Vor 65 Jahren: Flugzeugabsturz in München-Riem

Riem · Bis heute unvergessen

Dieses Kunstwerk schenkten Fans aus Manchester dem Universitätsklinikum vor fünf Jahren in Erinnerung und zum Dank für die Versorgung der Verletzten des Flugzeugunglücks. Foto: Kathrin Czoppelt/Klinikum Rechts der Isar

Dieses Kunstwerk schenkten Fans aus Manchester dem Universitätsklinikum vor fünf Jahren in Erinnerung und zum Dank für die Versorgung der Verletzten des Flugzeugunglücks. Foto: Kathrin Czoppelt/Klinikum Rechts der Isar

Riem · „Lest we forget“, steht in großen Lettern auf dem Schal, den Elisabeth Weber (91) um ihre Schultern legt: „Auf dass wir nie vergessen mögen.“ Der Schal in den Farben des englischen Fußballclubs Manchester United erinnert an jenes Flugzeugunglück, das am 6. Februar 1958, vor genau 65 Jahren, in München-Riem 23 Menschen in den Tod riss, darunter acht Spieler des aufstrebenden Clubs.

Am 6. Februar wurde an der Absturzstelle eine Gedenkfeier abgehalten – und Elisabeth Weber war als eine Vertreterin des Universitätsklinikums rechts der Isar vor Ort. Bei dieser Gedenkveranstaltung wurde auch eine Erinnerungsvitrine am Manchester Platz in Trudering von Oberbürgermeister Dieter Reiter eingeweiht. In diesem Krankenhaus, seinerzeit noch unter städtischer Leitung, wurden die teils schwer verletzten Überlebenden des Unglücks versorgt. Den damaligen Krankenhaus-Chef und späteren Ärztlichen Direktor, Prof. Georg Maurer, zeichnete Queen Elizabeth II. dafür mit dem Orden „Commander of the British Empire“ aus; das medizinische Personal, das sich um die Verletzten kümmerte, nannten britische Medien bald „Angels of Munich“. Elisabeth Weber ist eine der Letzten, die noch von dieser Zeit berichten kann.

Sie arbeiteten 1958 als leitende Krankenschwester auf der Männerwachstation.
Elisabeth Weber: Ich war an dem Tag krankgeschrieben und da habe ich ein Telefongespräch mitbekommen, in dem es hieß, in ganz München sei kein Sanitätswagen mehr frei, weil in Riem ein Flugzeug verunglückt ist. Am übernächsten Tag war ich dann selbst wieder in der Klinik.

Als Sie wieder zum Dienst kamen: Was war los am Klinikum?
Elisabeth Weber: Die Stimmung war gedrückt. Zwei Patienten waren gestorben. Die anderen Verunglückten hatten teils schwerste innere und äußere Verletzungen, aber sie wurden von guten Kollegen betreut – den „Angels of Munich“. Nach einiger Zeit kamen auch die Frauen der Patienten aus England. Es war viel los im Klinikum.

Die Intensivmedizin war 1958 erst im Aufbau. Gab es Erfahrung mit sehr schweren Verletzungen?
Elisabeth Weber: Oh ja! Schon 1955 – da hatte ich gerade im Rechts der Isar angefangen – hatten wir viele schwere und tödliche Fälle. Man darf ja nicht vergessen: Die Straßenbahnen waren damals überlastet, die Leute haben sich außen drangehängt, sind oft runtergefallen. Und am Ostbahnhof: viele Rangierunfälle. Heute ist alles deutlich sicherer.

Heute wäre das Krankenhaus in so einem Fall von Fans, Schaulustigen und Medien belagert. Wie war das damals?
Elisabeth Weber: Das hat es damals nicht gegeben, zumindest habe ich nichts Derartiges mitbekommen. 1980, beim Oktoberfestattentat, war das schon anders. Da haben wir ja auch die Verletzten reinbekommen, und da waren die Reporter dermaßen schlimm, die mussten wir buchstäblich verscheuchen. Aber 1958, da ist man im ersten Moment nur erschrocken. Ich hatte auch den Eindruck, dass die verletzten Spieler ein bisschen abgeschirmt wurden. Der Medienauflauf fing erst an, als unser Klinikdirektor Prof. Georg Maurer mit einer OP-Schwester und seinem engsten Ärzteteam nach England eingeladen worden ist, um ausgezeichnet zu werden.

Apropos: Prof. Georg Maurer ist es auch zu verdanken, dass aus dem Städtischen Krankenhaus das Universitätsklinikum rechts der Isar wurde. Wie haben Sie ihn im Klinikalltag erlebt?
Elisabeth Weber: Er hat sich mit aller Kraft für das Klinikum eingesetzt! Ich erinnere mich an eine Szene: Ein Patient hatte ein pfenniggroßes Loch in seinem Bettbezug. Professor Maurer ließ mich holen und zeigte es mir. Da habe ich gesagt: Herr Professor, ich bin froh, dass ich die zerrissene Wäsche habe, bevor ich gar keine habe. Daraufhin ging er raus, wo sein Ärzteteam stand, und sagte: „Schreiben Sie an die Verwaltung: ,Ich habe keine Lust, Chef eines Klinikums zu sein, in dem die Patienten in zerrissener Bettwäsche liegen müssen.‘“ Ja, so war unser Professor Maurer.

Vor fünf Jahren, als an der Absturzstelle eine Gedenkfeier anlässlich des 60. Jahrestages abgehalten wurde, sind Sie auch schon eingeladen worden.
Elisabeth Weber: Ja, das war eine großartige Veranstaltung. Die Menschenmenge hat den ganzen Platz gefüllt. Einer der Engländer kam auf mich zu und hat gesagt: „Frau Weber, ich bin heute den ganzen Tag für Sie da!“ So viele Umarmungen und Handküsse, wie ich damals bekommen habe … (lacht). Es war ein Lachen, ein Singen, aber auch ein Weinen. Ich habe damals einen Erinnerungsschal geschenkt bekommen.

Hintergrund zum Flugzeugunglück von 1958
Die Fußballmannschaft von Manchester United, nach ihrem charismatischen Trainer Matt Busby die „Busby Babes“ genannt, war am 6. Februar 1958 auf dem Heimweg von einem Spiel in Belgrad nach Manchester. Nach einem planmäßigen Tankstopp in München-Riem schoss die gecharterte Maschine beim Abheben über die Startbahn hinaus und zerschellte. Schnee auf der Rollbahn – so die spätere Analyse – hatte das Flugzeug so stark gebremst, dass sie die zum Abheben erforderliche Geschwindigkeit nicht erreichen konnte. Die zum Teil schwer verletzten Überlebenden wurden im Klinikum rechts der Isar behandelt. Das Team um den damaligen Chefarzt Prof. Georg Maurer leistete Extraschichten, um die Verunglückten zu versorgen. Ganz England war damals den „Angels of Munich“ dankbar – Prof. Maurer wurde von Königin Elizabeth II. geehrt. Das Klinikum war für damalige Verhältnisse sehr gut auf die Versorgung der Schwerverletzten vorbereitet. So hatte es seit 1957 seine Operationskapazitäten ausgeweitet: Es verfügte nun über fünf gut ausgestattete OP-Säle, die die Behandlung der zahlreichen Verletzten ermöglichten. Prof. Maurer hatte große Expertise in der Versorgung von Unfallopfern, zudem hatte er eine Abteilung für Neurochirurgie eingerichtet und das Klinikum an den Rettungsdienst angeschlossen. Mit seinem Team hatte er sich auch auf Notfalleinsätze vorbereitet.

Artikel vom 07.02.2023
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