Martin und Ulrike sind ein super Team. Er ist 19, sie 67 Jahre alt – 48 Jahre trennen sie, doch das ist ihnen egal. Sie haben sich gefunden, bei der Arbeit. Und da zählt der Altersunterschied nicht. Bei der Arbeit – das ist im Augustinum-Neufriedenheim (Am Stiftsbogen). Martin Fleischmann absolviert hier zurzeit sein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ), Ulrike Wegner einen Bundesfreiwilligendienst (BFD). Beide schätzen die Begegnung mit den Bewohnern des Augustinums und sind sich einig: „Dieses Engagement ist eine Bereicherung für uns.”
Seit November vergangenen Jahres kommt Ulrike Wegner dreimal wöchentlich ins Augustinum und kehrt damit zu ihrer alten Wirkungsstätte zurück. Vor 50 Jahren war sie hier schon einmal im Freiwilligendienst tätig, als FSJlerin der ersten Stunde sozusagen. Denn die Bundesregierung hatte 1964 das FSJ gesetzlich eingeführt.
Im Augustinum gibt es den Freiwilligendienst bereits seit 1962. Initiiert hatte ihn damals Gertrud Rückert unter dem Begriff „Philadelphisches Jahr”. „Philadelphia” bedeutet frei übersetzt „Geschwisterlichkeit und so nennen sich die Freiwilligen im Augustinum bis heute Philas und Philous.
Ulrike Wegner ist also eine Phila. Als junge Frau nutzte sie die Möglichkeit der Überbrückung zwischen Schule und Studium. „Es war eine tolle Zeit, absolut bereichernd”, schwärmt Wegner. „Ich habe mir damals schon gedacht, irgendwann lande ich wieder hier”, sagt sie. „Jetzt ist es halt als Freiwillige und nicht als Bewohnerin. Wegner lacht herzlich, schmeißt ihre langen blonden Haare über die Schultern. Die Arbeit mit den Senioren empfand sie damals schon als Geschenk. Doch sie sah ihren Aufenthalt im Augustinum auch ganz pragmatisch. „Es gab hier einen Flügel. Da konnte ich in meiner Freizeit üben, denn ich wollte die Aufnahme ans Konservatorium schaffen. Außerdem durfte man nach FSJ noch vier Semester im Augustinum wohnen.” Nach dieser Zeit startete Ulrike Wegner ins Studium und dann ins Berufsleben. Sie unterrichtete Blockflöte, Klavier und Ensemble an der städtischen Sing- und Musikschule München. Im Ruhestand habe sie dann überlegt, was sie machen könne. „Dann habe ich erfahren, dass man den Bundesfreiwilligendienst auch in meinem Alter machen kann.”
Dagmar Adam nickt zustimmend. „Das wissen viele Menschen gar nicht”, sagt Adam, die die Freiwilligendienste der Augustinumgruppe deutschlandweit leitet. Sie koordiniert das Bildungsprogramm, kümmert sich um begleitende Seminare und die individuelle Begleitung der Freiwilligen. „Den Bundesfreiwilligendienst können Menschen über 27 Jahre absolvieren”, erklärt sie. Und Ulrike Wegner ergänzt: „Für mich war wichtig, dass das auch in Teilzeit und in sechs Monaten möglich ist. Ich arbeite hier 20 Stunden pro Woche.” Verglichen mit der Zeit von damals, habe sich schon einiges verändert. „Die Menschen wohnen heute viel länger zuhause. Die Bewohner waren früher jünger. Und es gab keine Rollatoren. Daran denkt man eigentlich gar nicht. Aber ich kannte damals nur eine Dame, die im Rollstuhl saß. Wer nicht mehr gehen konnte, der konnte halt nicht mehr aufstehen”, blickt Wegner zurück. Im Bekanntenkreis sei ihr Engagement unterschiedlich aufgenommen worden. Als „billige Arbeitskraft”, wie sie es auch zu hören bekomme, sehe sie sich jedenfalls überhaupt nicht.
„Bewohnerservice” nennt sich die Abteilung, in der Ulrike Wegner tätig ist. Und hier traf sie Martin Fleischmann, den Philou. Er steht heute dort, wo Wegner vor 50 Jahren stand: am Übergang von der Schule zum Studium. Im vergangenen Jahr hat der 19-Jährige sein Abitur am Thomas-Mann-Gymnasium gemacht. „Für mich war klar, dass ich erst einmal Erfahrungen sammeln möchte, bevor ich studiere”, begründet er seine Entscheidung für ein Freiwilliges Soziales Jahr. „Ich möchte wissen, was arbeiten bedeutet und ich möchte meine sozialen Kompetenzen erweitern.” Fleischmann und Wegner kümmern sich um alltägliche Dinge wie die Hauspost, helfen den Bewohnern beim Einkaufen, beim Ausfüllen von Überweisungen oder begleiten sie zum Arzt. Manchmal wird Martin auch gebeten, einen Blick aufs Smartphone oder den Computer der Bewohner zu werfen. Weil so ein junger Mann, der kennt sich ja aus. Überhaupt ist er gerne gesehen. „Gerade bei den älteren Damen. Sie mögen es sehr, wenn sie mit jungen Menschen reden können. Das ist das Enkelsyndrom”, sagt Adam und lacht. Aber auch Ulrike Wegner wird von den Senioren geschätzt. Durch ihr Alter und ihre Erfahrungen sei sie natürlich näher dran an den Bewohnern.
Es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Denn auch Martin Fleischmann und Ulrike Wegner freuen sich über die regelmäßigen Besuche bei den Senioren. „Sie haben sehr viel zu erzählen”, sagen sie.
Der Umgang mit alten Menschen sei am Anfang schon ungewohnt gewesen, berichtet Martin. „Aber ich fühlte mich immer gut begleitet”, sagt er. Das sei das Gute im Haus. Man bekomme Unterstützung, könne aber auch sehr selbständig arbeiten. Das Thema Tod spiele natürlich auch eine wichtige Rolle. „Man bekommt mit, dass es einfach zum Leben gehört”, erzählt der junge Mann und erinnert sich an eine Seniorin, die er mehrmals besuchte. „Eines Tages war sie nicht mehr da.” Auch in dieser Situation habe er sich im Team des Augustinums gut aufgehoben gefühlt.
Die meisten seiner ehemaligen Schulkollegen, so Martin, hätten sich gleich für ein Studium entschieden. „Die lernen jetzt schon wieder und haben eigentlich das Gleiche wie in der Schule. Wenn wir uns treffen, finden sie das schon ganz interessant, was ich erzähle.” Bereut habe er diesen Schritt überhaupt nicht. Bis August bleibt Martin im Augustinum. Dann startet er seine Ausbilung zum Versicherungskaufmann und sein BWL-Studium. „Das ist ein duales Studium. Als ich bei meinem Arbeitgeber das Vorstellungsgespräch hatte, kam mein Freiwilliges Soziales Jahr sehr gut an”, sagt er. Dagmar Adam kann dem nur zustimmen. „Man braucht soziales Verantwortungsbewusstsein in der freien Wirtschaft. Ich finde es toll, wenn jemand nach seinem FSJ in einem sozialen Beruf tätig wird. Aber genauso wichtig ist es, dass auch Menschen in der Wirtschaft dieses Verantwortungsbewusstsein haben und wissen, was es zum Beispiel bedeutet, einen alten Menschen zu pflegen”, betont sie.
Ulrike und Martin, die Phila und der Philou. Zu Beginn ihrer Arbeit seien sie abends schon ziemlich erschöpft gewesen, gestehen sie. Doch das gehe inzwischen. In wenigen Monaten werden sich ihre Wege wieder trennen. Als Anerkennung und Dank für ihre Täigkeit, die monatlich mit einem Taschengeld entlohnt wird, werden sie einen Ring des Augustinums bekommen. Was ihnen gemeinsam bleibt, ist eine Zeit reich an Erfahrungen und Begegnungen, die sie vielleicht auch außerhalb des Augustinums prägt. Ulrike Wegner jedenfalls sagt über sich: „Ich bin jetzt nochmal viel aufmerksamer geworden für alte Menschen im Alltag.”
Weitere Informationen zum Freiwillgendienst im Augustinum finden sich unter www.augustinum-freiwilligendienste.de im Internet.