Direkt ins Herz

Retla e.V. organisiert Singkreise für Demenzkranke

"Wir möchten gerne weitere Singkreise fördern", sagt Judith Prem, Retla-Initiatorin und Vorstand. Foto kl: Setzt sich regelmäßig ans Keyboard und singt mit an Demenz erkrankten Menschen: Jonas Häusler. F.: Retla e.V. / Jakob Schad

"Wir möchten gerne weitere Singkreise fördern", sagt Judith Prem, Retla-Initiatorin und Vorstand. Foto kl: Setzt sich regelmäßig ans Keyboard und singt mit an Demenz erkrankten Menschen: Jonas Häusler. F.: Retla e.V. / Jakob Schad

München · "Musik schließt die Herzen auf. Damit kommen wir selbst an hochgradig Demenzkranke heran", sagt Silvia Hille, Pflegedienstleiterin an der Tagesklinik des Marion-von-Tessin-Memory-Zentrums (Nymphenburger Str. 45) zum Retla-Singkreis.

Retla e.V. ist eine Initiative, die sich dafür einsetzt, dass die Gesellschaft alten Menschen etwas zurückgibt und ihnen mehr Leben, Sinn und Zuversicht vermitteln will. Aus diesem Grund fördert Retla e.V. Singkreise für hochgradig Demenzkranke in München und Augsburg unter dem Motte "Singen gegen das Vergessen". Es ist das zweite Initiativprojekt von Retla e.V.

Die Augen leuchten

Seit Sommer 2021 wird der Singkreis im Marion-von-Tessin-Memory-Zentrum angeboten. "Montag kommt der Jonas", heißt es dann immer. Der sehnlichst erwartete Jonas Häusler setzt sich jeden Montag ans Keyboard und singt mit Menschen, die an Demenz erkrankt sind. "Sie freuen sich immer, wenn sie die Lieder kennen", sagt der Musikstudent, der ganz überrascht ist, wie gut die Gesangsstunden klappen. Und Silvia Hille merkt, wie sich der Alltag mit den Besucherinnen und Besuchern langsam verändert: die Augen leuchten, sie hören besser zu, sind freundlicher und umgänglicher.

Lebensqualität verbessern

Für die positiven Effekte von Musik auf Menschen mit Demenz gibt es immer mehr empirische Hinweise. Man weiß inzwischen, dass Singen und Musizieren das emotionale Wohlbefinden steigern, die Lebensqualität verbessern sowie Stress und Depressionen reduzieren. Diese Erfahrungen macht auch Rita Anna Friedrich vom Seniorenzentrum Lechrain in Augsburg. "Das Singen gehört zu den vielen Dinge, die wir tun, damit unsere Bewohnerinnen und Bewohner noch selbstbestimmt leben können", bestätigt die Sozialpädagogin. Damit sei weder Zwang, noch Leistungsdruck verbunden. Die Berührung mit etwas Bekanntem mache einfach Spaß. Den Retla-Singkreis leitet der Kirchenmusiker Siegfried Dirking, der seit Juli 2021 mit einer Gruppe von 20 Seniorinnen und Senioren singt und dazwischen auch beliebte Klavierwerke verschiedener Epochen, sowie Operetten- und Unterhaltungsmusik vorspielt. "Das sind sehr dankbare und nach Kräften mitsingende Leute", lobt Dirking.

Weitere Angebote geplant

"Wir möchten gerne weitere Retla-Singkreise für Menschen mit Demenzerkrankungen ins Leben rufen. Die Idee ,Singen gegen das Vergessen' hat sich bei diesen ersten Projekten, die wir derzeit unterstützen, so bewährt, dass wir gerne weitere Singkreise fördern möchten", sagt Judith Prem, Retla-Initiatiorin und Vorstand. Musiker, die daran interessiert sind, können sich mit Jonas Häusler per Mail an jonas.haeusler@retla.org in Verbindung setzen.

Über den Verein

Retla – rückwärts gelesen "Alter" – möchte Senioren zurück in die Mitte der Gesellschaft holen und ihnen wieder mehr Lebensfreude, Sinnhaftigkeit und Wertschätzung vermitteln. Retla unterstützt zu diesem Zweck sorgfältig ausgesuchte Projekte, sucht initiativ nach neuartigen Lösungen und bietet ein Forum, um Wissen und Ideen zu vermitteln. Die Mittel hierfür generiert Retla aus Spenden von Privatpersonen, Stiftungen und Unternehmen. Retla e.V. wurde 2019 gegründet. Mit einem erfahrenen interdisziplinären Team setzt sich Initiatorin und Vorstand Judith Prem für ein solidarisches Miteinander ein. Auch Schirmherrin Michaela May und Schirmherr Elmar Wepper engagieren sich tatkräftig.

"Es ging alles ganz schnell"

Wie sind Sie auf das Projekt aufmerksam geworden?

Jonas Häusler: Ich bin nun seit August 2021 beim Demenzzentrum tätig. Es ist ein Stück weit auch eine persönliche Angelegenheit. Meine Oma, die bereits leider verstorben ist, hatte selber jahrelang starke Demenz in Form von Alzheimer. Da habe ich ganz nah mitbekommen wie schlimm es auch sein kann für Menschen sich Stück für Stück immer weniger erinnern zu können. Über mein Musikwissenschaftsstudium habe ich dann auch ein paar weiterführende Einblicke erhalten. Ich fand das Projekt von Anfang an sehr ansprechend und interessant. Retla e.V. hat mit "Singen gegen das Vergessen" ein wirklich tolles Projekt gestartet.

"Wie eine eigene Sprache"

Was bewirkt Musik bei an Demenz erkrankten Menschen?

Jonas Häusler:Was bewirkt Musik bei jedem einzelnen von uns? Sie steigert das Wohlempfinden, spricht unsere Emotionen an, schenkt uns Freude und Spaß. Musik und die Empfindung von Musik ist tief in uns verankert. Sie ist wie eine eigene Sprache, die man lediglich hören und nicht sprechen können muss, um sie zu empfinden. Ich werde immer wieder überrascht von meinen Teilnehmer:innen. Man fragt "kennt ihr dieses oder jenes Stück" und schaut erstmal in verdutzte Gesichter. Spielt man dann aber nur ein paar wenige Töne an, schon stimmen alle mit ein und können mehrere Strophen der Lieder auswendig. Es sind Lieder, die sie aus der Jugend kennen oder die sie im Leben begleitet haben. Nach jeder Stunde, ob anstrengend, da man was neues gelernt hat, oder einfach, weil man die Stücke bereits kannte, sind die Teilnehmer gut drauf und strahlen.

"Ich erhalte ehrliche Meinungen"

Mit Ihrem Engagement geben Sie den Menschen sehr viel. Was erhalten Sie zurück?

Jonas Häusler:Ich erhalte vor allem ehrliche Meinungen von den Teilnehmer:innen zurück, die sich freuen in dieser Form zu singen, mir aber auch klar sagen, wenn sie ein Lied oder eine Übung nicht mögen. Es ist schön mit den Leuten zusammen die Stücke zu erarbeiten und zu merken, dass sie sich auf die montägliche Einheit schon im Voraus freuen.

Artikel vom 04.04.2022
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