Korrespondenz unter wechselnden Identitäten wirft Fragen auf

ARGE-Vorstand Gerhard Schnell zurückgetreten

Rücktritt: Gerhard Schnell. Foto: Anne Wild

Rücktritt: Gerhard Schnell. Foto: Anne Wild

München/Giesing · Der Vorsitzende des Fanklubdachverbands »ARGE TSV München von 1860«, Gerhard Schnell, ist von seinem Ehrenamt zurückgetreten. Zum Ende seiner Amtszeit sieht sich der 70-Jährige mit unangenehmen Vorwürfen konfrontiert. Schnell soll über Jahre hinweg unter wechselnden Identitäten E-Mailverkehr mit Offiziellen des TSV 1860 München geführt und diese dabei glauben haben lassen, sie würden mit »empörten« Mitgliedern von Fanklubs korrespondieren.

Vierzehn Jahre lang führte der umtriebige Schnell als Vorstand die 1977 gegründete »ARGE der Fanclubs des TSV München von 1860 e.V.«, bei der er zuvor bereits als Beisitzer engagiert war. Seine Ehefrau, Jutta Schnell, wirkte bis zum Erreichen des Rentenalters über 20 Jahre lang als hauptamtlich angestellte Fanbeauftragte beim TSV 1860 München. Das Paar aus Neuburg an der Donau kümmerte sich beruflich und im Ehrenamt intensiv um rund 400 Fanklubs des TSV 1860 München, organisierte regionale Treffen, besuchte Veranstaltungen der Anhänger, überreichte Geschenke an verdiente Jubilare, vermittelte Besuche von Funktionären und Profikickern, vertrieb Eintrittskarten für die Spiele der Löwen und galt allgemein als verlängerter Arm des Klubs zur organisierten Anhängerschaft in den Regionen. Die Fans wussten die persönliche Bindung zu schätzen und empfingen Jutta und Gerhard Schnell nicht selten wie hochgestellte Ehrengäste.

Gerne zeigte sich die Fanbeauftragte auch mit Prominenten aus dem TV- und Showbusiness bei Spielen auf der Ehrentribüne. Eine organisierte jährliche Reise mit Anhängern nach Rom, um die päpstliche Generalaudienz zu besuchen, nebst bebilderten Artikeln in der heimischen Sportpresse wie dem Pontifex Maximus ein weiß-blaues Trikot überreicht wird, gehörte zum festen Ritual. Papst Benedikt der XVI. und Papst Franziskus wurden auf diese Weise unversehens zu Ehrenmitgliedern des TSV 1860 München.

Nicht alle ARGE-Fanklubs waren jedoch gleichermaßen begeistert von den Aktivitäten der Schnells. Sie würden bei ihrem Handeln die erforderliche vereinspolitische Neutralität vermissen lassen und ihre Stellung ausnutzen, um Macht auszuüben und missliebige Personen auszugrenzen, lautete ein nicht selten geäußerter Vorwurf. Immer wieder verließen deshalb Fanklubs in der Vergangenheit die ARGE. Die Anerkennung als »offizieller Fanklub« des TSV 1860 München mit allen damit verbundenen Privilegien war lange Zeit vom Placet des ARGE-Vorstands abhängig. Wer in ihrem Reich Freund und wer Feind war, bestimmten die Schnells in einem kleinen Kreis von Vertrauten.

Seit dem Ausscheiden der hauptamtlichen Fanbeauftragten in den Ruhestand ist der Klub darum bemüht, die Betreuung der Fanklubs neu zu strukturieren. Künftig wollen sich die Löwen selbst aktiv um ihre in Stammtischen und örtlichen Vereinen organisierte Anhängerschaft kümmern. Alte und neue Fanklubs können sich seit Ende vergangenen Jahres direkt beim TSV 1860 München registrieren. Die Reform stieß nicht überall auf ungeteilte Gegenliebe, obgleich die Löwen in einer Mitteilung versichern, es stehe weiterhin »jedem Fanclub frei, sich der ARGE anzuschließen.« Auch gelten alle bislang im Dachverband geführten oder dort neu hinzukommende Fanklubs weiterhin als vom TSV 1860 München anerkannte Vereinigungen.

Um den Offiziellen des TSV 1860 München ein Stimmungsbild von der Fanbasis zu vermitteln, korrespondierte Gerhard Schnell gerne mit Funktionären des Klubs. Mit Verweis darauf, zehntausende organisierter Anhänger zu vertreten, wurden von ihm klubpolitische Vorgänge, Personalfragen und das sportliche Zeitgeschehen kommentiert. Doch Schnell soll es nach Informationen der Münchner Wochenanzeiger dabei nicht belassen haben. Unter verschiedenen weiteren E-Mail-Accounts und Absendernamen erreichten die Verantwortlichen immer wieder geharnischte Protestschreiben, die eine vermeintliche Empörung der Anhängerschaft in den Regionen belegen sollten. Ein Abgleich der IP-Adressen, von denen die Nachrichten aus gesendet wurden, brachte ein erstaunliches Ergebnis: sie stammen mutmaßlich aus einer Hand – der des ARGE-Vorsitzenden Gerhard Schnell.

Als die Vorwürfe durch Veröffentlichungen von Fanblogs ans Licht kamen, trat Schnell am vergangenen Sonntag von seinem Ehrenamt zurück. Gegenüber dem Online-Portal »dieblaue24« und der Münchner Abendzeitung führte Schnell gesundheitliche Gründe für seinen Rückzug an. Der Fanklubdachverband steht vor Neuwahlen und einem personellen Umbruch.

(as)

Artikel vom 09.03.2021
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