Die »falsche« Freiheit

Aussetzen exotischer Tiere ist viel zu oft Realität

Markus Baur, Leiter der Reptilienauffangstation, mit einer Teppichpython, die die Behörden dem Halter wegnehmen mussten.	Foto: scy

Markus Baur, Leiter der Reptilienauffangstation, mit einer Teppichpython, die die Behörden dem Halter wegnehmen mussten. Foto: scy

Schwabing · Sie droht, sie bombardiert und wehe, sie fühlt sich angegriffen, dann springt sie ihr Gegenüber an.

»Sie ist schon ein rechtes Biest«, sagt Markus Baur grinsend und meint damit die Vogelspinne, die jüngst von zwei Schwabinger Feuerwehrmännern in einer Wohnung an der Landshuter Allee eingefangen wurde. Nun hat sie einen Platz in der Reptilienauffangstation an der Kaulbachstraße, deren Leiter Markus Baur ist. Zu ihren Nachbarn gehören ein Leguan und eine Teppichpython. Und blickt man in die anderen Räume, so tummeln sich da unter anderem Echsen, Krokodile und vor allem zig Schildkröten, gut 900 Reptilien insgesamt. »Immer mehr Tiere werden hier abgegeben, das reißt und reißt einfach nicht ab«, sagt der Fachtierarzt. Besonders in den Sommermonaten würden viele einfach ausgesetzt, unter anderem im Englischen Garten. »Viele Halter denken sogar, sie tun damit dem Tier etwas Gutes«, so Baur.

Doch das sei ein fataler Irrtum. »Auf die Tiere wartet nicht etwa die große Freiheit, die kommen da draußen nicht zurecht und sterben. Und ihr Tod ist kein schöner Tod.« Nicht selten würde man sich der Tiere genau dann entledigen, wenn sie der Babyphase entwachsen sind. »Grob gesagt: Die Leute hauen die Großen raus und holen sich dann wieder die Kleinen ins Haus«, berichtet Baur. Drei Meter große Schlangen wurden beispielsweise in einer Kiste für Haartrockner gefunden, mit der Aufschrift »Zu versengen«. Ein anderes Mal wurde eine Anakonda in einem mehrfach dick verklebten Terrarium entdeckt, auf einem Parkplatz, bei minus 20 Grad.

Gut 50 Mal mussten im vergangenen Jahr Feuerwehrleute ausrücken, um exotische Tiere einzufangen. »Wo genau die herkommen, lässt sich selten sagen«, weiß Brandinspektor Stephan Zobel. Viele Besitzer würden es unterlassen, sich zu »outen«, dass es sich um ihr Reptil handle.

Somit geht es für die Exoten dann in der Regel in die Auffangstation. Selbst Jagd auf Reptilien zu machen, wenn sie eines finden, davon rät Zobel dringend ab. »Für den Laien ist es schwer einzuschätzen, wie gefährlich die Tiere sind, also Hände weg und die 112 wählen.« Zudem sei das Einfangen gar nicht mal so leicht. Im Fall der Vogelspinne machten zwei Kollegen Jagd auf das Tier. »Gerade bei Vogelspinnen gehört auch eine gehörige Portion Glück dazu«, berichtet Zobel. Doch Feuerwehrleute wissen um entsprechende Kniffe, die »technische Hilfeleistung klein«, die eine Bergung von Echsen, Schlangen und Co meint, gehört zur Ausbildung der Feuerwehr dazu. Besser natürlich, es kommt gar nicht erst so weit. »Man kann nicht oft genug an das Verantwortungsgefühl appellieren«, sagt Baur, dessen Team in der Reptilienauffangstation auch gerne für Beratungen zur Verfügung steht. Doch hört er immer wieder, dass Tiere weniger als Lebewesen denn als Gegenstand wahrgenommen werden. »Im Baumarkt oder im Urlaub shoppt man dann eben mal eine Schildkröte, weil das cool ist«, so der Experte. »Für einige geht es auch darum, dass das Tier und sein Terrarium möglichst gut zur Wohnzimmereinrichtung passen.«

Was artgerechte Haltung sei – immer weniger würden sich darüber Gedanken machen, das nötige Know-how fehle oft völlig. Diejenigen, die damit handeln, dürfte das jedoch kaum kümmern. »Dank Internet und beinah wöchentlich stattfindender Tierbörsen ist es kein Problem, auch besonders exotische Tiere zu bekommen«, weiß Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Hinzu komme der illegale Handel, über den Reptilien in deutsche Haushalte gelangen. Dabei gelten nicht in jedem Bundesland dieselben Regelungen. Die Haltung der »Echten Kobra« ist beispielsweise in Berlin und Hessen verboten. In Bayern und Bremen ist ihre Haltung erlaubnispflichtig, das heißt grundsätzlich zwar verboten, aber ausnahmefähig. In Thüringen hingegen ist die Haltung seit September 2011 erlaubt, aber an bestimmte Auflagen wie zum Beispiel einen Sachkundenachweis geknüpft. Und andere Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg haben gar keine Regelungen zur Haltung gefährlicher Tiere.

Schröder fordert deshalb einheitliche gesetzliche Regelungen zur Haltung und zum Handel. »Das ist das Mindeste.« Die Alligatorschildkröten übrigens sind ein Sonderfall, die Haltung von Geier- und Schnappschildkröten ist bundesweit seit vielen Jahren gemäß der Bundesartenschutzverordnung verboten.

Woher also kommt Schildkröte Lotti, jene Lotti, um die gerade viel Wirbel gemacht wird? Sie soll, so wird vermutet, im Allgäu im Oggenrieder Weiher hausen. »Wir können es nicht mit absoluter Gewissheit sagen, aber wir können es auch nicht ausschließen«, sagt Baur, der vor Ort gewesen ist. Aufmerksamkeit erregte das Tier, als es einen achtjährigen Jungen in die Ferse biss. Dabei wurde seine Achillessehne zweimal durchtrennt. Lotti aber tauchte wieder ab. »Form und Größe der Verletzung lassen darauf schließen, dass es sich um eine Geierschildkröte handeln könnte«, so Baur. Wann und wo Lotti sich wieder blicken lässt, wenn überhaupt, das müsse man abwarten. »Da hilft nur Geduld.«

Infos gibt es in der Auffangstation für Reptilien, Kaulbachstraße 37, Telefon 21 80 50 30. Spenden und Unterstützer sind willkommen. Spendenkonto: Münchner Bank, Kontonummer: 98 81 54, Bankleitzahl: 70 19 00 00. Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 20.08.2013
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