beim TSV 1860 München finden.

Abhilfe scheint dringend nötig. Doch wer soll sie leisten? Am besten ein ausgebildeter Pädagoge mit Fußballfachkenntnissen. Womöglich hat man den in Gestalt von Dr. Christian Werner bereits gefunden. Die Literatur rät übrigens: »Nicht der Konflikt ist das Problem, sondern die Art und Weise, wie man damit umgeht. Es ist normal und in Ordnung, wenn man unterschiedlicher Meinung ist. Wichtig ist, dass man sich trotzdem in die Augen schauen und wertschätzen kann.« Der Pädagoge wird der Familie das hoffentlich beibringen.

(as)

Artikel vom 05.12.2023
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