Zentrum russischer Kultur in Schwabing wird 20 Jahre alt

Schwabing · Medizin wie MIR

Die Ukrainerin und MIR-Gründerin Tatjana Lukina hat vor 20 Jahren ein Stück Russland nach München gebracht.	Foto: Sylvie-Sophie Schindler

Die Ukrainerin und MIR-Gründerin Tatjana Lukina hat vor 20 Jahren ein Stück Russland nach München gebracht. Foto: Sylvie-Sophie Schindler

Schwabing · In einem Uralt-Schlager der Gruppe Dschingis Khan heißt es: »Wirf die Gläser an die Wand, Russland ist ein schönes Land.« Und der große Lyriker Fjodor Tjutschew schreibt: »Mit dem Verstand ist Russland nicht zu fassen, gewöhnliches Maß misst es nicht aus.« Russland ist nicht nur dort, wo man es auf der Landkarte findet – sondern auch mitten in München.

Vor 20 Jahren hat die gebürtige Ukrainerin Tatjana Lukina ihre Heimat quasi hierher gebracht und an der Schelling­straße ein Zentrum für russische Kultur gegründet: das legendäre MIR – Zentrum russischer Kultur in München. Auf Russisch hat »Mir« übrigens gleich zwei Bedeutungen: Frieden und Universum. Eine klare Botschaft. »Wir bauen Brücken zwischen der russischen und der deutschen Kultur, die von einem Menschen zum anderen führen oder, wie man in Russland sagt, von Seele zu Seele«, sagt Tatjana Lukina. »Ich freue mich sehr, dass uns das bereits seit zwei Jahrzehnten gelingt.«

Legendär sind längst die MIR-Abende, beispielsweise wenn traditionell am 7. Januar in der Schwabinger Seidlvilla das »Russische Weihnachten« gefeiert wird. Mit Wodka und Piroschki, gefüllten Teigtaschen, mit Tanz und Balalaika, mit deutschen und russischen Gästen. »Jedes Mal spreche ich mit Münchnern, die auf dieser Feier von Herzen lachen und feststellen: ›Wie toll sich die Russen doch amüsieren können!‹ «, erzählt Tatjana Lukina. »Doch wenn ich dann antworte, dass 70 Prozent der Gäste gar keine Russen, sondern Bayern sind, ist die Verwunderung groß«, sagt sie lachend. »Bei den MIR-Abenden werden eben auch die Bayern für ein paar Stunden zu Russen.«

Es war nicht einfach für Tatjana Lukina vor 20 Jahren ein Zentrum für russische Kultur in München zu gründen. »Aber noch schwieriger war es, den Verein zu erhalten und mit Leben zu erfüllen, die Zeiten der Prüfungen zu überstehen«, berichtet die Journalistin und Schauspielerin. Beispielsweise als im Jahr 1993 der Pleitegeier über dem Verein kreiste. Heute wie damals muss MIR mit einer, wie Lukina sagt, »bescheidenen, doch konstanten Unterstützung« verschiedener deutscher und – seit neuestem – russischer Förderer und Stiftungen zurechtkommen. Unterstützer sind auch die Bayerische Staatskanzlei und die Stadt München. Doch ohne viel Idealismus und ehrenamtlichen Einsatz würde MIR wohl nur schwer überleben. Etwa 200 Mitglieder engagieren sich derzeit im Verein.

Unter ihnen auch Veteranen des Zweiten Weltkriegs, die vor siebzig Jahren gegen die UdSSR gekämpft haben, darunter ehemalige Kriegsgefangene, berichtet Lukina. »Alle haben ihre Bestimmung als Botschafter der russischen Kultur gefunden. Sie wollen den Münchnern die Möglichkeit geben, die geheimnisvolle russische Seele nicht nur zu verstehen, sondern auch zu lieben.« Damit wäre auch einer Tradition gefolgt: im 18. Jahrhundert hatte Russland mit keinem anderen Land so enge Beziehungen wie mit Deutschland. Man denke da nur an Peter den Großen, der sein Land nach Westen hin öffnete.

Poesie, Literatur, Theater, Musik – in 20 Jahren MIR wurden schon viele bedeutende russische Künstler wie etwa Alexander Puschkin, Fjodor Tjutschew, Nikolai Gogol, Anton Tschechow, Sergej Rachmaninow und Peter Tschaikowskij gefeiert. Auch im Jubiläumsjahr stehen Veranstaltungen in Erinnerung an große Persönlichkeiten auf dem Programm, unter anderem an die gebürtige Sankt-Petersburgerin und Rilke-Muse Lou Andreas Salomé, an den Astronauten Juri Gagarin und an das russische Universal-Genie Michail Lomonosow.

Zu den weiteren Angeboten zählen die Kinder-Kunstakademie, ein Männerchor und ein Choreographiestudio mit dem Ensemble für russischen Volkstanz. Doch nicht nur Kultur wird groß geschrieben. »Wir beschäftigen uns auch mit dem Leben der russischen Diaspora, die sich in den vergangenen zehn bis 15 Jahren stark verändert hat. Inzwischen ist die Zahl der russisch sprechenden Bevölkerung um ein Mehrfaches gestiegen«, berichtet Lukina.

Deshalb gibt es bei MIR auch einige Veranstaltungen in ausschließlich russischer Sprache. Doch egal, ob Münchner, ob Russe, wer sich anstecken lässt von der MIR-Atmosphäre, der erlebt vielleicht auch das, was neulich eine regelmäßige Besucherin gegenüber Tatjana Lukina beschrieb: »Wenn ich zu Ihnen komme, fühle ich mich wie neu geboren. MIR wirkt wie Medizin.«

Weitere Informationen zum Jubiläumsprogramm gibt es im Internet unter www.mir-ev.de. Sylvie-Sophie Schindler

Artikel vom 18.01.2011
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...