Keine Zukunft ohne Erinnern

Gedenkveranstaltung und Schweigezug zur „Judensiedlung Milbertshofen“

Eine dunkle Seite der lokalen Geschichte: Die so genannte „Judensiedlung Milbertshofen“ befand sich in der heutigen Knorrstr. 147. Bild links: Der Schweigezug ging zur Kirche St- Gertrud am Harthof. Fotos: dm/privat

Eine dunkle Seite der lokalen Geschichte: Die so genannte „Judensiedlung Milbertshofen“ befand sich in der heutigen Knorrstr. 147. Bild links: Der Schweigezug ging zur Kirche St- Gertrud am Harthof. Fotos: dm/privat

Milbertshofen · Sant' Egidio, die Israelitische Kultusgemeinde und zahlreiche Vertreter der Stadt München gedachten in Milbertshofen der ersten Deportation von Juden aus München.

„Es ist für mich sehr schwer hier zu stehen. Wenn ich mich erinnere - ich war damals neun Jahre alt – als die ersten gingen. Wenn ich mich erinnere, wie die verzweifelten Menschen zu meinem Vater kamen und ihn fragten, ob er helfen könne. Sie haben die ersten Deportationsbefehle bekommen, um sich hier an diesem Platz einzufinden.“

Diese Worte werden den Teilnehmern der Gedenkveranstaltung noch lange in Erinnerung bleiben. Gesprochen hat sie Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München/Oberbayern, auf der Veranstaltung mit dem Motto: „Keine Zukunft ohne Erinnerung!“

Ehemalige „Judensiedlung“ in der Knorrstraße

Fast 300 Menschen waren der gemeinsamen Einladung der Israelitischen Kultusgemeinde und der Gemeinschaft Sant’ Egidio gefolgt. Gemeinsam gedachten sie der ersten Deportation von 999 Münchnerinnen und Münchnern, die am 20. November 1941 um vier Uhr morgens in strömendem Regen die Fahrt in den Tod antreten mussten. Gemeinsam mit Stadträtin Katrin Habenschaden in Vertretung des Oberbürgermeisters und Vertretern der evangelischen und katholischen Kirche sowie mehrerer politischer Parteien begaben sich die Teilnehmer auf einen Schweigezug hin zu jenem Platz, an dem sich damals die so genannte „Judensiedlung Milbertshofen“ in der heutigen Knorrstr. 147 befand.

Die Rede von Charlotte Knobloch war sehr persönlich: Sie berichtete, teils unter Tränen, über das Leid und den Schmerz, den Familienmitglieder und Freunde unter dem Zynismus des nationalsozialistischen Regimes erfahren mussten. Sie betonte, dass es viele Anfangspunkte gegeben habe, die nach der schrittweisen Entrechtung der Juden schließlich zur endgültigen Vernichtung führten. Die Hoffnung vieler Juden, dass diese Anfangspunkte verlaufen würden, sei ein großer Irrtum gewesen. Umso wichtiger sei es aus dieser Kenntnis heraus heute den Anfängen zu wehren, wenn der „Judenhass seine Fratze“ zeige und die jüdischen Mitbürger wieder Angst statt Sicherheit empfinden müssten.

Antisemitische Anschläge gab es sogar vor wenigen Tagen

Sie wies darauf hin, dass in den letzten Tagen in München zwei antisemitische Anschläge stattgefunden haben, die an die 20er-Jahre erinnern müssten. „Diejenigen, die sich weder erinnern noch gedenken wollen, sind eine Gefahr, der wir uns alle gegenübersehen. Es ist nun Aufgabe jedes Einzelnen, sich dieser Gefahr entgegenzustellen und zu verhindern, dass die Zukunft von jenen gestaltet wird, die Hass verbreiten.“

Ursula Kalb von Sant‘ Egidio zeigte auf, wie wichtig es sei, sich von einer harten Sprache zu distanzieren, die diskriminiert und verachtet und stattdessen auf Dialog Respekt und Freundschaft zu setzen. Sie gab das Versprechen ab, dass die Gemeinschaft Sant‘ Egidio und alle Anwesenden immer an der Seite ihrer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger stehen werde.

Eröffnet wurde die Veranstaltung am Platz vor der Kirche Sankt Gertrud, bei der Vertreter von Sant‘ Egidio und den Kirchen die Wichtigkeit betonten, sich des Vergangenen zu erinnern. Nicht das einzige Mal an diesem Abend betonte Jörg Rohde für Sant‘Egidio, wie wichtig eine solche Gedenkveranstaltung sei. Dies betonte auch Katrin Habenschaden, die bekannte, selbst aus einer Familie zu stammen, in der es in der Zeit des Nationalsozialismus auch Täter gegeben habe.

Mehrere Rednerinnen und Redner wiesen darauf hin, wie unvorstellbar und entsetzlich das in der Zeit des Nationalsozialismus Geschehene war und wie gleichgültig große Teile der deutschen Gesellschaft dem Schrecken der Rassegesetze und der Deportationen gegenüberstanden.

In einem von Kirchenrat Dr. Björn Mensing zitierten Beschluss der evangelischen Synode von 1950 hieß es: “Wir sprechen es aus, dass wir durch Unterlassen und Schweigen […] mitschuldig geworden sind an dem Frevel, der durch Menschen unseres Volkes an den Juden begangen worden ist.“

Ein Zeugenbericht der ersten Deportation sowie Erklärungen der Jugendlichen von Sant’Egidio und der 9-jährigen Linn Rohde, die zum „Land des Regenbogens der Gemeinschaft Sant’Egidio“ gehört, rundeten die Veranstaltungen ab. Sie waren ein hoffnungsvolles Zeichen, dass das Gedenken an die Untaten des NS-Regimes auch dann nicht in Vergessenheit geraten, wenn es keine Zeitzeugen mehr geben sollte.

Artikel vom 03.12.2019
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...