Eine tierische WG

München · Wenn 2.000 Reptilien umziehen wollen

 "Keine übertriebene Angst vor Schlangen haben". Dr. Baur möchte, dass man für Schlangen auch ein Herz hat. Im Bild rekelt sich graziös eine Madagaskar-Boa um die Hände und Arme des Wochenblatt-Reporters. Foto: Daniel Mielcarek

"Keine übertriebene Angst vor Schlangen haben". Dr. Baur möchte, dass man für Schlangen auch ein Herz hat. Im Bild rekelt sich graziös eine Madagaskar-Boa um die Hände und Arme des Wochenblatt-Reporters. Foto: Daniel Mielcarek

München · Es ist das wohl ungewöhnlichste Büro Münchens. Wenn Dr. Markus Baur E-Mails abruft, schauen ihm Schildkröten über die Schulter. Er ist Leiter der Auffangstation für Reptilien. Der Verein, der Reptilien in Not ein Heim gibt, schlägt seinen eigenen Rekord, denn "die letzte 'Volkszählung' ergab, dass hier so viel Tiere stationiert sind, wie noch nie zuvor".

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Auf über 2.000 Quadratmeter kommen etwa 2.000 Tiere - und 16 Mitarbeiter nicht zu vergessen. Daher werden die Kriechtiere (und Tierärzte, Tierpfleger und Bürokräfte) in eine neue Bleibe umziehen. In Neufahrn, Landkreis Freising, hat der Münchner Verein bezahlbaren Boden gefunden. "Es wird eine große freie Fläche geben und die Auffangstation für Reptilien vergrößert sich sodann auf rund 2 Hektar", so Dr. Baur. So ein großes Bauvorhaben wird aber noch dauern und so wird die Auffangstation auch in den kommenden Jahren noch im Erdgeschoss des Veterinärmedizinischen Instituts der Universität München sein. Sie ging ursprünglich aus der Klinik für Reptilien der tierärztlichen Fakultät hervor. "Wir fühlten uns wie die Made im Speck, hier bei der LMU zu sein, doch wir brauchen den Umzug."

Die tierische WG wurde mit einem Dutzend Tiere gegründet, bis eines Tages der Zoll mit einer richtig großen Ladung kam. Es war ein Dezembertag im Jahr 1995 als Beamte Königspythons und über 100 andere Reptilien beschlagnahmten. Aus dieser Not heraus wurde die Station sofort kreativ, hat binnen weniger Stunden umgebaut, die Unterbringungsmöglichkeiten stets vergrößert und nach und nach mehr Reptilien aufgefangen: bis die Station immer wieder an den Rand ihrer Kapazitäten gelangte. Der Tierbestand wächst, doch die Tierstation ist räumlich ausgeschöpft. Immerhin befinden sich Terrarien mittlerweile auch in den Arbeitsräumen der Verwaltung und dem Keller.

"Ein Problem ist, dass die Tiervermittlung schwer ist", stellt Dr. Baur seit längerem fest. Dabei kann es einfach sein, tierliebenden Menschen ein Tier an den Mann bzw. die Frau zu bringen: "Auf unserer Webseite befindet sich ein Bewerbungsbogen. Dann haken wir nach, ob eine artgerechte Haltung gegeben ist. Wenn alles stimmt, können die Reptilien gegen eine freiwillige Spende das Heim wechseln." Der Tierarzt erinnert sich an das ein oder andere Tier, das später richtig glücklich geworden ist. Bei Walter wird Dr. Baur warm um sein großes 'Tierherz'. "Walter war 2,20 Meter lang. Er war ein Mississippi-Alligator, der aus einer Zirkushaltung in die Auffangstation kam."

Ein Jahr dauerte es, bis sich ein privater Tierhalter von einer Tierhalterorganisation vorgestellt hat, der alle Voraussetzungen zur Tierhaltung mit sich gebracht hat. "Heute schickt er uns regelmäßig Videos von Walter zu. Er hat bei seinem neuen Herrchen auch eine Alligatordame kennengelernt", freut sich der Leiter der Auffangstation.

Die Voraussetzungen, um potenziell gefährliche Tiere zu halten, sind sehr streng. Reine Tierliebe reicht nicht aus, um sich ein gefährliches Tier anzuschaffen. Die Stadt München hat auf www.muenchen.de eine Gefahrtierliste veröffentlicht. Dazu gehören neben Alligatoren unter anderem Giftschlangen sowie einige Skorpion- und Spinnenarten.

Wer eignet sich dazu, ein gefährliches Tier zu halten? Man müsse zunächst gewährleisten, dass keine Gefahren für Leben und Gesundheit entstehen, ein Führungszeugnis und die körperliche Eignung müssen ebenfalls vorliegen. "Auch Nachbarskatze muss sich sicher fühlen", so Baur. Da Gefahrtiere auch Schaden anrichten können, muss eine spezielle Haftpflichtversicherung abgeschlossen werden. Darüber hinaus muss der Halter oder die Halterin berechtigtes Interesse nachweisen, etwa wissenschaftliche oder artenerhaltende Gründe. Sie müssen natürlich absolute Experten in der Tierhaltung von gefährlichen Tieren sein und nachweisen, dass sie alle notwendigen Kenntnisse haben. Nur dann können sie in Bayern gefährliche Tiere halten. All die Punkte zu erfüllen, ist in München äußerst schwierig, "doch die Menschen finden Wege, um an solche Tiere trotzdem zu kommen. Das ist dann aber illegal", bringt es der Leiter auf den Punkt.

Geraten die Halter dann in die Bredouille, kommt es ans Tageslicht. Wenn zum Beispiel das Tier verstirbt. Der umgekehrte Fall ist häufiger. "Eher ist der Halter tot als das Tier", spricht Baur aus Erfahrung. Daher sollte es in der Praxis gefährliche Haustierreptilien in München nicht geben - außer im Tierpark und der Auffangstation. "Es gibt sie aber trotzdem", ist sich der Stationsleiter sicher. Als ein 19-Jähriger sich aus der Schweiz via Internet zwei Speikobras nach Starnberg bestellte, "baute er einen Unfall" und fiel daraufhin in ein Koma. "Schlangen dürfen ausschließlich in erfahrene Hände."

Dr. Baur unterstreicht auch, dass man niemanden mit einem 'Tiergeschenk' überraschen dürfe. Doch wenn man sich selbst für ein Haustier entschieden hat, dürfe es auch eine Schlange sein, so Dr. Baur. Grundsätzlich setzt sich Markus Baur für exotische Haustiere ein. Schließlich sind nicht alle per se gefährlich. "Viele reagieren geradezu hysterisch, wenn sie eine Schlange in freier Wildbahn sehen."

Panik an der Isar: Eine Schlange schlängelt sich durch die Auen. Was tun? Schon oft genug kam es vor, dass die Auffangstation panisch kontaktiert wurde und es sich nach einem Großaufgebot der Polizei und Feuerwehr zum Schluss um eine einheimische Ringelnatter gehandelt hat: nicht gefährlich, nicht giftig, bewohnt gerne Gebiete an Bächen. Oder es handelte sich erst gar nicht um eine echte Schlange, sondern um eine Blindschleiche. Er bemängelt, dass der Bevölkerung oft die Kenntnis über heimische Schlangen fehle. Daher findet man auf der Webseite der Station einen ausführlichen Bestimmungsschlüssel für heimische Schlangenarten sowie den Hinweis, dass sie streng geschützt - und grundsätzlich nicht-gefährlich bzw. nicht-angriffslustig sind. Es gebe - und jetzt soll keine Panik ausbrechen - auch Kreuzottern in München, doch sie begegnen dem Menschen kaum.

Dass Schlangen durch Vorfälle wie in Starnberg ins schlechte Licht rücken, liegt nahe, auch wenn solche Ereignisse immer öfters passieren, weil Illegalität und Inkompetenz vorgelegen hat. "Dadurch entstehen Vorurteile in der Tierwelt und so müssen auch oft Schlangenhalter mit Vorurteilen kämpfen." Dabei sind Schlangen auch nur Tiere, die sich über ein nettes Heim freuen.

Die Auffangstation hat Schlangen in fast allen Farben, zum Beispiel über 100 Kornnattern in "snow", "butter", "amber", "caramel" und "vanilla". Wer die erforderliche Schlangenkenntnis hat, darf gerne einen Termin vereinbaren und vorbeikommen. Von Daniel Mielcarek

Ein Stückchen Tropik in München
Die Auffangstation für Reptilien ist in der Kaulbachstraße 37, wird aber in den nächsten Jahren nach Neufahrn bei Freising umziehen. Das "Bau-Tagebuch" befindet sich auf der Webseite der Station.
Der Verein bietet Führungen, man kann auch Tierpate werden. Spenden werden gerne angenommen. Informationen unter www.reptilienauffangstation.de

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