Mehr als die Vorgaben

München Klinik modernisiert ihre Pflegeausbildung

Bürgermeisterin Verena Dietl im Gespräch mit Claudia Koch (Teamleitung Süd) und Kolleg*innen aus der Praxisanleitung sowie Pflege-Auszubildenden bei ihrem Besuch in der München Klinik Neuperlach. Foto: Klaus Krischock

Bürgermeisterin Verena Dietl im Gespräch mit Claudia Koch (Teamleitung Süd) und Kolleg*innen aus der Praxisanleitung sowie Pflege-Auszubildenden bei ihrem Besuch in der München Klinik Neuperlach. Foto: Klaus Krischock

Neuperlach/Harlaching · Die München Klinik bildet in der mit rund 500 Ausbildungsplätzen größten Bildungseinrichtung für Pflegeberufe in Bayern den so wichtigen Pflegenachwuchs selbst aus. Im Rahmen der praktischen Ausbildung sind die Auszubildenden auch an den Klinikstandorten im Einsatz und durchlaufen in drei Ausbildungsjahren verschiedene Stationen.

Deshalb gibt es an allen Standorten der München Klinik speziell ausgebildete Praxisanleiter*innen – das sind examinierte Pflegekräfte mit besonderer Fachweiterbildung für die praktische Pflegeausbildung. Sie stehen den Auszubildenden mit Rat und Tat zur Seite, weisen sie in Stationsabläufe ein und unterstützen dabei, die Theorie erstmals in die Praxis umzusetzen.

Im Rahmen der neuen Generalistischen Pflegeausbildung wurde auch die Praxisanleitung gesetzlich angepasst. Auszubildende haben jetzt Anspruch, dass sie mindestens 10 Prozent ihrer Zeit bei Praxiseinsätzen fachlich angeleitet werden. Die München Klinik ist davon überzeugt, dass eine gute Anleitung nicht „nebenher“ funktioniert und eine konkrete zeitliche Freistellung notwendig ist. Deswegen hat die München Klinik ihr Praxisanleitungskonzept erweitert und Kapazitäten weit über die gesetzlich geforderten 10 Prozent hinaus geschaffen.

Über alle Standorte hinweg sind jetzt Praxisanleitungskapazitäten in Höhe von 34 Vollzeitstellen vorhanden. „Ich kenne kein Krankenhaus, das so viel bieten kann“, sagt Geschäftsführerin und Arbeitsdirektorin Susanne Diefenthal. An den Anleitungstagen sind die Praxisanleiter*innen nicht im Stationsdienstplan eingeteilt, können ihre Zeit also voll und ganz auf die Anleitung fokussieren. Gleichzeitig bleiben sie Teil der Station und geben ihr Wissen über aktuelle Pflegestandards während Stationsdiensten auch an ihre Teams weiter.

Auch grundsätzlich wurde das Anleitungssystem an die Wünsche und Vorstellungen der Auszubildenden und Praxisanleiter*innen angepasst – häufige Wechsel hatten zuvor die Anleitung erschwert. Fortan ist jeder Auszubildende einem festen Praxisanleiter pro Einsatz zugeteilt. Das ermöglicht eine bessere individuelle Förderung und im Laufe der Ausbildung kann ein Vertrauensverhältnis entstehen.

Üblicherweise findet die Praxisanleitung parallel zur regelhaften Patient*innenversorgung auf einer Station statt – die Verantwortung für die Patient*innen übernehmen ausschließlich die ausgebildeten Pflegekräfte, die Auszubildenden arbeiten ihnen zu. Neue Konzepte stellen die Anleitung stärker in den Fokus und vermitteln auf innovative Weise schon in der Ausbildung den hohen Verantwortungsgrad des Pflegeberufs. Dazu hat die München Klinik bereits vor zwei Jahren eine „Schulstation“ eingeführt, bei der Auszubildende regelmäßig für einen begrenzten Zeitraum eine Station leiten und von den Praxisanleiter*innen und examinierten Stationspflegekräften nur bei Bedarf aktiv unterstützt werden.

Jetzt hat die München Klinik zwei neue Konzepte eingeführt, die die Praxisanleitung auch im Stationsalltag modernisieren und ein früheres Sicherwerden im Beruf ohne „Projektcharakter“ durchgehend in den Praxisphasen ermöglichen. „Praxisanleitung ist mehr als Vor- und Nachmachen“, beschreibt es Claudia Koch, Teamleitung Süd der Praxisanleiter*innen in der München Klinik. „Mit Blick auf die Pflege der Zukunft geht es darum, dass Auszubildende durch innovative Konzepte in einem geschützten Rahmen Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen.“

Verantwortung mit Sicherheitsnetz in Neuperlach

Unter der Prämisse haben die Praxisanleiter*innen der München Klinik Neuperlach auf Basis einer Schweizer Fachpublikation über die Lern- und Arbeitsgemeinschaft (LAG) ein eigenes modifiziertes Model entwickelt. Die LAG verfolgt mehrere Ziele, eines der wichtigsten und zugleich schwierigsten Ziele, ist es berufliche Entscheidungsräume wahrzunehmen und aufgrund klinischer Beobachtungen eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen. Das muss in einem supervidierten Rahmen eingeübt werden, um sich sicher zu fühlen. Die Lernenden übernehmen in „ihrer persönlichen Patientengruppe“ selbstgesteuert für eine Schicht die komplette Versorgung und organisatorischen Abläufe. Dabei muss die Patientengruppe vom Praxisanleiter*in gezielt für jeden Auszubildenden ausgesucht werden, damit die Anforderungen genau zu den bisher erlernten Kompetenzen der Auszubildenden passen.

Um dabei nicht überfordert zu werden, gibt es eine feste Besprechungskultur (Scaffolding) und die Praxisanleiter*innen als Sicherheitsnetz im Hintergrund. Nach dem „Shadowing“-Prinzip begleiten und beobachten die Praxisanleitenden die Auszubildenden und greifen nur ein, wenn erforderlich. Mehrmals pro Schicht kommen die Auszubildenden und Praxisanleitenden zusammen, besprechen und reflektieren die aktuellen Ereignisse. Die Auszubildenden profitieren dadurch auch von den Erfahrungen der anderen Auszubildenden. Mit jeder Lern- und Arbeitsgemeinschaft können die Auszubildenden ein Stück mehr in die hochverantwortliche Berufsrolle hineinwachsen. „In Neuperlach wollen wir das Modell der LAG fest etablieren, so dass jeder Auszubildende zum Abschluss eines Praxiseinsatzes diese Anleitungsform erleben kann“, so Claudia Koch, Teamleitung Süd, die gemeinsam mit Michaela Trommer, Maria Gibis, Astrid Böhm, Aygül Özbek, Franziska Vorpahl und Daniela Wichmann das Praxisanleitungsteam am Standort Neuperlach bildet.

Neues Context-Training ermöglicht in Harlaching

Seit Februar erweitert außerdem das Team der Hauptamtlichen Praxisanleiter*innen der München Klinik Harlaching sein Lernangebot um das sogenannte „Context-Training“. Context-Training ermöglicht es aus Fehlern zu lernen, was aufgrund der hohen Verantwortung der Pflege in der Realität oft nicht denkbar ist und somit trainiert werden sollte, da jeglicher Fehler eine potentielle Gefährdung von Patient*innen darstellt. Die München Klinik Harlaching geht hier mit speziell ausgestatteten Trainingsräumen voran. Die Räume sind mit Modellen und elektronischem Equipment wie Kameras ausgestattet. Aktuell sammelt die München Klinik für die erweiterte Ausstattung der Trainingsräume Spenden.

Konkret werden beim Context-Training mit Schauspielpatient*innen verschiedene Situationen realitätsnah nachgestellt. So können die Auszubildenden unter realen Bedingungen ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten im geschützten Rahmen trainieren und sich persönlich weiterentwickeln. Zum reflektierten Lernen tragen auch Videosequenzen bei, die im Anschluss an das Training gemeinsam analysiert werden.

„Die Pflege der Zukunft braucht auch die Pflegeausbildung der Zukunft. Wir kommen hier in der Pflegeausbildung unserer Verantwortung nach, um die notwendige Pflegereform voranzubringen. Gleichzeitig muss politisch erkannt werden, dass eine Aufwertung des Pflegeberufs auch Auswirkungen auf andere Berufsgruppen im Krankenhaus haben muss. Konkret müssen Ärztinnen und Ärzte Verantwortung an ihre pflegerischen Kolleg*innen abgeben – heute dürfen Pflegekräfte bestimmte Aufgaben beispielsweise nur unter ärztlicher Aufsicht durchführen, unabhängig von ihrer Berufserfahrung. Das muss sich ändern, damit beide Berufsgruppen tatsächlich auf Augenhöhe miteinander agieren können und aus dem häufig pflegerischen Zuarbeiten ein Ineinandergreifen medizinischer und pflegerischer Expertise werden kann. Das schlägt sich dann zwangsläufig auch in einer Anpassung der Gehälter auf beiden Seiten nieder“, so Dr. Axel Fischer, Vorsitzender der Geschäftsführung der München Klinik.

Bei ihrem Besuch in der München Klinik Neuperlach kam Bürgermeisterin Verena Dietl mit den Praxisanleitenden und Pflege-Auszubildenden ins Gespräch und überzeugte sich vom hohen Stellenwert einer gut strukturierten Praxisanleitung sowohl für den Lerneffekt in der Praxisphase als auch für einen positiv besetzten Berufsstart. Bürgermeisterin Dietl: „Gute Einarbeitung braucht Zeit, besonders in einem so verantwortungsvollen Beruf wie der Pflege. Ich begrüße es sehr, dass die München Klinik über gesetzliche Vorgaben hinausgeht und der Praxisanleitung den Raum gibt, um allen Auszubildenden die notwendige Unterstützung bei den ersten Schritten in der beruflichen Praxis zu garantieren.

Aber hier müssen auch politisch die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um solche Projekte übergreifend zu ermöglichen. Dafür setze ich mich ein, als Teil unserer vielfältigen städtischen Maßnahmen, um den Pflegeberuf aufzuwerten und den Beschäftigten in Pflegeberufen in München ein adäquates Arbeitsumfeld zu schaffen. Zudem ist es mir wichtig im Rahmen verschiedener Besuche in den Kliniken im engen Austausch mit den Mitarbeitenden zu bleiben.“

Auch ein Austausch mit dem Kriseninterventionsteam der München Klinik, das deutschlandweit einzigartig ist und im Rahmen der psychosozialen Unterstützung der Beschäftigten in der Pandemie eine tragende Rolle eingenommen hat, sowie ein Besuch der geriatrischen und chirurgischen Stationen standen bei der Bürgermeisterin auf der Agenda.

Vorbild für das neue LAG-Konzept in Neuperlach ist die Pflege-Schulstation, die im Sommer 2018 als Modellprojekt erstmals in Bogenhausen durchgeführt wurde und seitdem in der München Klinik Schule gemacht hat. Regelmäßig übernehmen Auszubildende der München Klinik an verschiedenen Klinikstandorten und in verschiedenen medizinischen Fachbereichen für einen begrenzten Zeitraum nach dem Motto „Auszubildende leiten eine Station“ das Ruder. Zuletzt fand im November wieder eine Ausbildungsstation in Bogenhausen auf der kardiologischen Station statt – dass das Projekt auch während der Pandemie durchgeführt werden kann und die Auszubildenden auf diese wichtige Erfahrung nicht verzichten müssen, ist dem besonderen Einsatz aller Beteiligten zu verdanken.

Artikel vom 18.05.2022
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