Bürger laufen Sturm gegen Bauvorhaben der Stadt

Bogenhausen · Purer Gigantismus?

Mitglieder des Bezirksausschusses beratschlagen einen Konsens zu neun Anträgen der CSU-Fraktion zum Bebauungsplan Barlow-/Brodersenstraße.	Foto: hgb

Mitglieder des Bezirksausschusses beratschlagen einen Konsens zu neun Anträgen der CSU-Fraktion zum Bebauungsplan Barlow-/Brodersenstraße. Foto: hgb

Bogenhausen · München boomt, die Stadt braucht nichts dringender als Wohnungen. Doch wo immer im 13. Bezirk ein größeres Projekt geplant wird, protestieren Anwohner dagegen. Vielfach ist der Widerstand – zumindest teilweise – berechtigt.

Denn Gebäudemassen, Höhe der Häuser, Lärmbelästigung und vor allem mehr Verkehr bereiten den Nachbarn Sorgen, lassen sie um ihre Wohnqualität und die Sicherheit ihrer Kinder bangen. So auch beim laut Planungsreferat »circa 140 bis 150 Wohnungen« umfassenden Vorhaben in vier Gebäudeblöcken an der Ecke Barlow-/Brodersenstraße beim S-Bahnhof.

Die Anwohner haben sich längst formiert: »Biene«, die »Bürgerinitiative Englschalkings neue Entwicklung«, meldet massive Bedenken gegen die Blocks auf dem 15.000 Quadratmeter großen Eckareal neben der S-Bahnlinie zum Flughafen an. »Wir wollen die Bebauung nicht verhindern, wir wollen eine Bebauung, die sich der Infrastruktur anpasst, die einen sinnvollen städtebaulichen Übergang zu den bestehenden Häusern schafft. Wir sind gegen Türme, gegen die Brutalität der vorgesehenen Gebäude. Wir befürchten eine deutliche Verschärfung der Verkehrsprobleme«, stellte Biene-Sprecherin Petra Cockrell klar.

Die Problematik war jetzt Anlass für die erste Sondersitzung des Bezirksausschusses (BA) seit zehn Jahren. Mehr als 200 Englschalkinger waren gekommen, während knapp vier Stunden empörten sich einige Anwohner aggressiv über die Ausführungen der städtischen Vertreter, quittierten Aussagen mit höhnischem Gelächter. Auch das streitsüchtige Verhalten diverser Kommunalpolitiker heizte die Stimmung an. Dank der schlichtenden BA-Vorsitzenden Angelika Pilz-Strasser wurde ein Eklat vermieden. Fazit: Mehrere Biene-Anträge werden der Stadt zur Kenntnis weitergeleitet. Und eine von der CSU präsentierte »Antragsmappe« mit neun Ansinnen wurde teils mit der schwarz-gelb-grünen Mehrheit, teils einhellig verabschiedet. Fixiert wurde als Forderungen: Die Anlage soll kleiner als geplant ausfallen, Baumasse und Bauhöhe reduziert, die Tiefgaragenausfahrt verlegt, oberirdisch mehr Pkw-Stellplätze geschaffen, die verkehrliche Anbindung verbessert und zusätzliche Lärmschutzmaßnahmen entlang der Bahnlinie installiert werden.

Hintergrund der Erörterung »Bebauungsplan Nr. 2039« ist eine Bürgerbeteiligung im August 2011, die zur Haupturlaubszeit in den Sommerferien stattgefunden hat. »Das beschleunigte Verfahren war keine gute Idee«, kritisierte Pilz-Strasser. »Um ihre Wünsche und Anregungen zu hören, haben wir die Sondersitzung sehr kurzfristig anberaumt. Ohne die wäre keine Bürgerbeteiligung mehr möglich gewesen.«

Das Eck brauche eine Veränderung. Die Baupläne für das mit großen, hässlichen Hallen bestückte Areal sehen vor: Vier mindestens viergeschossige, L-förmige Blöcke, im südlichsten Gebäude am Bahnhof bis zu sechs Stockwerke, eventuell mit Büros und Arztpraxen, jetzt aber ohne Läden, um zusätzlichen Verkehr zu vermeiden, sowie eine 12,5 Meter hohe transparente Lärmschutzwand an der Bahnlinie. Anwohner der Plankenhofstraße befürchten indes, dass dann der Schall reflektiert wird.

Die Vorstellungen erläuterten die städtischen Vertreter Ute Michel-Grömling aus planerischer und Stephan Rosteck aus verkehrstechnischer Sicht sowie ein Verkehrsgutachter. »Der Entwurf wurde nach ihren Einwürfen überarbeitet. Ja, das Konzept ist dicht, es ist höher als in der Umgebung. Was heute beschlossen wird, werden wir noch aufnehmen«, erklärte Michel-Grömling, »und danach können Sie nochmals Stellung nehmen«. Diesen Aussagen misstrauten viele Bürger, sie zerpflückten mit ihren Ortskenntnissen die Ausführungen, einer bezeichnete sie als »Märchenstunde«. Ein anderer meinte: »Das Projekt ist gigantisch, ist Gigantismus hoch drei, dient einzig und allein der Gewinnmaximierung.«

Dem Gutachter, der nach zwei Zählungen im Juni und Juli 2011 zwischen 6 und 10 sowie 15 und 19 Uhr »keine gravierende Verschlechterung beim Verkehr erkennt« und am Bahnübergang keine Probleme feststellen konnte, hielt ein Anwohner entgegen: »Zu 2.000 Fahrzeugen täglich 700 Autofahrten mehr, also fast ein Drittel – das soll keine Verschlechterung sein?« Und eine Frau rechnete die Ergebnisse des Experten anhand von S-Bahntakt samt Verspätungen sowie Güterzügen exakt nach mit der Schlussfolgerung: »Die Schranken sind länger geschlossen als offen«. Baff waren die Fachleute schließlich ob der Nachfrage von Richard Häusler aus der Brodersenstraße 32: »Wurde bei der Straßenverbreiterung von fünf auf 5,5 Meter eigentlich berücksichtigt, dass das noch mein Privatgrund ist?«

Und die Lokalpolitiker? Nach einer turbulenten BA-Tagung Tage zuvor, appellierte Pilz-Strasser: »Bitte heute mal die Dinge ohne Beleidigungen durchbringen.« Indes: »Es wird langsam lächerlich, was wir hier machen«, so CSU-Rat Xaver Finkenzeller. »Stimmt«, assistierte SPD-Mann Wolfgang Helbig. Viele hatten die CSU-Antragsmappe nämlich erhalten, die sozialdemokratischen Vertreter aber nicht. Heftige Diskussionen und feilen an Formulierungen in einer langen Pause erbrachten »um der Sache Willen« schlussendlich die Kompromisse. Helmut G. Blessing

Artikel vom 16.04.2013
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